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Grüne in ThüringenHart im Wind

Die Thüringer Grünen haben es mit 5,2 Prozent nur knapp in den Landtag geschafft. Für die Wahlschlappe gibt es viele Gründe. Eine Analyse.

Sehen sich vor „Denksportaufgabe“: Anja Siegesmund und Grünen-Chef Robert Habeck Foto: Reuters

Berlin taz | Anja Siegesmund hat keinen leichten Job. Als Wahlziel hatte die Spitzenkandidatin der Thüringer Grünen die Zweistelligkeit ausgegeben. Nun muss sie in der Berliner Bundespressekonferenz begründen, warum sie nur die Hälfte geschafft hat. Das Ergebnis sei „eine Denksportaufgabe“, die es auszuwerten gelte, sagt sie. Der Wahlkampf sei sehr polarisiert gewesen. Grünen-nahe WählerInnen hätten sich „taktisch überlegt“, zum Ministerpräsidenten zu wechseln.

Denksportaufgabe – so kann man es sehen. Die erfolgsverwöhnten Grünen mussten am Montag ein mageres Wahl­ergebnis erklären. Mit 5,2 Prozent sind sie in Thüringen gerade noch so ins Landesparlament gerobbt. Ein herber Schlag für die Ökopartei, die im Bund in Umfragen zwischen 20 und 24 Prozent liegt. Wie kam das Ergebnis zustande?

Dass Bodo Ramelow, der beliebte Ministerpräsident der Linkspartei, den Grünen wenig Raum ließ, ist schwer zu bestreiten. Bei ihren AnhängerInnen ist er beliebt: 92 Prozent der Grünen-WählerInnen finden laut der Forschungsgruppe Wahlen, dass er seine Sache gut macht. In einer Zeit, in der sich viel verändere, in der die AfD stark und die Stimmung aufgeheizt sei, gebe es einen „last Swing“ zum Ministerpräsidenten, sagt auch Grünen-Chef Robert Habeck. Das sei in Thüringen so gewesen, aber auch in Brandenburg und Sachsen.

Unschön für die Grünen: Das beliebte Narrativ, sie seien der Gegenpart zur AfD, wurde in allen drei ostdeutschen Wahlen widerlegt. Diejenigen, die die Rechtspopulisten verhindern wollten, wählten im Zweifel lieber Dietmar Woidke (SPD), Michael Kretschmer (CDU) oder eben Ramelow. Der Widerstand gegen die AfD zahlte jedenfalls kaum bei den Grünen ein.

2,9 Prozent im Kyffhäuserkreis

Wahr ist aber auch, dass die Situation in Thüringen speziell ist. Anders als in Brandenburg oder Sachsen gibt es keine Großstädte mit ausgeprägt Grünen-affinen Milieus. Erfurt hat 214.000 Einwohner, Jena 111.000 – da spielen Dresden (555.000) oder Leipzig (588.000) in einer anderen Liga. Der Thüringer Landesverband musste mit seinen knapp 1.200 Mitgliedern vor allem den ländlichen Raum bespielen – und kämpfte mit erheblichen Problemen. Die Grünen erreichten dort Werte einer Kleinstpartei, im Kyffhäuserkreis zum Beispiel 2,9 Prozent.

Entscheidend für das schwache Ergebnis ist wohl auch, dass die Thüringer Grünen als Ein-Themen-Partei wahrgenommen wurden. Das Bild, das die WählerInnen von ihnen haben, ist katastrophal ein­dimensional. So trauen den Grünen laut der Forschungsgruppe Wahlen nur 3 Prozent der WählerInnen Kompetenz bei Schule und Bildung zu. Noch schlechter sind die Kompetenzzuschreibungen bei Arbeitsplätzen (1 Prozent), sozialer Gerechtigkeit (2 Prozent) oder Wirtschaft (1 Prozent) – klassischen Brot-und-Butter-Themen also. Die einzige Ausnahme bildet mit 31 Prozent der Klimaschutz.

Astrid Rothe-Beinlich, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion im Landtag, übt Selbstkritik: „Unser Wahlkampf war auf zu wenige Themen verengt.“ Neben Klimaschutz und starke Demokratie hätten die Landes-Grünen „andere Inhalte, die viele Menschen interessieren, nach vorne schieben müssen – zum Beispiel die Bildungspolitik“.

Da dürfte etwas dran sein. Die Thüringer interessierte laut Umfragen die Situation an Schulen deutlich mehr als Klimaschutz. Die Grünen sendeten mit ihrem ökologischen Fokus am Interesse der Menschen vorbei. Hinzu kam, dass der Streit um die Windkraft ideologisch maximal aufgeladen war, weil die CDU gegen den „Windrad-Wahnsinn“ plakatierte.

Voreilige Siegesgewissheit

Im Landesverband wird hinter vorgehaltener Hand ein weiterer Punkt benannt. Man sei sich seiner „Sache zu sicher“ gewesen, heißt es. Dies sei der erste Wahlkampf gewesen, in dem es nicht darum zu gehen schien, in Thüringen überhaupt den Einzug in den Landtag zu schaffen. Die Ausgangslage war in dieser Lesart zu luxuriös. Vielleicht fehlte deshalb die Motivation, wirklich alles zu geben.

Klar ist, dass die gestiegene Wahlbeteiligung ­gegen die Grünen arbeitete. Vorherige Nichtwähler stärkten dieses Mal massiv die AfD, die Linke und die CDU. Die Grünen gingen fast leer aus. Obwohl sie in absoluten Zahlen sogar leichte Gewinne verzeichnen konnten, schnitten deshalb sie in Prozentpunkten schlechter ab als bei der Wahl vor fünf Jahren.

Dennoch wollen sich die Grünen nicht vor einer Regierungsbeteiligung drücken. Sie, kündigt Siegesmund an, gingen „offen“ in die Gespräche mit dem Wahlsieger Ramelow. Auch Habeck versucht, es gelassen zu nehmen: „Nirgendwo steht geschrieben, dass der Wind immer nur von hinten kommt.“

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7 Kommentare

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  • Die Ideen der Grünen gehen meiner Meinung nach oft in die richtige Richtung, aber bei weitem nicht weit genug. Was in Thüringen, besonders bei der Spitzenkandidatin Frau Siegesmund fehlt, ist dass sie persönlich hinter dem steht was sie sagt.



    Sie redet viel von günstigem Reisen mit dem Zug und dass man auch für den Arbeitsweg öffentliche Verkehrsmittel nutzen soll. Sie selbst jedoch lässt sich, als Umweltministerin, täglich mit dem Auto von einem Fahrer aus Erfurt in Jena abholen und nach Feierabend wieder zurückbringen. Auch für den Wahlkampf sind die Wege mit dem Auto durchgeführt worden.



    Dieses Handeln fördert nicht das Vertrauen in die Grünen als Öko-Partei die sich für eine Verkehrswende einsetzen.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Es fängt schon bei der Headline an: eine "Wahlschlappe" muss es schon sein. Darunter geht's offenbar nicht.

    Wer sich dieser Bewertung nicht anschließen mag (dafür gäbe es eine Reihe guter Gründe), kann sich bereits dem nächsten Thema widmen.

    Ich übersetze jetzt mal ganz salopp "Wahlschlappe" in "Wahlenttäuschung".

    Welche Gründe gibt es dafür?

    Als Erstes fiele mir 'Fehleinschätzung' ein. Erfurt ist nicht Berlin. Hier ging es um Landespolitik, nicht um Bundespolitik.

    Zweitens: Die Linke unter Bodo Ramelow ist nicht wirklich links. Haben auch schon für die taz schreibende Menschen angemerkt.

    Drittens: wer die AfD verhindern wollte, ohne der CDU in die geöffneten Arme zu fallen, wählte nicht SPD oder Die Grünen, sondern den Stabilisator: Bodo Ramelow. (In unruhigen, chaotischen Zeiten stets ein Erfolgsgarant.)

    Viertens: habe ich vergessen.

    Fünftens: ich gebe zurück nach Berlin.

    Sechstens: meine Kontoverbindung folgt zeitnah auf externen Kanälen.

    Siebstens: und gut ist.

  • 0G
    07301 (Profil gelöscht)

    Was mich immer wundert ist, dass die GrünInnen in den Städten, die für ein landschaftsfernes Leben fernab von Eigenversorgung mit Lebensmitteln stehen, einen hohen Zuspruch haben.

    Haben die GrünInnen gar keine Lust, selbst den Öko-Anbau zum Lebensunterhalt zu betreiben?

  • Als jemand der die BPK auf Phoenix verfolgt hat: Herr Schulte, Sie haben doch in Ihrer Frage das "beliebte Narrativ" (Grüne gegen AfD) formuliert. Und wenn ich mich recht erinnere, wurden Sie von Herrn Habeck darauf hingewiesen, dass dies ausschließlich ein "beliebtes mediales Narrativ ist", und keine Erzählung ist, die aus den Grünen stammt. Gefolgt von Ausführungen, die Eins zu Eins aus der Feder von Armin Nassehi hätte stammen können.

    Wie es scheint, haben wir (Sie im Saal ich vorm Monitor) darüber hinaus zwei unterschiedliche PKs verfolgt.

  • Vielleicht sind die Grünen ja gerade gegenüber den Erwartungen abgestürzt, weil



    * in der Landesregierung ihre Minsterin für Umwelt zu wenig für den Klimaschutz vorangebracht hat (ich glaube, es gibt nicht einmal eine Freistellungsverordnung für Solar-Freiflächenanlagen),



    * weil viele Wählen den Grünen bei dem Thema des "Ministers für Migration, Justiz und Verbraucherschutz" vielleicht Kompetenz zutrauen, aber nun mal andere Zielvorstellungen haben, und



    * weil es vom Bund Gegenwind gab (z.B. mickrige Ökosteuer-Vorschläge mit schlappen 60 €/t CO2-Preis in 2021) und



    * auch aus Berlin (Mietengesetze und Wohnungs-Enteignungen), was in Thüringen gewisse Erinnerungen bei denjenigen weckt, die nicht ohnehin die SED-Nachfolger wählen.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @meerwind7:

      Dreißig Jahre nach Zusammenbruch der DDR sind - selbst für langsame Menschen - viel Zeit. Viel Zeit, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass es keinen "SED-Nachfolger" gibt.

      Für das Schließen der offensichtlichen Lücken reicht für den Anfang ein Blick in wikipedia: Bodo Ramelow.

      Glückauf!

    • @meerwind7:

      Diese Annahmen sind eher naiv. Ich kann zwar verstehen, dass nach Monaten in einer "Greta-Blase" hier in der taz man tatsächlich den Eindruck bekommen konnte Klimaschutz sei den Menschen wichtig. Auch diverse Umfragen haben dieses Bild gezeichnet. Leider wurde immer vergessen auch danach zu fragen ob die Leute für den so wichtigen Klimaschutz auch bereit sind zu zahlen oder angebliche Freiheiten aufzugeben. Das mit eingepreist ist der Mehrheit der Menschen der Klimaschutz ziemlich egal. Das hat sich in Thüringen im Besonderen gezeigt. Wer auf dem Land wohnt keinen Nahverkehr hat will billigen Diesel und keine CO2 Steuer. Auch von billigeren Bahntickets hat er nichts...fährt ja kein Zug. Wer dann die AfD noch für konservativ hält, wählt eben die, genau aus den Gründen.