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Kommentar Spaltung der Labour-ParteiUnbehagen mit Corbyn

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Sieben Abgeordnete verlassen die Labour-Party um Jeremy Corbyn. Aber sie sind nur die Speerspitze. Wird ihr Protest die Partei verändern?

Luciana Berger sagte am Montag, Labour sei unter Corbyn „institutionell antisemitisch“ geworden Foto: dpa

D ie britische Labour-Partei ist viel mehr als nur eine politische Partei. Geboren als parlamentarische Vertretung der Gewerkschaften, sieht sie sich als Verkörperung der Arbeiterbewegung, also einer über Generationen gewachsenen Identität, die Menschen Halt bietet. Für viele alte Labour-Sympathisanten ist eine andere politische Heimat nicht vorstellbar.

Kämpfe um die Labour-Seele sind daher auch kulturelle Zerreißproben. Es ist nach wie vor für viele britische Linke eine Schande, dass der einzige Labour-Führer der vergangenen vierzig Jahre, der jemals Wahlen gewann, Tony Blair gewesen ist. Der versprühte einst jugendlichen Optimismus und Erneue­rung, verkörpert aber heute Egoismus und Skrupellosigkeit. Es war vor allem der Wunsch nach einem Schlussstrich unter die Ära Blair, der den Aufstieg Jeremy Corbyns begünstigte. Der punktete mit seinem Image als harmloser, gütiger Weihnachtsmann, der weise Worte und Geschenke verteilt.

Aber Corbyn mit seinen familiären Wurzeln in der Friedensbewegung der 1930er Jahre und seinem Umfeld aus weltfremden Oberschichtintellektuellen verkörpert ebenso wenig wie Blair die alte Labour-Volksseele. Und in seinem Windschatten sind zentrale Parteiämter an skrupellose Apparatschiks gegangen, die einen befremdlichen Führerkult pflegen und jeder abweichenden Meinung mit Hass begegnen.

Die sieben Labour-Abgeordneten, die jetzt aus Protest gegen diese Entwicklung öffentlich aus der Partei austreten, sind zahlenmäßig nicht viel. Aber sie sind nur die Speerspitze. Das Unbehagen über Labour unter Corbyn ist in der britischen Linken ähnlich weit verbreitet wie einst das Unbehagen über Labour unter Blair. Können die Dissidenten diesem Unbehagen jetzt eine neue Heimat bieten, von außen zurück in die Labour-Partei hineinwirken und damit Veränderung erzeugen? Oder werden sie als Verräter isoliert und müssen sich eigene politische Strukturen aufbauen, die wirkungslos verpuffen? Das ist noch offen. Aber mehr noch als der Brexit könnte es über die Zukunft der derzeit stärksten Linken Europas entscheiden.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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7 Kommentare

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  • Natürlich existiert ein struktureller Antisemitismus innerhalb der Linken. Warum nun aber jene, die ihn beklagen nicht aber in ihrem Sinne Aufklärung betreiben wollen - also unter die Menschen gehen um mit ihnen zu sprechen - ist wahrscheinlich demselben Ekel geschuldet, mit dem diese bourgeoise Klasse auf die weniger Besitzenden blickt. An Aufklärung kann ihr garnicht gelegen sein, dies würde die eigenen Pfründe gefährden.

    Es ist, wie die bekannte deutsch - französische Litaratin, die vor Kurzem entsetzt dem Deutschlandfunk - natürlich Kultur - Rede und Antwort stand, nachdem sie sich vier Stunden auf einer Gelbwesten - Demo in Paris aufgehalten hatte. Angewidert und alarmistisch berichtete sie von Wutbürgern, die antisemitischen Ressentiments anhingen. Vier Stunden wollten dieser Frau genügen, die Lebenswelt einer durch neoliberalen Backlash moralisch und materiell völlig verelendeten Arbeiterschaft zu greifen. Und ich fragte mich, in welcher Welt diese Dame eigentlich lebt. Was glaubt sie denn, welche Wahl eine in Nordfrankreich aufwachsende Arbeiter°in hat, welche politische Alternative ihr geblieben ist? Siehe hierzu auch ein Interview der Hartz IV - Reformerin Katrin Göring-Eckardt im Tagesspiegel 2014: "Ich habe dafür gekämpft, dass das Schulessen in die Hartz-IV-Pauschale aufgenommen wurde." Die Verlogenheit und der Selbstbetrug dieser Leute ist unbeschreiblich.



    Nach all dem Liberalisierungs - Bullshit der letzten Jahrzehnte, den die rot - grüne Klasse maßgeblich verantwortet hat wundert sich nun ernsthaft jemand über den allerorts emporsuppenden Hass - der beiderseitig ist - und die Gewalt - die ebenfalls beiderseitig ist. Eine Lüge des Liberalismus ist die Leugnung der ihm inhärenten Gewalt. Dabei ist gerade der bürgerliche Liberalismus die gewaltätigste Herrschaftsform die wir kennen.

     

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    Die Moderation

  • "Luciana Berger sagte am Montag, Labour sei unter Corbyn „institutionell antisemitisch“ geworden Foto: dpa" s

    So ohne weitere Erläuterung hingeworfen, klingt das eher nach Leerlaufformel, aktuell brisante Gründe für die Abspaltung von Labour hinterm Berg zu halten, sozusagen im Westen nichts Neues "Warten auf Godot" auf Ende des Ausbleibens einer Labour Initiative zur Kampagne für ein zweites Referendum zu starten, das, anders als das 1. Referendum 2015 klar definiert zur Wahl stellt, wollen wir im Fall eines Brexit im EU Binnenmarkt verbleiben, in Zollunion mit EU sein oder nicht?

  • Endlich. Der Blairflügel kann nun woanders hausieren.



    Corbyn wird mittelfristig eher davon profitieren.

  • Tja? Die 7 sind m. E. lediglich der 'neoliberalen Verführung' erlegen, die da vom Brexitchaos ausgeht!

  • Für Corbyn wäre die Sache gefährlich, wenn nicht frustierte Blairites wie Chuka Umunna, die in der Partei seit Langem keinen Stich mehr machten, die Tür zugeknallt hätten, sondern Schwergewichte aus der Mitte oder gar links der Mitte der Partei wie David Lammy oder Londons Bürgermeister Sadiq Khan, die Partei verließen. Umunna und Luciana Berger kann er verschmerzen.

    • @Kunz:

      Schließlich ist das der einzige Sachverhalt, der hier wichtig ist: Was das strategisch für Corbyn bedeutet. Das mit dem Antisemitismus ist ja nebensächlich. Super zynisch alles. Linke, die Antisemitismusvorwürfe ausschließlich als rechte Spaltungsstrategie wahrnehmen statt ihn zu bekämpfen.

      • @LesMankov:

        Der Antisemitismusvorwurf an Corbyn und Labour als Partei ist so offenkundiger Quatsch wie die Grünen als Pädophilenpartei zu bezeichnen. Ich glorifiziere Corbyn nicht, sehe, dass er wie jeder, der in den 70ern und 80ern in der Friedensbewegung aktiv war, Solidarität mit Leuten hatte, mit denen man heute, in der Rückschau nicht mehr solidarisch wäre, aber Zeiten ändern sich. Genau wie Definition und Praxis des Antisemitismus. Erst heutzutage erscheint er einigen als quasi überhistorisches, unwandelbares, essentielles, unsoziologisches und kontextloses Phänomen. Von mir aus. Aber seine Instrumentalisierung muss man nicht gutheißen (und nein, nicht jeder Vorwurf des Antisemitismusses ist strategisch - aber manche sind es eben).