piwik no script img

US-Außenminister Tillerson in AnkaraAlarmstufe Rot

Die Gefahr einer militärischen Konfrontation zwischen den USA und der Türkei wächst. Der Hauptstreitpunkt ist die Konfrontation in Syrien.

Die Türkei im Blick: US-Soldaten an der türkisch-syrischen Grenze Foto: ap

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan drohte mit einer „osmanischen Ohrfeige“, Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu kündigte an, entweder die USA würden einlenken oder die türkisch-amerikanischen Beziehungen seien am Ende. Vor dem Besuch von US-Außenminister Rex Tillerson am Donnerstag in Ankara vermittelte die türkische Regierung eine Art Endzeitstimmung, wie es sie zwischen den beiden Nato-Partnern noch nicht gegeben hat.

Die Hauptursache dafür sind die unterschiedlichen Interessen, die die Türkei und die USA in Syrien haben. Aber das ist nicht das einzige Problem. Die Türkei ist empört, dass die USA sich weigern, den mutmaßlichen Drahtzieher des Putschversuches vom Juli 2016, den Prediger Fethullah Gülen, auszuliefern. Die USA erwarten, dass inhaftierte türkische Mitarbeiter ihrer Botschaft freigelassen werden. Außerdem ist Washington irritiert, dass die Türkei das russische Raketenabwehrsystem S-400 kaufen will.

Der Hauptstreitpunkt aber ist die Konfrontation in Syrien. Während die Türkei im nordsyrischen Afrin die kurdische Miliz YPG bekämpft, arbeitet die US-Armee im Kampf gegen den IS seit 2015 mit ebendieser YPG eng zusammen. Die Kurden sind in Syrien mit einigen arabischen Gruppen so etwas wie die Bodentruppe der US-Luftwaffe. Doch auch am Boden kämpfen rund 2.000 amerikanische Spezialkräfte mit der YPG zusammen.

Die YPG wurde von der US-Armee mit Waffen versorgt und militärisch trainiert. Das will Washington auch in Zukunft tun, um die rund 25 Prozent des syrischen Staatsgebietes, die die YPG jetzt kontrolliert, langfristig zu sichern und eigene Stützpunkte dort aufzubauen.

Tillerson um Deeskalation bemüht

Für die Türkei ist das eine Provokation, weil die YPG mit der PKK zusammenhängt, die gegen den türkischen Staat kämpft. Der Konflikt spitzt sich zu, weil Erdoğan angekündigt hat, die YPG aus der türkisch-syrischen Grenzregion zu vertreiben, die dort aber unter dem Schutz der USA stehen.

Zum symbolischen Ort der Auseinandersetzung droht die Region Manbidsch zu werden. Das ist ein von den Kurden gehaltener Brückenkopf westlich des Euphrats, von dem Erdoğan fordert, dass die YPG diese Region räumt und sich östlich des Euphrats zurückzieht. Ansonsten werde man Manbidsch in Kürze angreifen. Anders als in Afrin sind in Manbidsch aber auch US-Streitkräfte stationiert.

Rex Tillerson war bemüht, den Konflikt zu deeskalieren. Man solle sich auf den gemeinsamen Kampf gegen den IS konzentrieren, beschwor er seine Gesprächspartner in Ankara. US-Verteidigungsminister James Mattis bot der Türkei Hilfe beim Kampf gegen die PKK an, ohne darauf einzugehen, dass aus türkischer Sicht die YPG Teil der PKK sind. Die zuständigen US-Generäle zeigen sich solidarisch mit ihren kurdischen Verbündeten. Sollte die Türkei Manbidsch angreifen, werden wir „hart zurückschlagen“, kündigte Generalleutnant Paul Funk via New York Times an.

Die Türkei ist in Syrien Russland viel näher als den USA. Kommt es zu keinem Kompromiss, wird das Undenkbare wahrscheinlicher: Kämpfe zwischen türkischen und US-Soldaten und damit wohl ein Ende der türkischen Nato-Mitgliedschaft.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Der einzige Weg zum Frieden führt über einen kurdischen Staat. Ein solcher Staat wäre ein hervorragender Puffer für gleich mehrere Konflikte. Das gilt gerade für die Türkei, sie könnte profitieren auch ohne ihre staatliche Integrität zu verlieren. Denkbar wäre sogar eine Gliederung in drei Kantone auf den Gebieten Iraks, Syriens und der Türkei, mit gemeinsamem Parlament, mit eigenen gemeinsamen Kompetenzen in zivilen Angelegenheiten und auch einer eigenen Polizei. Grundlage müsste ein Vertrag sein, der genaue Regelungen enthalten müsste und der erst nach mehreren Jahrzehnten auf demokratischer Basis verändert werden dürfte. Die Sicherheitslage in der Türkei würde sich dramatisch verbessern, im Irak würde das Faktische besiegelt und in Syrien gäbe es zumindest ein dauerhaft stabiles Gebiet. Selbstverständlich müsste es internationale Garantien geben und selbstverständlich keine Präsenz ausländischer Truppen über diese Garantiefunktion hinaus. Klingt wie ein Traum, aber eigentlich liegt es nur an der Türkei.

  • Die Türkei wird langfristig nicht in der NATO bleiben können - dazu liegen die Interessen zwischen den restlichen NATO-Partner und der Türkei zu weit auseinander. Auch die immer offener durchgeführte Reinigung des Landes im Sinne der Herrschenden zeigt in die Richtung Ende.

  • Sobald der Orient aufhört aufeinander einzuprügeln, bricht dort der radikale Wohlstand aus.

  • "Kommt es zu keinem Kompromiss, wird das Undenkbare wahrscheinlicher: Kämpfe zwischen türkischen und US-Soldaten und damit wohl ein Ende der türkischen Nato-Mitgliedschaft."

     

    Da werden in Moskau die Sektkorken knallen. Putin läuft langsam Gefahr, einen Leberschaden zu erleiden :-)