piwik no script img

Debatte Parität im ParlamentDie Axt an der Freiheit

Kommentar von Winfried Thaa

In den Parlamenten sitzen zu wenige Frauen. Ein Paritégesetz wie in Brandenburg ist aber der falsche Weg, diesen Missstand zu bekämpfen.

Nicht nur in Brandenburg hinken die Frauen bei der Besetzung politischer Ämter hinterher: Sitzung des Bundestages Foto: dpa

D as Paritégesetz Brandenburgs, das Parteien dazu verpflichtet ihre Wahllisten paritätisch mit Männern und Frauen zu besetzen, hat in der linken und liberalen Öffentlichkeit ein überwiegend positives Echo gefunden. Die taz verglich es mit der Einführung des Frauenwahlrechts vor 100 Jahren und bezeichnete es als „Meilenstein für die deutsche Politik“. Ein Meilenstein ist dieses Gesetz gewiss, allerdings einer auf dem Weg zur Aushöhlung politischer Gleichheit als demokratischen Grundprinzips.

Die positiven Kommentare zum Brandenburger Gesetz weisen in der Regel darauf hin, dass der Anteil von Frauen in den deutschen Parlamenten deutlich unter 50 Prozent liegt, im Bundestag sogar bei der letzten Wahl wieder leicht auf nun 30,9 Prozent gesunken ist. Dies lässt sich mit guten Gründen als ein zu bekämpfender Missstand sehen.

Aber ist es legitim und politisch richtig, ihn zu beseitigen, indem man die Parteien per Gesetz verpflichtet, ihre Listen paritätisch mit Männern und Frauen zu besetzten? Der damit verbundene Eingriff in die demokratische Willensbildung der Parteien und damit indirekt auch in die Wahlfreiheit der Bürger wird in der Regel mit dem Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes gerechtfertigt. Vor allem ein Satz in Artikel 3 des Grundgesetzes wird hierfür herangezogen. Er lautet: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

Nun ließe sich darüber streiten, ob dieser Satz tatsächlich den staatlichen Auftrag enthält, in allen gesellschaftlichen Bereichen eine strikte Geschlechterparität durchzusetzen. Schließlich steht der Artikel 3 unter der Überschrift „Gleichheit vor dem Gesetz“. Gleichberechtigung verbietet mit Sicherheit Benachteiligung und Diskriminierung. Ob sie Parität in allen gesellschaftlichen Bereichen verlangt, ob also etwa alle Stellen im Erziehungs- und Bildungsbereich oder alle Technikerstellen zu jeweils 50 Prozent mit Männern und Frauen zu besetzen sein müssten, dürfte gesellschaftlich, rechtlich und politisch höchst umstritten sein.

Aufgelöst in Gruppenzugehörigkeiten

Bei Parlamentswahlen haben wir es jedoch mit einem anderen Fall zu tun. Hier geht es um die politische Repräsentation der Gesellschaft und damit auch um die Verteilung von Machtpositionen. Darauf bezogen, lautet die Argumentation, das Parlament sollte gerechterweise die Zusammensetzung der Bevölkerung widerspiegeln. Die ehemalige Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt formulierte gerade erst in der Süddeutschen Zeitung, Frauen wollten sich „als die eine Hälfte des Volkes im Parlament entsprechend repräsentiert sehen“.

Ein solches Plädoyer für eine die Struktur der Bevölkerung möglichst genau widerspiegelnde Repräsentation im Parlament wirft selbstverständlich die Frage auf, warum sie nur für Frauen gesetzlich durchgesetzt werden sollte, nicht aber auch für andere benachteiligte Gruppen. Die amerikanische Feministin Iris Marion Young forderte deshalb für die USA auch bereits in den 1990er Jahren besondere Repräsentationsrechte für eine lange Reihe historisch unterdrückter Gruppen: für „women, blacks, Native Americans, Chicanos, Puerto Ricans and other Spanish-speaking Americans, Asian Americans, gay men, lesbians, working-class people, poor people, and mentally and physically disabled people“.

Die Konsequenz, mit der Young ihre Konzeption von Gruppenrepräsentation und differenzierter Staatsbürgerschaft ausbuchstabiert, enthüllt zugleich deren Kehrseite: Die rechtliche und politische Gleichheit, auf der moderne Demokratien basieren, wird aufgelöst in Gruppenzugehörigkeiten.

Anders als in traditionalen Gesellschaften entsteht mit der modernen Demokratie eine politische Ordnung, die nicht mehr der Ordnung der Gesellschaft entspricht. Die Gleichheitsordnung bildet hier einen eigenen, gewissermaßen künstlich geschaffenen Bereich, in dem Konflikte unter Abstraktion von gesellschaftlichen Hierarchien politisch, das heißt durch Diskussionen und letztlich durch Wahlen und Abstimmungen, entschieden werden.

Gewiss hebt die rechtliche und politische Gleichheit, wie schon vor mehr als 150 Jahren Marx kritisierte, die weiterbestehenden gesellschaftlichen Ungleichheiten nicht auf. Die Arbeiter blieben Arbeiter, auch als sie das allgemeine und gleiche Wahlrecht erkämpft hatten. Ihre Parteien konnten jedoch, sofern sie Mehrheiten gewannen, über Arbeitsgesetze, Bildungspolitik und staatliche Umverteilung auf den Abbau dieser Ungleichheiten hinwirken. Und grundsätzlicher: Gerade die Abstraktion von weiterbestehenden gesellschaftlichen Ungleichheiten schafft einen Bereich, in dem sich Menschen als Gleichberechtigte begegnen und frei entscheiden können. Deshalb setzt er auch eine Handlungslogik frei, die derjenigen von Markt und Herrschaft entgegensteht.

Erst die Abstraktion schafft einen Bereich, in dem alle sich als Gleichberechtigte begegnen können

So steht es politischen Parteien selbstverständlich frei, Maßnahmen zu fordern, mit denen existierende Diskriminierungen beseitigt und Hindernisse für eine politische Repräsentation benachteiligter Gruppen abgebaut werden sollen. Eine Partei kann auch beschließen, mehr Kandidatinnen als Kandidaten zur Wahl zu stellen – ein Recht, das die Grünen seit Jahren so wahrnehmen.

Ein Gesetz jedoch, das es Parteien verbietet, zur Wahl zu stellen, wen sie wollen, und ihnen vorschreibt, in welchem Umfang sie bestimmte Bevölkerungsgruppen auf ihre Listen zu setzen haben, beschränkt die demokratische Willensbildung der Parteien und die Wahlfreiheit der Bürger. Es regelt die Zusammensetzung des Parlaments zunächst in einer, potenziell jedoch in vielerlei Hinsichten statt durch Wahlentscheidungen durch gesellschaftlichen Proporz. Damit legt es die Axt an den Kernbereich politischer Gleichheit und Freiheit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

37 Kommentare

 / 
  • Bei den Verbeamtungen liegen Frauen auch vorne ... ebenso unter den Hochbetagten und den Rentenempfängern. Die Welt ist einfach nicht gerecht ....

  • @normalo und @Taztiz



    Diesen Aussagen kann ich nicht zustimmen.



    Das alles findet immer noch im Patriarchat und in einer männerbestimmten Leistungsgesellschaft statt.



    Dafür, dass es Frauen "schaffen" (@normalo " Der hat es "geschafft"." wieso "der", wenn Sie nahelegen wollen, dass es auch Frauen schaffen??) sind andere Mechanismen verantwortlich:



    Frauen, die "oben" sind,



    - sind embeded



    - sind unterstützt von Männern, weil es nötig ist, dort Frauen zu haben (Politik)



    - sind besonders auf angeblich "höheren" Posten zu finde, die mit extrem viel Arbeit verbunden sind (z, B, Pflege)



    - sind die "besseren" Männer (Frau Merkel ist m. E. eine solche)



    - oder haben massiv zu kämpfen, sich zu halten, wenn sie wirklich eine andere, weibliche oder gar Gleichberechtigung fördernde Position einnehmen.



    Ich bleibe dabei, die Verteilung von Frau und mann ist in zu vielen Bereichen nicht in Ordnung. Ob es eine Quote sein muss, habe ich ja gar nicht behauptet. Die Realtitäten zeigen mir im täglichen Leben, dass eine wie auch immer geartete Gleichstellung oder auch Gleichberechtigung Lichtjahre entfernt ist.



    Es liegt am System, dem natrülich alle diejenigen zustimmen, die ·g l a u b e n· davon profitierne zu können. Wie die Entwicklung des Kapitalismus, der Umweltzerstörung und des Klimawandels zeigen, gehören alle patriarchalen und kapitalistischen Glaubensbekenntnisse in die Tonne. Der Kapitalismua ist nichts anderes als eine Religion, und Religionnen haben die Erde ja schon gaaaanz weit nach vorne gebracht



    Um eine andere, gerechtere Gesellschaft zu kreieren, müssen wir schon etwas mehr an einem Strang ziehen… ohne Patriarchat und Machtkämpfe, die gewinnt, wer am meisten Geld hat oder am besten vermeintlich · s c h l a u· daherreden kann.



    Jetzt sage ich noch was zur Quote: Natürlich ist sie nicht der Weisheit letzter Schluss, aber es wäre ein guter Anfang.



    #··Wie sonst soll Gleichberechtigung gelingen? Männer müssen nunmal etwas ändern, wenn sich etwas ändern soll|darf.··#

  • Im Artikel heißt es:



    "Die ehemalige Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt formulierte gerade erst in der Süddeutschen Zeitung, Frauen wollten sich „als die eine Hälfte des Volkes im Parlament entsprechend repräsentiert sehen“."

    Statt "formulierte" sollte da eher "behauptete" stehen, denn in dem zitierten SZ-Beitrag von Frau Hohmann-Dennhardt wird der angebliche Wille der Frauen durch nichts belegt, nicht mal durch Umfrageergebnisse. Es spricht auch nichts für die Richtigkeit der Behauptung. Die einzelnen Wähler wählen ja nicht das ganze Parlament, sondern eine Partei und einen Direktkandidaten. Die meisten Frauen wollen - wie die meisten Männer - in erster Linie, dass eine von ihnen für richtig gehaltene Politik gemacht wird, und wählen deshalb eine Partei, von der sie annehmen bzw. hoffen, diese werde eine solche Politik durchsetzen. Z. B. werden die meisten linken Frauen, die bei der letzten Bundestagswahl die Linkspartei gewählt haben, nicht den Willen gehabt haben, sich von Alice Weidel und Frauke Petry "repräsentieren" zu lassen - sonst hätten sie ja AfD gewählt.

    Ich als Mann habe jedenfalls gar nichts davon, wenn mehr Männer als Frauen im Parlament sitzen. Von mir aus können 100 % der Bundestagsabgeordneten Frauen sein. Für mich ist entscheidend, welche Politik dort beschlossen wird. Ich wähle lieber eine Frau, deren politische Positionen ich teile, als einen Mann, dessen Positionen ich für falsch halte. Und so werden die meisten Wähler denken, unabhängig von ihrem Geschlecht. Ich habe mit vielen Frauen politische Diskussionen geführt und nicht ein einziges Mal die Klage einer Frau darüber gehört, dass im Bundestag nicht genügend Frauen säßen. Die meisten Leute haben wahrlich andere Sorgen.

  • Guter Kommentar. Ergänzend noch Folgendes:

    § 25 Abs. 3 des neuen Brandenburger Wahlgesetzes lautet:



    "Landeslistenbewerber sowie ihre Reihenfolge auf der Landesliste sind in einer Landesversammlung zu bestimmen. Frauen und Männer sollen gleichermaßen bei der Aufstellung der Landesliste berücksichtigt werden. Hierzu bestimmt die Landesversammlung



    die Liste der Bewerbenden und ihre Reihenfolge für die für Frauen reservierten Listenplätze der Landesliste,



    die Liste der Bewerbenden und ihre Reihenfolge für die für Männer reservierten Listenplätze der Landesliste und



    aus welcher der beiden Listen der erste Listenplatz der Landesliste besetzt wird.



    Die geschlechterparitätische Landesliste wird abwechselnd unter Berücksichtigung der Entscheidung für den ersten Listenplatz und der von der Landesversammlung bestimmten Reihenfolge aus den beiden Listen (Satz 3 Nummer 1 und 2) gebildet. Ist bei der geschlechterparitätischen Bildung der Landesliste nur eine der beiden in Satz 3 Nummer 1 und 2 genannten Listen erschöpft, so kann auf der Landesliste nur noch eine weitere Person aus der anderen Liste benannt werden. Personen, die entsprechend § 22 Absatz 3 und § 45b Absatz 1 Personenstandsgesetz weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können, können frei entscheiden, für welche der in Satz 3 Nummer 1 und 2 genannten Listen sie sich um einen Listenplatz bewerben wollen. Die Sätze 3 bis 6 finden keine Anwendung auf Parteien, politischen Vereinigungen oder Listenvereinigungen, die satzungsgemäß nur ein Geschlecht aufnehmen und vertreten wollen."

    Im letzten Satz wird die Katze aus dem Sack gelassen: Eine Partei, die laut Satzung nur Männer aufnimmt, darf 100 % Männer aufstellen. Eine Partei, die alle Geschlechter aufnimmt und z. B. 40 % Frauen und 60 % Männer aufstellt, wird hingegen nicht zur Wahl zugelassen. Mit Gleichstellung hat das überhaupt nichts zu tun.

  • Im UK wird ja gerade ein Gesetzesvorschlag diskutiert, mit dem Briten ihre Geschlechteridentität per Erklärung ändern könnten. Das wäre für Deutschland bezüglich der wahlparität ebenfalls eine praktikable Lösung - Herr Söder wird Frau Söder etc. und schon stimmt der Proporz.

    • @hessebub:

      Nun das Geschlecht frei wählen zu können wäre interessant. Stellt sich aber dan eine Frage, wie lange ist man daran gebunden? Zweite Frage, dürfte ein Mann der sich per Erklärung zur Frau erklärt hat, auf eine Frauentoilette, in die Frauensauna, zum Frauenschwimmen oder ein auf Frauen spezialisiertes Sportstudio besuchen ohne diskriminiert zu werden? Oder ist er nur eine Frau "zweiter Kategorie". . Stellt sich aber dan eine Frage, wie lange ist man daran gebunden? Zweite Frage, dürfte ein Mann der sich per Erklärung zur Frau erklärt hat, auf eine Frauentoilette, in die Frauensauna, zum Frauenschwimmen oder ein auf Frauen spezialisiertes Sportstudio besuchen ohne diskriminiert zu werden? Oder ist er nur eine Frau "zweiter Kategorie".

      • @Vladimir Z.:

        :D)

      • 7G
        75026 (Profil gelöscht)
        @Vladimir Z.:

        "Wie lange ist man daran gebunden?" Ich würde sagen, so lange, wie man sich danach fühlt. Bei Markus / Tessa Ganserer hat es nur ein paar Wochen gedauert von "will mich nicht für ein Geschlecht entscheiden" zu "fühle mich ganz und gar als Frau".

        Aber sicherlich geht das auch noch schneller. Fühlt sich eine Person als Frau und geht deshalb zum Frauen-Yogakurs und muss dann aufs Klo und da ist aber leider gerade eine Schlange, dann ist's doch nützlich, sich kurzfristig wieder als Mann zu fühlen, um aufs Männerklo gehen zu können. Und vielleicht verfügt die Person ja praktischerweise über das erforderliche Körperteil, um das Urinal zu benutzen.

  • "Nicht nur in Brandenburg hinken die Frauen bei der Besetzung politischer Ämter hinterher:"

    Richtig! Am meisten "hinken" die Frauen hiterher beim Beruf des Maurers, Elektrikers und bei den "Müllmännern" habe ich noch nie eine Frau gesehen.

    Auf geht´s zur Parität, denn: Wenn, dann richttig!

    • @Jens Frisch:

      Als einer der 15% Männer im Pflegeberuf fände ich auch lustig, auf Parität zu pochen und solange keine Frauen mehr einzustellen, bis Ausgeglichenheit besteht ;-)

  • Ich denke nicht, dass irgendjemand davon überzeugt werden muss, dass Demokratie von allen getragen werden muss.

    Wenn Sie aber schon Diverse und zusätzlich Religionen und Rassen aufzählen, müssten Sie folgerichtig auch hierfür Quoten einführen.

    • @sart:

      Und dann? Dann haben wir lauter Akademiker unterschiedlicher Religion und Geschlechter im Parlament.



      Wo bleibt die soziale Parität.

      Und spätestens wenn dann die Grünen eine kopftuchtragende alleinerziehende POC-Deutsche im Wahlkreis Sachsen Hinterm Arsch der Welt als Spitzenkandidatin sucht denken vielleicht manche nach dass Ergebnisgleichheit ziemlich viel Freiheit nimmt.

      Aber das Gute ist das alles findet im fernen Orcus der Mächtigen und Reichen statt.



      Für den Normalbürger hat das keine Auswirkungen - dass nämlich auch 50% Frauen den Dreck im Kanal wegmachen oder 50% der Frauen endlich mit an der Front stehen (Krieg - die Männerdomäne schlecht hin seit 2000 Jahren) - dafür kämpft keiner.



      Im Gegenteil - Selbst von den mitfühlensten Menschen wird das nicht als "Diskriminierung" angeprangert.

  • Nein, Artikel 3 GG verlangt nicht die Durchsetzung einer strikten Geschlechterparität. Schon gar nicht im Parlament. Das Gegenteil von Benachteiligung und Diskriminierung ist schließlich nicht Bevorzugung und Besserstellung. Das Gegenteil ist Gleich-Berechtigung.

    Wir Frauen haben längst verbriefte Rechte. Wenn wir sie noch zu selten nutzen, hat das womöglich seine Gründe. Gründe, die wir erklären könnten, wenn man uns danach fragen würde. Wir werden leider nicht gefragt. Wir werden bloß wieder blamiert – und anschließend bevormundet.

    Es gibt da dieses Video, in dem ein junger Mann einer sehr alten Frau gegen deren erkennbaren Willen über die Straße hilft. So ähnlich stellen sie sich an, die Paritégesetz-Befürworter*innen. Vermutlich gibt es ja auch dafür Gründe. Gründe, die man leider nie erklärt bekommt, wenn man die Leute danach fragt.

    Nachdem mir nie jemand hat sagen wollen, wie er denn auf die alberne Idee gekommen ist, ich müsste mich vor mir beschützen lassen, hab ich mir einen eignen Reim darauf gemacht. Inzwischen bin ich überzeugt: Die "Ritter" wollen überhaupt nichts ändern. Schon gar nicht jene Zuständen, die Frauen Abstand nehmen lassen von ihrer Gleichberechtigung.

    Sie wollen vielmehr tun als ob. Wenn sie es schaffen, denken sie, allen Parteien ihren Willen aufzuzwingen, wird das Problem, das aus Strukturen resultiert, die sich ganz dringend ändern müssten, womöglich einfach unsichtbar. Es sieht dann aus, als wäre alles bestens in der Politik. Trotz Machtmissbrauch, trotz Dummheit und trotz Intriganz wirkt die dann wie ein Hort der Harmonie.

    Nein, es ist weder legitim noch ist es politisch richtig, Parteien per Gesetz zur paritätischen Besetzung ihrer Listen zu verpflichten. Es ist nur dank Struktur der schnellste Weg. Und kurzfristig der sicherste - für Einzelne. Langfristig ist es für die Masse großer Mist. Weil sie wieder bezahlen wird dafür, dass ein paar Wenige 'ne Extrawurst gebraten kriegen. Das Gegenteil von gut ist wohl doch gut gemeint.

  • Wer schon mal bei einem Elternabend war und einer Elternsprecherwahl beiwohnen durfte, weiß, wie froh man sein kann, wenn sich andere freiwillig melden um den Job zu übernehmen. Nicht jeder fühlt sich dazu berufen und fähig so etwas zu machen. Klar werden dann tendenziell immer Personen gewählt, die gerne im Zentrum stehen oder denen es einfach nichts ausmacht sich zu kümmern. Viele stehen aber nicht gerne im Zentrum oder möchten/können sich nicht kümmern.



    Darum würde ich die Aussage "dass Demokratie von allen getragen werden kann und muss", mit Vorsicht genießen.

  • Es gibt eine Rentnerpartei, die die Belange der Renter im Fokus hat. Es gibt eine Bauernpartei, die die Belange der Bauern im Fokus hat. Ich nehme mal an in beiden Parteien sind bevorzugt Rentner und Bauern. Gut so.



    Nun gibt es aber auch eine Frauenpartei (Feministische Partei Die Frauen), die die Belange der Frauen nach vorne bringen will. Soll diese tatsächlich dazu gezwungen werden, 50% Männer mit auf die Liste zu setzen? Hat diese Partei überhaupt genügend männliche Mitglieder? Würde das nicht das Selbstverständnis der Partei komplett zerstören?



    Alleine deswegen, halte ich eine Quote für völlig Demokratiefeindlich.

  • Hmm... Ich sehe ein Paradox in der Argumentation des Autors.



    Wenn er die politische Freiheit und Gleichheit so hochhält, dann muss er doch auch eingestehen, dass es genau diese war, die dieses Gesetz beschlossen hat. Somit lässt sich mit demselben Argument auch herleiten, dass dieses Gesetz eine kluge Entscheidung und Verbesserung ist.

    • @Lesenundschreiben:

      Mit gutem Grund reicht nicht für alle Entscheidungen eine einfache parlamentarische Mehrheit. Da gilt insbesondere für Versuche, das Demokratieprinzip aufzuweichen oder zu unterwandern. Könnte die jeweilige Mehrheit eingeschränken, wie das Volk bei der nächsten Wahl abstimmen darf, wäre das eine zu steile Vorlage für Machtmissbrauch.

      • @Normalo:

        Ja, das sehe ich auch so. Die Gefahr besteht. Und im Prinzip mehr oder weniger immer.



        Da fallen mir spontan Entscheidungen zur Deregulierung der Märkte und Bankenlobbygesetzte ein. Die waren bzw. sind meiner Meinung nach deutlich demokratiegefährdend. Aber das Paritätsgesetz? Hmmm... Ist es wirklich so demokratieidealtypisch, wie es bislang zur Kandidatenaufstellung innerhalb der Parteien kommt?

        • @Lesenundschreiben:

          Die Teilnahme an den parteiinternen Abstimmungen - sowohl aktiv alsauch passiv - ist geschlechtsunabhängig fakultativ. Es kann wortwörtlich mitmachen "wer will". Und dass eine Demokratie nach dem Kumulativ der freien Willensentscheiungen aller Individuen regiert wird, ist aus meiner Sicht der Inbegriff von Demokratie.

          Entsprechend ist der demokratische Weg, etwas gegen etwaige Defizite in den Entscheidungsstrukturen der Parteien zu tun, DORT Mehrheiten für Veränderungen zu schaffen - also genügend Leute zu finden, die das wollen. Wenn man die aber nicht findet, sehe ich wenig demokratischen Sinn darin, diese Änderungen stattdessen von oben herbeizuregulieren.

          Mein Problem ist vor allem die Umkehrung des Entscheidungsweges: ICH habe als Bürger dem STAAT zu sagen, wie ich regiert werden will. Ab diesem Punkt mag dann der Staat mir in vielerlei Hinsicht sagen dürfen, wie ich zu leben habe. Aber diese eine Entscheidung hat von unten nach oben zu fallen. Und so eine Quote bestimmt den Wahlausgang von oben nach unten. Das ist einfach prinzipiell verkehrt.

    • @Lesenundschreiben:

      Hierbei unterstellen Sie, dass demokratisch getroffene Gesetze automatisch Freiheit und Gleichheit fördern oder zumindest nicht beschneiden können. Das ist aber schon einmal per se Unsinn.

      • @sart:

        Ganz genau so ist es.



        Fällt jeder|m auf, der Gesetze aufmerksam durchliest und dann überprüft, wie sie angewendet werden und wer davon dann profotiert…

  • Volle Zustimmung!



    Btw: ich sähe auf dem Wahlzettel gerne die Möglichkeit der Enthaltung. Wurde sowas schon jemals in Erwägung gezogen?

  • Eine Quote ist mutmaßlich immer die schlechtere Alternative; in diesem Fall aber eine Alternative zu einer durchaus undemokratischen Realität. Man kann natürlich noch 100 Jahre darauf warten, dass sich die in der Verfassung festgeschriebene Gleichstellung einfach so ergibt. Es gibt aber keine Indizien, die darauf hindeuten, dass das passieren wird. Ja, man wird Frauen zur Beteiligung überzeugen müssen - da geht es auch um Pflichterfüllung. Aber man muss auch die Gesellschaft insgesamt davon überzeugen, dass Demokratie von allen getragen werden kann und muss- von Männern und Frauen, von Diversen, gleich welcher Religion oder Rasse sie angehören.

    • @Joto S:

      "Ja, man wird Frauen zur Beteiligung überzeugen müssen - da geht es auch um Pflichterfüllung."

      Ich dachte immer, es ginge um Freiheit und Selbstbestimmung. Und jetzt kommt also die (vermeintlich) eigene Lobby daher und will Frauen verpflichten, gefälligst ihre Quotenplätze zu füllen. Spätestens wenn sie diesen Ton annimmt, lässt Gleichstellungspolitik die Maske fallen und zeigt ihr wahres, machthungriges und dirigistisches Gesicht.

    • @Joto S:

      In der Verfassung steht nix von Gleichstellung. Gleichberechtigung ist was Anderes und die ist gegeben, weil jeder in Parteien eintreten und sich zur Wahl stellen kann. Ob er/sie gewählt wird, liegt an den Parteien und später beim Wähler. Alles Andere ist eine Aushebelung der Wahl.

      • @Mephisto:

        "In der Verfassung steht nix von Gleichstellung. Gleichberechtigung ist was Anderes und die ist gegeben, weil jeder in Parteien eintreten und sich zur Wahl stellen kann. Ob er/sie gewählt wird, liegt an den Parteien und später beim Wähler. Alles Andere ist eine Aushebelung der Wahl."



        So weit haben das wirklich a l l e verstanden. Und so weit ist damit auch viel Papier vollgeschrieben, aber nichts getan.



        Aber vielleicht haben Sie schon mal von der gläsernen Decke gehört?



        Von Männerbünden, die Frauen nicht für voll nehmen und auflaufen lassen, dass das Patriarchat immer noch am mächtigsten und nicht gerade frauenfördernd ist?



        Dass Frauen eben durch die Doppelbelastung nicht die gleichen Chancen im (politischen) Beruf haben?



        Um alles aufzuzählen reichen 2000 Zeichen nicht.



        Es geht also darum, wie eine bessere Frauenbeteiligung erreicht werden könnte – zumindest auch bei|mit den Männern, die eine höhere Beteiligung von Frauen im gesellschaftlichen Leben auch besser fänden. Usw.



        Und: nur weil etwas in der "Verfassung" steht oder weil es n i c h t in der "Verfassung" steht – wie im Falle des Digitalpakts zu besichtigen – ist es noch nicht in Stein gemeißelt – sprich auch das GG lässt sich sinnvoll ändern.

        • @Frau Kirschgrün:

          Die "gläserne Decke" im politischen Beruf sieht so aus, dass es z. B. eine Bundeskanzlerin, mehrere Bundesministerinnen und Ministerpräsidentinnen gibt und dass die (alleinigen) Bundesvorsitzenden der beiden größten Parteien (CDU und SPD) Frauen sind, während die Grünen und die Linkspartei je eine Co-Bundesparteivorsitzende haben. Wenn es irgendwo keine gläserne Decke (mehr) gibt, dann in der Politik.

          • @Budzylein:

            Wo Sie recht haben, haben Sie recht. Zumindest auf den ersten Blick. Ich könnte mir aber sehr gut vorstellen, dass das auch so eine Art "Feigenblattfunktion" hat, weil's in der Politik eben um Macht geht und für Wählerstimmen eine Frau "etwas weiter vorne" eben sehr wichtig ist. Das ändert aber nichts an der Unterrepräsentation der Frauen im Bundestag. Und das hat dann doch wieder mit den eher "typischen" Frauenverhinderungsproblemen zu tun, m. E..

            • @Frau Kirschgrün:

              Das mit der Feigenblattfunktion sehe ich eher als ein Symptom von quotierten Strukturen.

              Wer sich mal die Frauen in der Spitzenpolitik und ihre jeweiligen Machtstellungen anschaut, wird feststellen, dass die Frauen, die NICHT über eine Quote ins Amt gekommen sind, deutlich mehr reale Macht haben und diese auch deutlich weniger "von Männers Gnaden" ausüben, als das bei den Quotenfrauen der Fall ist.

              Das liegt daran, dass diese obersten Posten keine Bonbönchen sind, die irgendein fiktives Männerkartell mit Symbol-Marionetten besetzt. Wer sie ausübt, hat ganz persönlich reale Macht. Der hat es "geschafft". Wenn also ein machtorientiert denkender Mann selbst z. B. Kanzler, CDU- oder SPD-Vorsitzender werden könnte, dann wäre ihm Zweifel das Geschrei der Feministen wurscht: Dann würde er sich den Job nehmen (siehe Spahn und Merz). Soll doch irgendwann mal seine Nachfolge nach Genderproporz vergeben werden, wenn's den Leuten gefällt!

              So denken Machtmenschen (beiderlei Geschlechts) nunmal. Eine Frau mag bei denen , die KEINE Chance haben, das jeweilige Amt zu erreichen, damit werben, dass sie ja eine Frau ist und das bestimmt super ankommt bei den Wählern. Aber das ist nur ein Argument unter Vielen, die eine Wahl entscheiden, und wer sie gewinnt, HAT die Macht. Die Frauen, die diese Posten (mittlerweile recht selbstverständlich) erobern, sind daher sicher KEINE Feigenblätter.

              Anders z. B. gerade bei den grünen Quotenpionieren: Da spielt fast durchgängig ein Alpha-Männchen (Fischer, Trittin, Özdemir, Habeck...) die faktische Hauptrolle, und der Platz der Frau neben ihm ist ein wenig umkämpfter Platz in der zweiten Geige. Die Quote sorgt dabei dafür, dass selbst Frauen, die das Zeug zur ersten Geige hätten, aus dem Kampf um diese Position rausgehalten werden und weiter aus ihrem paternalistisch installierten Schutzbereich heraus agieren, wo sie am langen Ende dann eben doch nicht ernstgenommen werden.

            • @Frau Kirschgrün:

              Gläserne Decke?



              Unterhalb der medialen Aufmerksamkeit sind in den Ministerien und Behörden viele (teilweise die meisten) Leitungsposten von Frauen besetzt.

              Was Sie meinen gibt es nur noch in der Wirtschaft und bei Banken ... und vielleicht bei den Royals.

  • Zu klären ist auch noch, wie der Proporz der Parteimitglieder erreicht werden soll, ob durch Ausschluss männlicher, oder durch Zwangsrekrutierung weiblicher Mitglieder.

    • @Gregor Tobias:

      Das kann über das soziale Geschlecht gelöst werden. Da muss man eben flexibel sein.

  • 9G
    91655 (Profil gelöscht)

    Da capo!

    Einerseits ist es natürlich richtig, wenn durch eine "paritätische" Liste klar würde, dass Frauen in allen Parteien keine bessere Politik machen ;-)

    Andererseits ist natürlich klar, dass sich Linke der Tribalisierung der Gesellschaft entgegenstellen müssen.

    Zuletzt:

    Wir sehen an den Parlamenten vor allem einen echt schrecklichen Zustand:

    Kreissaal, Hörsall, Plenarsaal ...

    Gerade auch bei den Grünen kommt noch hinzu, dass immer mehr "Kandidat*innen" nach einer Beschäftigung in der Partei das Mandat als selbstverständlichen Karriereschritt sehen.

    Fazit:

    Mehr Arbeiter*innen-Klasse in die Parlamente!

  • Soso, die linke, angeblich liberale Avantgarde macht die Rolle rückwärts zum Standesdenken. Französische Revolution und Aufklärung? Seis drum, Hauptsache jede Klientel bekommt ihre eigenen Schutzrechte. Et voilà, wenn nun alle Gruppen diesmal nach dem Merkmal ihrer Schutzwürdigkeit hierarchisiert werden, hat man wieder Stände, Kasten und den ganzen Quatsch.

  • Danke für diesen klaren Kommentar und diese Nachhilfe in politischer Bildung.

  • "Axt an den Kernbereich politischer Gleichheit und Freiheit."

    Danke für die klaren Worte. Genauso ist es. Wenn einmal die Tür für Partikularverpflichtungen geöffnet wird, wird man sie nicht mehr schliessen können. Dann zersplittert alles in Gruppen.

    Und ein besonderer, Deutschland-spezifischer Punkt sollte es auch verhindern: wenn im Pass "Divers" eingetragen werden darf, dann darf doch nicht später wieder eine Zuordnung erfolgen müssen. Das wäre nicht konsequent und unlogisch.

    • @fly:

      Keine Sorge - "Divers" wird sich höchstwahrscheinlich raussuchen dürfen welchen Platz er will.

      Ist zwar Inkonsequent und irgendwie ungerecht - wen interessiert das aber wenn es um die "richtige Sache" geht.



      Zur Not schleudert man irgendwelche Theorien über Herrschaftsstrukturen etc. in den Raum.