Kolumne Liebeserklärung: Die Klimaretterin lauert im hohen Gras
Der Klimawandel scheint unaufhaltbar. Doch vom Südosten der USA aus schickt sich ein kleines Tierchen an, die Menschheit zu retten.
W ährend die jungen Leute für den Klimaschutz protestieren und die alten Leute offenbar nichts auf die Reihe bekommen, um die Zukunft der Menschheit wirklich zu retten, taucht am Horizont ein Hoffnungsschimmer auf. Der Hoffnungsschimmer heißt Amblyomma americanum und ist eine Zecke.
Einer der größten Klimakiller ist bekanntlich die Neigung des Menschen zur karnivoren Ernährung. Doch aus dem Südosten der USA naht Rettung: Die Lone-Star-Zecke übernimmt kurzerhand die Überzeugungsarbeit und macht mit einem Biss den Menschen zum Vegetarier. Denn im Speichel des kleinen Klimaretters ist ein Zuckermolekül mit dem schönen Namen Galactose-alpha-1,3-Galactose enthalten, das auch in rotem Fleisch vorkommt. Gelangt der Stoff ins Blut, produziert unser Immunsystem Antikörper, welche sich fortan im Magen der Zuckermolekül-Bekämpfung widmen.
Für den gebissenen Menschen sind die Folgen zunächst einmal unerfreulich. Vom Ausschlag über Kurzatmigkeit bis hin zum unfreiwilligem Nahrungsauswurf reichen die Symptome, die einige Stunden nach dem Fleischverzehr auftreten. Bis der Auslöser identifiziert ist, machen die Betroffenen ihr Martyrium oft mehrfach durch. Linderung bringt nach aktuellem Stand der Medizin nur der Verzicht auf rotes Fleisch – Geflügel und Fisch sind noch erlaubt.
Die Mission Klimarettung kann die Zecke mit dem gelben Tupfer auf dem Rücken gegenwärtig übrigens ausgerechnet durch den längst laufenden Klimawandel auf den Rest der USA ausweiten. Denn wärmere Temperaturen ermöglichen dem Lone Star erst die Erschließung neuer Lebensräume. In Europa gibt es die Zecke noch nicht. Aber Forscher haben Alpha-Gal, wie sie das fatale Zuckermolekül liebevoll nennen, bereits bei anderen Arten nachgewiesen – etwa beim Gemeinen Holzbock, der auch in Deutschland fleißig Menschen beißt.
So leistet eine kleine Zecke ihren bescheidenen Anteil zur Rettung der Welt. Das ist mehr, als wir scheinbar von den Meisten erwarten können, die eigentlich im großen Maßstab Dinge bewegen könnten. Dafür sind wir der kleinen Zecke dankbar.
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