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Hamburgs überselbstbewusste GrüneGegen die Wand

Jan Kahlcke
Kommentar von Jan Kahlcke

Die Hamburger Grünen verspielen den Schwung ihrer guten Umfragewerte – mit peinlichen lokalpolitischen Irrfahrten.

Mehr Radwege, weniger Wohnungen – dafür brauchen die Grünen eine grüne Amtschefin Foto: Georg Wendt/dpa

H amburgs Grüne können zurzeit vor Kraft kaum gehen. So schien es bis Donnerstag. Bei den Wahlen im vergangenen Mai haben sie in vier von sieben Bezirken gewonnen. In Umfragen zur Bürgerschaftswahl im kommenden Februar kratzen sie immer mal wieder an der Mehrheit, seit die Klimadebatte ihnen Rückenwind verleiht.

Konsequenterweise haben die Grünen mit Katharina Fegebank zum ersten Mal eine eigene Kandidatin für das Amt der Ersten Bürgermeisterin aufgestellt. Teile der Partei träumen von einer Wiederauflage der bürgerlichen Koalition mit der CDU, nur unter umgekehrten Vorzeichen: mit den Grünen als Seniorpartner, wenn es denn nicht anders reicht sogar unter Einbeziehung der FDP.

Und plötzlich stehen eben diese Grünen vor einem kommunalpolitischen Scherbenhaufen. Was ist passiert? Im Bezirk Eimsbüttel haben die Wahlsieger vom Mai nach 25 Jahren den Partner gewechselt, regieren nun mit der CDU statt mit der SPD. Und das wollten sie dann auch ganz oben klar machen: Bezirksamtsleiter Kay Gätgens (SPD) soll gehen, für die Grüne Katja Husen Platz machen.

Per konstruktivem Misstrauensvotum wollten die neuen Koalitionäre die Wunschkandidatin ins Amt hieven. Nur muss es in ihren Reihen welche geben, die das Vorgehen gar nicht so konstruktiv fanden. Jedenfalls erhielt Husen in der Bezirksversammlung am Donnerstagabend nur 25 der 28 Stimmen, über die Grüne und CDU verfügen. 26 hätte sie gebraucht.

Kommunalpolitische Posse

Gätgens, der zuvor eine leidenschaftliche Rede gehalten hatte, bleibt im Amt – bis auf Weiteres. Denn die Grünen erwägen, einen neuen Anlauf zu nehmen. Falls Husen sich das antut. Auf Twitter schrieb sie noch in der Nacht nach der Sitzung, sie habe in Eimsbüttel in den letzten Monaten viele tolle Grünen- und CDU-Politiker*innen kennengelernt „und diese Erfahrung allein war es wert“. Das klingt nach Abschied und wäre auch ein gutes Schlusswort unter eine kommunalpolitische Posse.

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Dieser Amateur-Putsch hat einen der wenigen Momente hervorgebracht, in denen verfasste Politik von der Choreografie abweicht, ja, in der Politiker*innen nach ihrem Gewissen entschieden haben und nicht nach Parteiräson. Skandalös ist nicht, dass es ein paar Abweichler*innen bei Grünen oder CDU gibt, sondern mit welcher Rücksichtslosigkeit die erstarkten Grünen ihre eigenen Interessen durchboxen wollten.

Sie hatten Gätgens, der über die Parteigrenzen respektiert wird, vor drei Jahren gemeinsam mit der SPD gewählt. Und seine Amtszeit – mit Gehaltsanspruch – dauert noch drei Jahre. Deswegen konnte man seine Nachfolge derzeit auch nicht ausschreiben, wie es die Grünen sonst stets fordern. War in diesem Fall nicht so wichtig, es gab ja eine verdiente und zweifellos ebenfalls qualifizierte Grüne.

Inhaltlich hat es mit Gätgens vor allem bei Radwegen und Wohnungsbau geknirscht. Bei beiden Themen ist Eimsbüttel ziemlich weit vorne, bei den Radwegen aber nicht weit genug, finden die Grünen, beim Wohnungsbau zu weit: Man würde hier, im Einklang mit der CDU, gern auf die Bremse treten und lieber mehr Grünflächen erhalten, wegen der Lebensqualität.

Ein bisschen klingt das nach einer Koalition der Besitzenden: Wer schon eine Wohnung in Eimsbüttel hat, soll sie auch genießen können. Neuankömmlinge mögen sich bitte mit einer weniger attraktiven Wohnlage bescheiden. Beide Themen aber, so scheint es, ließen sich mit einer parlamentarischen Mehrheit steuern, auch wenn der Bezirkschef andere Privatmeinungen vertritt.

Sorge ums grüne Reinheitsgebot

An anderer Stelle hat die Sorge um das grüne Reinheitsgebot noch gravierendere Folgen: Im Bezirk Mitte sah auch alles nach einer grün-schwarzen Koalition aus – bis zwei türkischstämmige Abgeordnete aus den eigenen Reihen wegen vermeintlich islamistischer Umtriebe denunziert wurden, aufgrund hanebüchener Indizien, die vor der Aufstellung der Wahllisten ebenso bekannt wie offenkundig unproblematisch waren.

Die beiden wurden bei der Fraktionsbildung außen vor gelassen und so samt einer weiteren, solidarischen Abgeordneten in die Arme des Wahlverlierers SPD getrieben. Die ist damit unverhofft in die Lage gekommen, eine Mehrheit zu schmieden.

Viele Medien veröffentlichten die These, dass auf diese Weise in erster Linie eine innerparteiliche offene Rechnung beglichen wurde. Die potenziell Beteiligten schweigen dazu beharrlich. Wer trotzdem berichtet, bekommt Post vom Anwalt. Aber was steckt hinter dieser grünen Selbstentleibung, wenn nicht persönliche Animositäten? Die Vermutung liegt nahe, dass die Grünen schlicht mit allem fremdeln, was nicht weiß und akademisch gebildet ist.

Einblicke in eine so überambitionierte wie tölpelhafte Partei, in der offenbar auch die Parteispitze keinen mäßigenden Einfluss hat

Zwei ihrer vier gewonnenen Bezirke haben die Grünen nun schon mit Vollgas gegen die Wand gefahren. Von dort kommt nun eben keine Blaupause für einen grün-schwarzen Senat, sondern es kommen eher ungeahnte Einblicke in eine so überambitionierte wie tölpelhafte Partei, in der offenbar auch die Parteispitze keinen mäßigenden Einfluss hat. Dass die gerade erst aalglatt im Amt bestätigt wurde, macht nichts besser.

Die Hamburger*innen können mitten im Vorwahlkampf schon mal live reinschnuppern in eine Stadt, in der die Grünen den Ton angeben. Es riecht nicht gut.

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Jan Kahlcke
Redaktionsleiter
Jan Kahlcke, war von 1999 bis 2003 erst Volontär und dann Redakteur bei der taz bremen, danach freier Journalist. 2006 kehrte er als Redaktionsleiter zur taz nord in Hamburg zurück
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11 Kommentare

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  • Das sind Provinzpossen, ziemlich irrelevant. Aber: Die Grünen haben im rot-grünen Senat fast keine inhaltlichen Akzente gesetzt (abgesehen von ein bisschen Widerstand gegen Wohnungsbau). Ein reiner SPD-Senat wäre inhaltlich kaum weniger grün gewesen. Das wäre wohl in einer Koalition mit konservativen Parteien nicht anders, auch und gerade unter einer Bürgermeisterin Fegebank. Es geht nie um Inhalte, es geht darum, irgendwie verdiente Funktionäre möglichst quotengerecht mit Posten zu versorgen.

    • @Ruediger:

      CDU und FDP hinterlassen in Hamburg immer einen Scherbenhaufen, ein dickes Minus und Ratlosigkeit. Dass die Grünen diese Parteien in die Regierung hieven wollen, ist mehr als bedenklich.

  • Kay Gätgens ist nicht der springende Punkt. Die arrogante und nicht wirklich kompetente Führung der Partei wird sabotiert. Die Personen, die nicht für diese Idee gestimmt haben, wußten sehr genau, warum sie das getan haben und nun wird die Suche nach den U-Booten auch massiv losgehen, was aber eher den Effekt haben wird, dass diese Fraktion in Eimsbüttel noch kapputer wird. Die SPD schwächelt, das ist nicht unbedingt die Stärke der Grünen. Aber es könnte sie werden, vorausgesetzt die Grünen können CDU und FDP sich hinbiegen, sonst wird es massiv nach Hinten losgehen. Außerdem sind die Linken den Grünen auf den Fersen - verfolgen deren Rechtsruck oder Entdecken der Bürgerlichkeit äußerst kritisch. Und es ist schon interessant, wenn man jahrelang Rot-Grün als Modell der Machtbarkeit preist und dann mit den schwachen, problematischen Parteien CDU und FDP ins Bett will? Außerdem passen die eigentlich nicht zusammen.

  • "Hamburgs Grüne können zurzeit vor Kraft kaum gehen." Das scheint mir ein Trugschluss zu sein. Kraft hätte bedeutet, auch bei Gegenwind noch sicher stehen und geradeaus gehen zu können. Aber es zeigt sich nun, dass die Grünen, wenn sie einmal im Schatten des Rückenwindes (Klimadebatte) stehen, sofort unsicher und schwankend werden. Und auch umfallen -wie der Verzicht auf eine Ausschreibung in Eimsbüttel zeigt. Merkwürdig auch, dass in den Bezirken Mitte u Eimsbüttel immer wieder die Namen Osterburg und Galina auftauchen!

    • @Nikolausi:

      Man kann nicht ausschreiben, wenn es einen Bezirksamtsleiter gibt, sondern nur den bestehenden durch ein Misstrauensvotum ersetzen.



      Siehe auch § 34 Bezirksverwaltungsgesetz. Erst informieren, dann schreiben bzw. Sachen behaupten !!!!

    • @Nikolausi:

      im Schatten des Rückenwindes?

  • „Beide Themen aber, so scheint es, ließen sich mit einer parlamentarischen Mehrheit steuern, auch wenn der Bezirkschef andere Privatmeinungen vertritt.“



    Sorry, aber Herr Kahlcke hat leider wenig bis keine Ahnung von Bezirkspolitik in HH und kann sich offensichtlich nicht vorstellen, wie schwierig es ist Beschlüsse gegen das Bezirksamt und damit ggf. auch die Fachbehörden durchzusetzen.

  • Herrn Kahlke empfehle ich sich mal mit der Person Kay Gätgens besser zu beschäftigen. Ich habe das jahrelang in der Eimsbüttler Kommunalpolitik gemacht. Er ist ein SPD Apparatschik und setzt derzeit nur die SPD Senatspolitik durch. Warum sollen die Grünen in Eimsbüttel einen SPD Bezirksamtsleiter im Amt belassen, der ihren Koalitionsvertrag behindern wird wo er nur kann. Wie naiv ist diese Forderung denn. Als Grüner Wähler will man doch wohl auch die grüne Politik umgesetzt haben. Ein Blick in das Bezirksverwaltungsgesetz hätte auch ergeben, dass diese Möglichkeit des Misstrauensvotums vollkommen o. k. ist. Der ganze Kommentar ist so etwas von in undifferenziert, schon peinlich für die TAZ.

  • Politischer Stil und politische Professionalität sind jetzt mal das eine: gibt's halt nicht immer. Schlimmer ist doch, dass es eine so große Gruppe unter den Grünen gibt, die mit der CDU wollen. Es ist eine auch inhaltliche "Selbstentleibung" - und ein Offenbarungseid dazu.

  • 0G
    05437 (Profil gelöscht)

    Stimmt wohl, dass das nicht ideal gelaufen ist. Wer allerdings genauer in die Bezirke reinschaut und sich in die Niederungen des öffentlichen Dienstes begibt, erkennt, dass die SPD dort mittlerweile schaltet und waltet, als hätte sie einen ewigen Machtanspruch. Da wird gedroht, gekungelt und geschoben, dass die SED neidisch wäre. Selbst wenn es mit den Grünen nicht ideal laufen wird, ist Schwarz-Grün immer noch besser als der Status quo.

  • Die hamburger Grünen haben ja bereits inhaltlich alle fortschrittlichen Positionen geräumt , die sie zu GAL Zeiten wählenswert gemacht hatten.



    Dies hat sich zB an dem tönernen Schweigen der Parteiführung bei G20, gezeigt. Aber auch bei einer unambitionierten Umwelt - und Verkehrspolitik.



    Die abstossenden Vorkommnisse im Bezirk Mitte und nun Eimsbüttel zeigen, das die Parteiführung jegliches Schamgefühl abgelegt hat und blanke Macht- und Postenpolitik betreibt. Also genau das, was die Urgrünen immer verhindern wollten.



    Schadenfreude ist hier also angebracht.