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Kommentar Paketdienste und BestellsuchtDas dressierte Kundenhirn

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

PaketbotInnen leiden unter miesen Arbeitsbedingungen, die Branche steht vor dem logistischen Kollaps. Aber es gibt einen Ausweg.

Die ZustellerInnen sind die Letzten in der Servicekette und verdienen mehr Wertschätzung Foto: dpa

E s ist diese Vorfreude, diese kindliche Ungeduld und Gier. Das Belohnungssystem im Hirn springt an. Klick. Und die Sache ist bestellt, für Premium-Kunden bei Amazon oder anderen Großversendern erfolgt die Lieferung vieler Artikel „kostenlos“, „gratis“. Das klingt so, als bekäme man was geschenkt. Super.

Dabei ist das Versprechen der „kostenlosen“ Lieferung nichts als ein Psychotrick, denn bezahlt wird immer, entweder durch die Amazon-Prime-Gebühr oder weil sonst an allem gespart wird, beim Produkt oder beim Versender oder beim Service, auch bei den Paketboten.

Sie sind die Letzten in der Servicekette und sie verdienen mehr Wertschätzung, als nur angeraunzt zu werden, wenn ihr Lieferfahrzeug mal wieder halb auf dem Radweg steht oder wenn sie nach dem Klingeln nicht lange genug an der Tür auf das Erscheinen der Hausherrin oder des Hausherrn gewartet haben. Es ist gut, wenn Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nun die Paketdienste dafür haftbar machen will, dass ihre Subunternehmer korrekt Sozialbeiträge für die Beschäftigten zahlen.

Nur wird der Vorstoß nicht viel an deren Bedingungen ändern. Die überlangen Schichten mit den vielen unbezahlten Überstunden, die die Zusteller leisten müssen, bis der Frachtraum des Wagens am Abend endlich leer ist, die werden bleiben.

Warum nicht ein Fair-Delivery-Siegel?

Zudem steht die Paketbranche vor dem logistischen Kollaps, denn die Bestellberge wachsen, und es ist absurd und unökologisch, dass sich heute Paketboten mit großen Lieferfahrzeugen durch die Staus kämpfen, weil sich KundInnen fast jede Unterhose, fast jeden Kugelschreiber in der gewünschten Marke und Farbe „kostenlos“ an ihre Haustür liefern lassen können. Gerade die Prime-Mitgliedschaft verführt dazu.

Dabei gibt es Alternativen: Packstationen sind gut. Ein Zusammenschluss der Paketdienste, sodass am Ende nur immer jeweils ein Bote einen bestimmten Kiez bedient, das wäre noch besser. Und warum nicht ein Fair-Delivery-Siegel für Versender, die über Paketdienste mit sozialen und ökologischen Standards verschicken, die Tarifentgelte zahlen und Lastenräder benutzen, zum Beispiel?

Dann könnte man sich den Rucksack aus reycelten PET-Flaschen über Fair Delivery an die Abholstation schicken lassen, eine Versandgebühr wird wieder ordentlich ausgewiesen, man würde etwas länger warten auf den Artikel, vielleicht nicht mehr so viel bestellen, also Geld sparen. Das KundInnenhirn würde nicht mehr im Kaufrausch wüten, sondern sich entschleunigen, erwachsener, unabhängiger werden. Klingt gut. Die Frage ist, ob wir uns so was überhaupt noch vorstellen können.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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13 Kommentare

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  • Und wenn ich sehe, wie sich meine Wohnung mit Zeug füllt, muss ich mit meinem dressierten Hirn mal ein Wörtchen reden.

  • "Bestellsucht": "dressierte Kundenhirn[e]" im "Kaufrausch".

    Zur Psycho-Pthologisierung als Mittel der Rabulistik sei hier vorweg ein Beitrag der ex-Tazlerin Stokowski empfohlen:



    www.spiegel.de/kul...auf-a-1264894.html

    Darüber hinaus wäre es wohl klüger mal nach den systemischen Ursachen zu fragen, statt ethischen Konsum zu predigen und an die Macht des Verbrauchers zu appellieren. Das hat schon bei dem um die halbe Welt gereisten Bio-Rohrohrzucker genausowenig funktioniert wie beim Bio-Sprit den wir uns ob seiner Nachhaltigkeit in umso größeren Mengen ins SUV kippen. Es ist ganz einfach Ziel und Zweck einer Marktwirtschaft über den Konkurrenzdruck das niedrigst-mögliche Preisniveau zu erreichen und das geht eben nahezu zwangsläufig mit der Ausbeutung von Mensch und Natur einher. Dass sich mit immer noch weiteren Bio-/Fair-Siegeln an dieser systeminhärenten Logik nichts ändern lässt war u.A. schon bei Eiern, Holz oder Kakao zu beobachten wo aus Konkurrenz- und Preisdruck der Unterbietungswettkampf dann mit eigenen Siegeln oder gekauften Zertifikaten innerhalb des "ethischen" Marktsegments reproduzierte.

    Die Verssandkosten meine letzten Bestellung lagen bei knapp 6€. Man sollte meinen, dass dafür eine Zustellung mit hinreichend menschenwürdigen Arbeitsbedingungen eigentlich möglich sein müsste. Wenn davon aber nur ca 2€ beim Zusteller ankommt, stellt sich doch die Frage wo der Rest des Betrags bleibt und ob der Zusteller tatsächlich besser dastehen würde, wenn z.B. 8€ für einen fairen Versand fließen würden.

  • Ich kann mir nicht vorstellen, dass Packstationen viel ökologischer sind wenn jeder Kunde sein Paket einzeln mit dem Auto abholt.

    • @Mikey K.:

      Oh doch! Packstationen sind tatsächlich ökologischer als sie meinen. Wenn Sie Ihr Paket selbst abholen, weil sie vom Paketboten nicht erreicht wurden, dann ersparen Sie dem Boten die oftmals wiederholten Lieferversuche an Ihre Adresse.



      Aber wenn Sie tatsächlich Ökologie im Sinne haben, dann ersparen Sie es sich und Ihrer Umwelt überhaupt via Internet einzukaufen. Kaufen oder bestellen Sie doch im Handel vor Ort. Das sichert dort Arbeitsplätze und erspart Ihnen die lästigen Umtausch-Rücksendungen. Und Sie können sich dabei auch noch Geld sparen, weil man den hier apostrophierten Kaufrausch-Versuchungen erfolgreich aus dem Weg gehen kann.



      Und als Zuckerl obendrauf: Damit bekämpfen Sie auch noch jene globalen Versandhauskraken die hier sowieso keine Steuern bezahlen - aber den Markt kaputt machen.

  • gute idee.



    ich habe neulich nach laengerer zeit mal wieder meinen co2-fussabdruck kalkuliert und war ueberrascht, dass der groesste durchschnittswert nicht das fliegen oder mobilitaet im allgemeinen, sondern der konsum war. beim co2-einsparen wird immer als erstes der boese flugverkehr als karte gezogen, dabei ist der durchschnittskonsum eines deutschen weit mehr füer den klimawandel verantwortlich als der urlaubsflug.

    uba.co2-rechner.de/de_DE

    • @the real günni:

      Das Fliegen steht im Fokus, da relativ einfach (zumindest bei Urlaubsflügen) auf eine erhebliche co2 Menge verzichtet werden kann. Um diese Menge beim Konsum zu sparen, sind erhebliche Anstrengungen erforderlich; da genügt es nicht auf Kaffeekapseln zu verzichten...

      • @Strolch:

        wirklich? sind es erhebliche anstrengungen, sich zum beispiel gebrauchte gegenstaende oder kleidung zu besorgen? welche konsumgueter gibt es denn in rauhen mengen - ein gang durch eine beliebige einkaufsstrasse genuegt. wieviel brauchen wir von alldem? so ganz ehrlich und ganz unbedingt? zu wieviel prozent bedient der kaufkonsum nur unsere dopaminausschuettung? was werfen wir in den muell, und wieviel?

  • Ja, aber: "Das KundInnenhirn würde nicht mehr im Kaufrausch wüten, sondern sich entschleunigen [...]". So lange dieser "Kaufrausch" wesentlicher Bestandteil des Geschäftsmodells bleibt werden es die grossen Onlinehändler mit Zähnen und Klauen verteidigen.

    Wird zeit, dass diese Geschäftsmodelle nicht mehr zulässig sind. Zusammen mit der Globalisierung sind sie Gift.

  • Wie sieht denn das GEsamtbild aus?

    Es gibt Berichte, wonach die Durchschnittslöhne (in den USA) im Versandgeschäft knapp 1/3 höher sind als im Einzelhandel.*

    Einen ähnlichen Artikel wie über die Paketboten könnte man wahrscheinlich auch über die Kassiererinnen im Einzelhandel schreiben ...

    Zudem stellt sich die Frage, warum sich die Paketboten den Job antun. Angeblich haben wir gerade die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 30 Jahren, was entsprechende Alternativen öffnen sollte für Jobwechsel.

    *Quelle: www.digitaltonto.c...seem-to-get-wrong/

  • Zusammenschluss der Paketdienste, sodass am Ende nur immer jeweils ein Bote einen bestimmten Kiez bedient, das wäre noch besser.

    Das sieht das Kartellrecht anders...

  • Hoert sich gut an - ich waere dabei.

    Ansonsten geben wir meist den Paketboten 2 Euro extra als kleines Dankeschoen um den Wahnsinn etwas ertraeglicher zu machen.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @MusicMario:

      Das mache ich auch so.

      Und im Übrigen gibt es eine vom Freiburger Ökoinstut abgesegnete Studie, die belegt, dass Versandhandel ökologischer ist als stationärer Handel.

      etailment.de/news/...ltfreundlich-16392

      Was natürlich nichts an den lausigen Arbeitsbedingungen ändert.

      Nach meiner Erfahrung sind die Kolleginnen und Kollegen von GPS und Hermes am ärgsten dran. Die DHLer haben eher Zeit für zwei, drei Sätze.

      • @88181 (Profil gelöscht):

        "Weß Brot ich ess, deß Lied ich sing."



        Bezahlt wurde die Studie von OTTO/Hermes.



        Falls die 1000 Leute die sind, die angerufen werden und wo ich immer das Gespräch höflich abwürge (durch ein geschenktes SKL-Los vor zig Jahren ist die Telephonnummer "viral" gegangen) ist die eh ned das Papier wert, auf dem die ausgedruckt wurde. Da kann die methodische Aufarbeitung noch so vorbildlich gewesen sein.



        Das Kfz. ist bei den Leuten eh vorhanden, also müsste auch die Herstellung von Unmengen an Kleintransportern mitreingerechnet werden etc. pp. . Ebenso werden OTTO/Hermes wohl auch geschönte, äh, optimierte Daten rausgegeben haben...