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Kündigungen bei Buzzfeed, Vice und CoBumm. Krach. Schepper

Einst gefeierte Onlinemedien entlassen binnen kurzem 1.300 Leute. Bei „Vice“ in Deutschland will man nun einen Betriebsrat gründen.

Einst gefeiert – und jetzt? Die Expansionsträume diverser Onlinemedien sind zerbrochen Foto: unsplash/Chuttersnap

Berlin taz | In der Berliner Redaktion der Vice beschäftigen sie sich gerade mit Themen, die ihnen bisher eher fernlagen: Kontakt zur Gewerkschaft aufbauen, das Betriebsverfassungsgesetz lesen, einen Betriebsrat wählen. Sie tun das, weil sie um ihre Jobs fürchten. Am vergangenen Montag kündigte das Mutterhaus in den USA, Vice Media, an, 250 Stellen zu streichen – ein Zehntel der weltweiten Belegschaft. Es trifft vor allem Büros in den USA, Mexiko und Großbritannien. Was auf die 130 MitarbeiterInnen in Deutschland zukommt, ist unklar. Ob, und wie viele Stellen hier gestrichen werden, weiß niemand. Ob vielleicht sogar ganze Verticals geschlossen werden, also die Vice-Ableger, wie etwa die Musikredaktion Noisy, oder die Essensredaktion Munchies, weiß auch niemand.

Gegenüber der taz wollten sich Vice-Sprecher zu den Kündigungen nicht äußern. Auch gegenüber der Belegschaft hält sich das Unternehmen zurück. Die Ankündigung, dass gekündigt wird, kam per Mail. Viel mehr Infos gab es seitdem nicht.

Innerhalb der vergangenen zwei Wochen haben neben Vice Media auch Buzzfeed und die Huffington Post Entlassungen angekündigt – Buzzfeed entlässt rund 250 MitarbeiterInnen, Verizon Media, Eigentümer der Huffington Post, 800. Die einst so gefeierten Onlinemedien streichen auf einen Schlag zusammen 1.300 Stellen. Die Huffington Post schließt ihr Deutschland-Büro, das von Buzzfeed mit seinen acht MitarbeiterInnen bleibt erst einmal verschont.

Stellenstreichungen sind zwar nichts Ungewöhnliches im Journalismus. Zwischen 2008 und 2017 verlor knapp ein Viertel der JournalistInnen in den Newsrooms der USA ihren Job. Das Besondere jetzt ist, welche Redaktionen betroffen sind: Medien, die fast ausschließlich im Netz publizieren – auf ihren Websites, in den sozialen Medien, in Video- und Audioformaten. Buzzfeed, Vice und Huffington Post sind drei der größten Player im digitalen Mediengeschäft. Sie haben den Journalismus netzkompatibel gemacht, indem sie ihn mit Unterhaltung verbunden und auf die sozialen Medien zurechtgeschnitten haben. Und jetzt?

Erfolgsrezept: Reichweite

Vice startete 1994 als gedrucktes Lifestyle-Magazin und eta­blierte eine Art Borderline-Journalismus, berichtete vor allem über Drogen, Partys, Sex, Internet. 2013 beteiligte sich Rupert Murdoch via 21st Century Fox mit 70 Millionen an dem Unternehmen. Mittlerweile betreibt Vice mit Viceland sogar eigene Fernsehsender. Die Huffington Post startete 2005 als Online-Magazin. HuffPo-Mitgründer Jonah Peretti zog weiter und gründete 2006 Buzzfeed.

Buzzfeed galt mit seiner Mischung aus Nachrichten und leicht bekömmlichen Inhalten lange als schlechter journalistischer Witz. Dann aber verwandelte es sich in das angebliche Erfolgskonzept für profitable News im Netz. Anfang der 2010er Jahre versprach Buzzfeed vor allem eines: Reichweite, und zwar über die sozialen Netzwerke, die sich zum primären Nachrichtenkanal der sogenannten Millenials entwickelten. 150 Millionen Besuche verzeichnete Buzzfeed monatlich im Jahr 2014. Zum Vergleich: Die New York Times sprach damals von 30 Millionen Besuchen auf der Website. Investoren sahen darin den Schlüssel zu einem jüngeren Werbepublikum.

Die 2010er Jahre beginnen als Rausch. Dann kommen erste Zweifel auf

Investitionsfirmen pumpten Hunderte Millionen Wagniskapital in das Start-up. Die Investoren hofften auf Profite durch virales Marketing und Native Advertising – Werbung, die wie redaktioneller Inhalt aussieht. Der Wert von Buzzfeed wurde 2015 auf 1,5 Milliarden Dollar geschätzt.

Es folgte der große Rausch: Büros weltweit, rasant wachsende Teams. Die Redaktionen lockten mit paradiesischen Arbeitsbedingungen: Bei Buzzfeed spendierte man Austern und Muscheln zum Mittag. Vice veranstaltete dekadente Partys für die MitarbeiterInnen, die in den Büros oft Überstunden schrubben. Work Hard, Play Hard. Im Zusammenhang mit Vorwürfen sexueller Belästigung im Herbst 2017 gestand die Vice, anfangs ein „Jungs-Klub“ gewesen zu sein. Diese Mentalität beherrschte auch die anderen Digitalmedien. Auch sie entstanden, weil ein paar junge Leute sich zusammenhockten und ein Geschäft aufbauten. Ahnung vom Business hatten die wenigsten. Egal. Der Erfolg gab ihnen recht. Dann aber kamen erste Zweifel auf. Buzzfeed etwa korrigierte seine Umsatzpro­gnosen von Jahr zu Jahr nach unten. Bis heute haben die Investoren kaum Profite gesehen.

Problem: extrem Abhängig von Facebook

Was Buzzfeed, Vice und Co falsch gemacht haben? Darauf findet man unterschiedliche Antworten. Vielleicht haben sie zu viel versprochen, ihre Möglichkeiten überschätzt. Vielleicht war es falsch, von ständigem Wachstum auszugehen in einem Markt, der sich weiter fragmentiert.

Dazu kommt, dass Buzzfeed, Vice, HuffPo und die anderen sogenannten Online-Natives abhängig sind von den großen Plattformbetreibern Facebook und Google. Kaum jemand tippt www.vice.com in seinen Browser ein. Das Publikum kommt über soziale Medien: YouTube, Instagram, Facebook. Sobald deren Betreiber ihre Algorithmen verändern oder falsche Zahlen herausgeben, wird das zum existenziellen Problem.

Ab 2015 zum Beispiel entstand in der Branche ein Video-Hype. Facebook hatte behauptet, Anzeigen ließen sich neben Videos besser verkaufen als neben Text. Also zogen die Redaktionen Personal aus dem Bereich Text ab, um mehr Videos zu produzieren. Ende 2016 kam heraus: Facebooks Video-Zahlen waren aufgeblasen. Anfang 2018 veränderte das Netzwerk dann seinen Algorithmus und platzierte die Statusmeldungen von Freunden höher als die der Nachrichtenredaktionen. Die Besuchszahlen bei Vice und Buzzfeed brachen radikal ein.

Während die vielversprechenden Digitalen nun Leute entlassen, geht es Facebook fantastisch. Knapp 17 Milliarden Dollar hat das Unternehmen allein im 4. Quartal 2018 eingenommen, reiner Gewinn: 6,9 Milliarden. Trotz aller Vorwürfe über Manipulation und Fake News steht Facebook besser da denn je.

Unabhängigkeit wagen

Schon länger versuchen die Online-Natives daher unabhängiger zu werden. Oder ringen zumindest um eine bessere Verhandlungsposition. Buzzfeed-Chef Peretti hat im November eine Fusion mit anderen Online-Medien vorgeschlagen. Seit Kurzem kooperiert Buzzfeed zudem mit dem Unternehmen Group Nine, an dem auch der deutsche Springer-Konzern beteiligt ist. Es geht darum, Messinstrumente zu entwickeln, um Website-Aufrufe besser einschätzen zu können.

Dazu versuchen die Redaktionen neue Einnahmen zu erschließen. Das funktioniert bei Buzzfeed beispielsweise mit seinem Essens-Ableger Tasty. Dort werden Kochvideos produziert in Kooperation mit Walmart. Die Kochrezepte werden als Kochbuch veröffentlicht, auch das bringt Geld. 2017 verdiente Buzzfeed rund ein Viertel seines Umsatzes mit solchen Konzepten, außerhalb der klassischen Werbung.

Aber auch mit besserer Verhandlungsposition gegenüber Facebook und neuen Geldquellen bleibt das Grundproblem: Die Preise für Onlinewerbung sinken stetig.

Gerade erst hat Buzzfeed seinen größten Scoop gefeiert. Ein Reporter veröffentlichte das Dossier eines ehemaligen Geheimdienstlers, das beweisen soll, dass Donald Trump Verbindungen zu Russland pflegt.

Gutes Personal

Auch die deutschen Ableger produzieren längst Qualität. Buzzfeed Deutschland wird geleitet von dem ehemaligen Correctiv-Mitbegründer Daniel Drepper mit investigativem Anspruch. Chefin der deutschsprachigen Vice ist die frühere Stern-Journalistin Laura Himmelreich. Was das Personal angeht, trennt diese Medien nichts mehr von den etablierten Redaktionen.

Im Berliner Büro der Vice hängt seit Freitagmorgen die Einladung: Zusammen mit Verdi will die Belegschaft einen Betriebsrat gründen. Unterschrieben haben 20 der 130 MitarbeiterInnen, inklusive drei Führungskräfte. Ihr Vorbild ist die „Vice Union“ der US-Belegschaft. Die Geschäftsführung des deutschsprachigen Vice teilt mit, dass sie die Gründung des Betriebsrats respektiere und sich auf eine produktive Zusammenarbeit freue.

In den USA, wo das Arbeitsrecht laxer ist, haben die entlassenen Kollegen auch angefangen, sich zu organisieren – allerdings auf eine andere Art. Ein gekündigter Buzzfeed-Mitarbeiter hat eine Website aufgesetzt: „Hire a Buzzfeeder“, eine Stellenbörse, auf der sich geschasste Ex-Buzzfeeder vorstellen. 133 Leute inserieren dort.

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1 Kommentar

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  • Zitat: „In der Berliner Redaktion der Vice beschäftigen sie sich gerade mit Themen, die ihnen bisher eher fernlagen: Kontakt zur Gewerkschaft aufbauen, das Betriebsverfassungsgesetz lesen, einen Betriebsrat wählen. Sie tun das, weil sie um ihre Jobs fürchten.“

    Ich weiß, ich klinge spießig, aber: Seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte ist nie Verlass darauf gewesen, dass man tatsächlich so großartig und unverzichtbar ist, wie bezahlter Claqueure mit Trendsetter-Allüren zwecks Erregungssteigerung kurzzeitig behaupten über einen. Jedweder Hype sollte den Menschen skeptisch machen, auch wenn er noch nicht „Blase“ heißt. Im Übrigen ist es schon immer ziemlich riskant gewesen, in guten Zeiten jene zu verachten, die man in schlechten Zeiten wieder braucht.

    Interessant jedenfalls zu sehen, dass die Jungs mit dem Klub-Slogan „Work Hard, Play Hard.“ den dritten Teil des Deals („Die young“) offenbar zu lange ignoriert haben. Als es dann so weit war, wollten sie doch nicht jung sterben, wie‘s aussieht. Vielleicht haben sie ja auch die eigene Langeweile und Abgebrühtheit heillos überschätzt. Ob ich so jemanden „hiren“ sollte für teuer Geld, würde ich mir schwer überlegen, glaube ich.

    Übrigens: Ein investigativer Anspruch ist noch nicht gleichzusetzen mit Qualität. Und aus dem Dossier eines ehemaligen Geheimdienstlers muss auch nicht unbedingt ein großer Scoop werden. Es kann sich auch um eine Ente handeln oder ein Windei. Aber was das eine vom anderen unterscheidet, wissen ja mitunter auch die „etablierten Redaktionen“ nicht (mehr) so genau.