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Finnland erprobt das GrundeinkommenArbeiten lohnt sich wieder!

2.000 Arbeitslose erhalten pro Monat 560 Euro und können damit machen, was sie wollen. Für Juha, Tuomas und Marin hat sich viel verändert.

Trägt das Grundeinkommen zur Entspannung in Finnland bei? Foto: Photocase / Tannjuska

Juha Järvinen setzt den Hobel an. In seiner Werkstatt zwischen Birken und Kiefern bearbeitet er eine Drachenkopfverzierung für die neue Trommel, die er demnächst verkauft. Aus Rentierhaut wird das Fell gemacht. Diese Instrumente sind beliebt bei Freunden volkstümlicher Musik. Der Vollbärtige schiebt den Zylinder aus der Stirn. Es kann jetzt losgehen.

Auf dem Hof zwischen der Werkstatt und dem zweistöckigen alten Schulgebäude aus rotem Holz, das Juha vor Jahren kaufte, liegen Ende Oktober schon zehn Zentimeter Schnee. Vor der Tür ist der riesige grauweiße Haushund angebunden. „Drei Viertel Husky, ein Viertel Wolf“, sagt sein Besitzer. Etliche Autowracks stehen herum. Obwohl Juha und seine Frau sechs Kinder haben, gibt es in und um die Häuser sehr viel Platz.

Mehr Menschen sollen hier her, in die einsame Gegend drei Zugstunden nordwestlich der Hauptstadt Helsinki. Juha will investieren, den großen Raum neben seiner Werkstatt für Künstlerprojekte ausbauen. Er will raus aus der Sackgasse, in der er während der vergangenen Jahre steckte. „Das Grundeinkommen“, sagt der 39-jährige finnische Hippie, „bedeutet das Ende meiner Sklaverei.“

Juha – in Finnland nennt man sich meist beim Vornamen – erhält seit Anfang dieses Jahres 560 Euro pro Monat von der Sozialversicherung. Geschenkt, steuerfrei, ohne irgendwelche Gegenleistungen. Dieses erstaunliche Experiment hat die finnische Regierung gestartet. Sie besteht aus der Zentrumspartei, den Konservativen und der rechtslastigen Blauen Fraktion. Es ist der Versuch einer epochalen Sozialreform – erstmalig in Europa.

Auch in Deutschland werden die Forderungen nach einem Grundeinkommen lauter. Die Ver­han­dler*innen von Union, FDP und Grünen in Berlin haben das Thema bisher nicht auf der Liste, doch die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein vereinbarte: „Wir werden ein Zukunftslabor ins Leben rufen.“ Neue Absicherungsmodelle, unter anderem das Grundeinkommen, sollen diskutiert werden. Die Berliner Organisation „Mein Grundeinkommen“ schafft unterdessen bereits Fakten: Sie verlost jedes Jahr mehrere dieser Pakete für finanzielle Freiheit.

Werden die Finnen fauler? Oder angespornt?

Unternehmenschefs wie Elon Musk von dem Elektroautobauer Tesla und Joe Kaeser von Siemens plädieren ebenfalls für ein Grundeinkommen. Sie treiben die Robotisierung der Wirtschaft und die Internetökonomie voran. Und sie können sich vorstellen, wozu das führt: zu weniger Sicherheit in vielen Jobs.

Wenn ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt wird, wie es Visionäre fordern, sollen alle Ein­wohne­r*in­nen eines Landes die staatliche Zahlung bekommen. Die Finnen testen jetzt erst mal eine reduzierte Variante. An dem Experiment teilnehmen können nur Arbeitslose wie Juha. Oder wie der Journalist Tuomas Muraja und die Erzieherin Marin Heier-Reinik.

Auch wenn der Versuch begrenzt ist, wird er Antworten auf entscheidende Fragen bringen: Macht eine Zahlung von 560 Euro, die man einfach so bekommt, die Menschen fauler? Oder spornt das Geld sie an?

Der Journalist Tuomas Muraja ist froh, dass er Einnahmen nicht mehr abrechnen muss Foto: Hannes Koch

Zwei hohe Öfen heizen Juhas Wohnzimmer, einen ehemaligen Klassenraum. Der fünfjährige Aamos schnappt sich das Seil, das von einem Stahlträger hängt, steigt auf eines der beiden Klaviere und schwingt sich in den Raum. Im Kinderzimmer nebenan gibt es ein großes selbst gebautes Trampolin und unter der Decke einen Klettergarten aus Stricken und Sprossen. Der Vater kann so etwas konstruieren, es macht ihm Spaß. Doch jahrelang lagen seine Fähigkeiten brach.

In der Werkstatt tischlerte er früher Fenster und Türrahmen. Der Verkauf lief gut. Dann überfiel ihn eine Depression. Es folgten Bankrott und Steuerschulden. Das Altenpflegerinnengehalt seiner Frau, Arbeitslosen- und Kindergeld summieren sich auf 3.000 Euro – in einem reichen Staat wie Finnland nicht viel für zwei Erwachsene und sechs Kinder, wenn man auch noch den Kredit für die alte Schule abbezahlen muss.

Ein Nachbar fragte, ob Juha ihm eine Hundehütte bauen könnte. Trotz der knappen Finanzen lehnte der Tischler ab. „Teilst du dem Amt mit, was du selbst verdienst, kommt das Arbeitslosengeld später“, erklärt er. Bis die Berechnung fertig ist, können mehrere Wochen vergehen. „Da habe ich das zusätzliche Arbeiten lieber sein gelassen.“

Tuomas Muraja, selbstständiger Journalist in Helsinki, kennt so was. Er schäumt. Schon die Erinnerung reicht. Der 44-Jährige umkurvt einen Bücherstapel und zieht die unterste Schublade seines verglasten Bücherschranks auf. Das Formular segelt auf den Tisch. „Für jeden Tag musst du deine Einnahmen eintragen, Monat für Monat aufs Neue. Und dann ziehen sie dir einen Teil des Lohns vom Arbeitslosengeld ab.“ Das hat er hinter sich, hofft er. Nie mehr die bekloppten Listen der Sozialversicherung ausfüllen.

Tuomas, zurückgekämmte blonde Haare, bunter Schal, war jahrelang EU-Korrespondent für finnische Zeitungen in Brüssel. Er arbeitete als Pressesprecher für UN-Truppen im Kosovo und Afghanistan, ist Autor von vier Büchern. Trotzdem hatte er schließlich Probleme, eine feste Stelle zu finden. Finnland leidet an den Nachwirkungen der Finanzkrise. 2016 war Tuomas zeitweise auf Arbeitslosengeld angewiesen.

Sie können das Geld verjubeln

Das System hielt ihn in einem fatalen Schwebezustand. Immer wieder schlug er Jobangebote aus. Wenn von 200 Euro, die er für eine Buchlesung in einer Schule erhalte, nur 120 Euro übrigblieben, lohne sich der Aufwand nicht, sagt er. Und dann die Fortbildungen, zu denen ihn die Sozialversicherung schickte: „Lebenslauf schreiben“, er schaut genervt. „Dieses Seminar kann ich selbst geben. Daran teilzunehmen ist reine Zeitverschwendung.“

Auch die Erzieherin Marin Heier-Reinik hielt sich mit dem Arbeiten lange eher zurück. Die 31-Jährige wohnt in Vaasa, an der Westküste, gegenüber von Schweden. Sie hat das Reihenhaus, das ihr zusammen mit ihrem Verlobten gehört, hell eingerichtet. Vom weißen Sofa geht der Blick durch die Glasfront in den handtuchförmigen Garten. Rechts stehen Kiefern, dahinter liegt schon das Meer. Marin stammt aus Estland. Seit 2011 lebt sie in Finnland; einige Jahre hat sie sich zu Hause um ihren kleinen Jungen gekümmert und Arbeitslosengeld erhalten. Ein paar Stunden pro Woche war sie in einem Kindergarten tätig. „Macht man mehr, verdient man unter dem Strich sehr wenig“, sagt sie. Selbstkritisch stellt sie fest: „Ich war eher passiv.“

Juha, Tuomas und Marin sind drei Teil­neh­me­r*in­nen an dem Experiments mit insgesamt 2.000. Diese hat die Sozialversicherung unter rund 200.000 Arbeitslosen, die finanzielle Unterstützung bekommen, ausgelost. Von Januar 2017 bis Dezember 2018 erhalten sie nun 560 Euro monatlich. Sie können das Geld verjubeln, Dauerurlaub machen oder es in ihre Zukunft investieren. Rechtfertigen müssen sie sich nicht.

Die Erzieherin Marin Heier-Reinik arbeitete früher wenig. Jetzt hat sie eine 25-Stunden-Woche Foto: Hannes Koch

Wenn die Testpersonen einfach weitermachen wie bisher, wenn sie wenig oder gar nicht selbst arbeiten, ändert sich für sie nichts. Sie erhalten dann weiter ihr bisheriges Arbeitslosengeld von beispielsweise 700 Euro pro Kopf plus Wohnkosten. Erwirtschaften die Teilnehmer*innen jedoch zusätzliches Einkommen – an einem neuen Arbeitsplatz, bei einer Teilzeittätigkeit oder indem sie sich selbstständig machen – kommen die 560 Euro obendrauf, ohne Abzüge.

Im bisherigen System ist das anders. Finnische Erwerbslose können nur maximal 300 Euro monatlich ohne Anrechnung auf das Arbeitslosengeld hinzuverdienen. Erzielen sie mehr, wird ihnen ein erheblicher Teil der staatlichen Unterstützung gekürzt.

In der Bundesrepublik ist das ähnlich geregelt. Die Folge: Von eigener Arbeit bleibt Hartz-IV-Empfänger*innen wenig übrig. Ein nenneswerter finanzieller Vorteil stellt sich erst ein, wenn man etwa 1.000 Euro monatlich verdient. Der Sprung dorthin ist aber für viele Arbeitslose zu groß.

Das finnische Grundeinkommen soll hier einen Ausweg bieten. Die Regierung in Helsinki will wissen: Sind die Erwerbslosen aktiver als bisher, suchen sie sich selbst neue Tätigkeiten, wenn sie die Zusatzeinnahmen behalten dürfen? Außerdem geht es darum, Papierkram und Arbeitszeit in der Verwaltung einzusparen, wo bisher Tausende Leute mit den Berechnungen der Leistungen beschäftigt sind.

Juha sehnte den Brief von der Sozialversicherung Ende 2016 herbei. Er las alles über das Experiment. Die Chance, zu den Teilnehmer*innen zu gehören, war 1 zu 100. „Meine Kinder freuten sich auf den Weihnachtsmann. Ich wartete auf den Brief“, erinnert er sich. Dann fuhr das Postauto aus der Kleinstadt auf den Hof der alten Schule. Es war der 29. Dezember, halb zehn Uhr morgens, so etwas merkt sich Juha. Er riss das Schreiben auf. Hauptgewinn! „Ich war superglücklich“, sagt er, mit finnischer Zurückhaltung leicht lächelnd.

„Wollen die mir das Arbeitslosengeld ­kürzen?“

Auch Tuomas in Helsinki öffnete den Brief der Versicherung am selben Tag. „Was wollen die schon wieder?“, dachte er zuerst, „Habe ich irgendwas falsch gemacht?“ Dann war er verwundert, schließlich erfreut.

Die Erzieherin Marin merkte da noch gar nichts. Sie schaut nicht jeden Tag in ihren Briefkasten. Erst Anfang Januar 2017 holte sie die Post raus. „Ich war schockiert“, erzählt sie. Die 560 Euro sind weniger, als sie normalerweise vom Staat bekommt. „Wollen die mir das Arbeitslosengeld ­kürzen?“, fragte sie sich. Als das Geld auf ihrem Konto ankam, rief sie die Sozialversicherung an. Dort beruhigte man sie: Marin erhält weiterhin so viel wie vorher.

In Finnland besteht ein breite Konsens darüber, dass das Experiment eine gute Sache ist. Auch in Deutschland ist das Thema Grundeinkommen populär. In einer Umfrage des Instituts Ipsos im Juni 2017 plädierte gut die Hälfte der Befragten dafür.

Der Tischler Juha Järvinen wollte unbedingt mitmachen bei dem Experiment. Er hat große Pläne Foto: Hannes Koch

Viele deutsche Politiker*innen jedoch sind skeptisch, wenn es darum geht, staatliches Geld zu verteilen, ohne eine Gegenleistung einzufordern. Kanzlerin Angela Merkel bezeichnete ein bedingungsloses Grundeinkommen im Sommer als „keine gute Idee“, SPD-Fraktionsvorsitzende ­Andrea Nahles sieht das ähnlich – wie wohl die Mehrheit ihrer Partei und der Gewerkschaften. Einer der deutlichsten Kritiker ist Armutsforscher Christoph Butterwegge, den die Linken 2017 als Bundespräsidenten-Kandidaten nominierten. „Eine Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip widerspricht dem vorherrschenden Gerechtigkeitsverständnis“, sagt er. Ein bedingungsloses Grundeinkommen sei zudem absurd teuer.

Die hohen Kosten sind ein zentrales Argument gegen ein solches Modell. Bekämen alle Erwachsenen in Deutschland 800 und die Kinder 400 Euro, würde das über 700 Milliarden Euro jährlich kosten. Das ist etwas weniger als die Summe aller heute in einem Jahr ausgezahlten bundesdeutschen Sozialleistungen. Einen Teil davon könnte man zugunsten des Grundeinkommens streichen, andere, wie die Krankenversicherung, jedoch nicht. Einige Hundert Milliarden Euro müsste der Staat wohl zusätzlich aufbringen.

Verfechter*innen eines bedingungslosen Grundeinkommens geben sich alle Mühe, die Vorzüge einer solchen gigantischen Sozialreform herauszustreichen: den Abbau von Bürokratie, die materielle Sicherheit für alle Bürger. Befürworter finden sich bei den Linken und den Grünen, auch in der FDP gibt es gewisse Sympathien. Und dann sind da Manager wie Telekom-Chef Timo­theus Höttges, Ökonomen wie Thomas Straubhaar und Intellektuelle wie Oskar Negt, die ein Grundeinkommen fordern. Doch auch sie können nur schwer erklären, woher die jährlich 800 Milliarden Euro, ein Viertel der bundesdeutschen Wirtschaftsleistung, kommen könnten – und wie es gelingen soll, das gesamte Sozialsystem zu demontieren und neu zusammenzusetzen.

Auf Juhas altem Schulhof passiert mittlerweile etwas. Er hat seine neue Firma, Yxpila Art Production, registrieren lassen. Sie residiert in dem einstöckigen Schuppen gegenüber der Schule, wo auch die Werkstatt ist. Hinter der Werkbank des Tischlers steht eine mannshohe Bohrmaschine, alles ist übersät mit Holzstaub und Spänen. An der Wand hängen sieben halbfertige Handtrommeln, an den Rückseiten verziert mit Tiermotiven nach sämischer Tradition und – neuerdings – mit Engelsgesichtern. „Die Darstellung von Menschen habe ich mir früher nicht zugetraut“, sagt Juha, „aber es funktioniert.“

Unlängst lud man ihn zu einem Festival nach Norwegen ein, wo er einige Instrumente verkaufte. Eine deutsche Lehrerin wollte gleich mehrere Stücke erwerben. Überschlägt Juha seine aktuellen Einnahmen im Vergleich zum vergangenen Jahr, so kommt er auf ein monatliches Plus von ungefähr 1.000 Euro. Das Geld verdient er zusätzlich zum Grundeinkommen.

„Eigentlich arbeite ich lieber ohne Lohn“

Und er träumt von einem „Artbnb“, so etwas Ähnlichem wie der Internetwohnungsvermittlung Airbnb, allerdings für Künstler. Der Raum neben der Werkstatt soll ein Studio werden für Maler, Fotografen und Bildhauer. Im ersten Stock der Schule stehen zudem mehrere Hundert Quadratmeter leer. „Wir könnten hier eine Art Hippiekommune aufbauen“, überlegt Juha, auf seinem Stammplatz in der Küche sitzend.

Dort hält er sich häufig auf und philosophiert. Juha hat viele Pläne, einiges bleibt auf der Strecke. Etwa die Baustelle im Flur, wo früher Waschräume waren. Die wollte er abreißen, um Platz zu schaffen; er traf eine Leitung, Wasserschaden, der feuchte Holzboden musste raus. So liegt das Elend da, seit 2016. Aber jetzt gebe es Wichtigeres, sagt er: Geld verdienen. Andererseits: „Eigentlich arbeite ich lieber ohne Lohn. Ich bin Idealist.“ Juhas Leben ist langsam. Als es wieder zu schneien beginnt, fotografiert er draußen die letzte Blume.

Weil Bücherstapel den Weg versperren, steigt der Journalist Tuomas in Helsinki über die Lehne des Sofas. Er tritt auf den Balkon des Jugendstil-Altbaus. Zigarette, Feuer. „Jetzt nehme ich niedrig bezahlte Aufträge an“, sagt er. Lesungen in Schulen, Journalistenseminare, solche Sachen. Der Zuverdienst wird ihm nicht mehr angerechnet. Er sagt: „Ich habe jetzt mehr Möglichkeiten.“

Der Tischler Juha Järvinen hat eine alte Schule gekauft als Wohnhaus für seine Familie Foto: Hannes Koch

Die Erzieherin Marin arbeitet mittlerweile 25 Stunden pro Woche. Wegen des Grundeinkommens ist der niedrige Stundensatz von 11 Euro für sie noch zu verschmerzen. Man kann es so sagen: Niedriglohnsektor plus Grundeinkommen ergeben eine einigermaßen erträgliche Bezahlung.

Vielleicht ist das eine Lehre, die sich für Deutschland aus dem finnischen Experiment ziehen lässt: Ein wesentlicher Schritt in Richtung Grundeinkommen wäre schon getan, wenn die Bundesregierung bei Hartz IV auf das Fordern verzichten und sich auf das Fördern beschränken würde. Wer ein Recht auf Arbeitslosengeld II hat, bekommt es einfach. Punkt. Der Zwang wird abgeschafft, das Antanzen beim Jobcenter, die Drohung, dass das Geld gekürzt wird. Und man darf ohne Abzüge zusätzlich arbeiten. Wie eine solche Reform wirken würde, könnte man auch in der Bundesrepublik mit einem staatlichen Versuch ausprobieren.

In Finnland halten viele das Experiment für notwendig. „Unsere Sozialversicherung stammt aus der alten Zeit“, sagt Touko Aalto, 33-jähriger Chef der finnischen Grünen, in Helsinki. Im Glaspalast aus den 1930er Jahren mit der großen Fensterfront finden seine Arbeitstreffen statt. Die Grenze zwischen Selbstständigkeit und Lohnarbeit wird in Zukunft verschwimmen, glaubt er. Auch in den reichen Ländern könnten Millionen nicht mehr mit unbefristeten, gut bezahlten Tätigkeiten rechnen, wenn Internetkonzerne wie Amazon, Airbnb, Uber, Facebook oder Rocket Internet das Arbeitsleben bestimmen. „Deswegen müssen wir das System drehen“, sagt der Grüne. Er vollführt mit den Händen eine Bewegung wie am Steuer eines Wagens. Wenden in der Sackgasse.

Mehr oder weniger kann das auch Martti Talja unterschreiben, der Sozialexperte der Zentrumspartei, die den Ministerpräsidenten stellt. „Die Internetökonomie gefährdet möglicherweise bis zu einem Drittel der Arbeitsplätze.“ Das aktuelle Experiment sei nur ein Anfang. Spätestens ab 2020 werde die Regierung weitere Versuche durchführen, mit anderen Fragestellungen, eventuell mehr Teilnehmer*innen. „Unser Sozialsystem macht viele Leute depressiv“, sagt Talja. „Wir müssen es modernisieren. Das Grundeinkommen ist vielleicht ein Teil dieses Prozesses.“

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Dem Journalisten Tuomas geht es gut zurzeit. „Es ist wunderbar, bei dem Experiment mitzumachen“, sagt er. Er führt Tagebuch darüber, später will er es veröffentlichen. Und er hat die Hoffnung, dass bei den kleinen Aufträgen mal ein großer Job um die Ecke kommt. Auch Marin möchte mehr arbeiten. Sie hofft auf eine Vollzeittätigkeit ab 2019, wenn das Experiment ausgelaufen ist.

Von seinem Platz am Küchentisch aus blickt Juha auf den verschneiten Schulhof. „Ich könnte jeden Tag zwei Trommeln bauen“, sagt er. Aber dann würde der Geist nicht mehr drinstecken, fürchtet er – die Kunden würden die Instrumente vielleicht nicht mehr mögen. In ihm kämpfen der Hippie und der Unternehmer miteinander. Juha glaubt daran, dass sie sich einigen werden. 2019 will er sich wieder komplett selbst finanzieren.

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10 Kommentare

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  • 9G
    96204 (Profil gelöscht)

    Es gibt ein Modell, das ich gut finde, von Georg Quaas ("Die Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens durch eine Flat Tax"). Die zentrale Frage ist schon auch, inwiefern die Menschen weiter arbeiten. Es spricht aus psychologischer Sicht viel dafür, dass es einen allmählichen Wandel geben wird. Viele wollen weniger arbeiten. Teilweise werden Menschen an einer Stelle aufhören zu arbeiten, und dafür an anderer Stelle anfangen zu arbeiten. Durch die Bedingungslosigkeit steigt der Anreiz im unteren Segment, dazu zu verdienen. Hinzu muss man sich die Tatsache denken, dass ja ein Großteil unseres aktuellen Wirtschaftens unter dem Strich mehr zerstört, als sie 'produziert' (wenn man Umweltkosten und menschliches Leid mit einbezieht). Die Frage: Was hat man zu verlieren? Warum soll man nicht Geld für die Menschen drucken, statt für die Banken? Würde man das Geld den Menschen zukommen lassen, würde ein neues, wertschöpfendes, nachhaltiges Wachstum entstehen (können). Während heute nur 2% des Geldes im realen Markt sind, und der rest in Spekulationen steckt. Mario Draghi lässt fleissig weiter Geld drucken…. Das Grundeinkommen wird die Arbeit nicht begrenzen, es wird sie ermöglichen. Das aktuelle, sanktionierende System treibt uns weiter in den Abgrund.

    • @96204 (Profil gelöscht):

      Das Modell der Finanzierung eines bGE durch eine Flat Tax ist 99 Jahre alt und stammt von Mabel und Dennis Milner aus dem Jahre 1918.

      Es ist das einzige Modell, das zur Finanzierung nur das halbe bGE-Volumen von Oben nach Unten benötigt.

      Es erfasst auch jene, die arbeiten lassen.

      Es ist auch UNABHÄNGIG von Arbeit, weil es das Volkseinkommen ab dem ersten Cent besteuert, denn das Volkseinkommen verringert sich nicht durch Wegfall von Arbeitsplätzen, es wird nur auf weniger Personen verteilt.

      Und die Flat Tax gleicht dies dann nach der Gauß-Methode der kleinsten Steuerquadrate wieder aus:

      die Summe der Aufstockungen und Steuern ist 0, die Summe der Absolutbeträge ein Minimum !

  • „Einer der deutlichsten Kritiker ist Armutsforscher Christoph Butterwegge, den die Linken 2017 als Bundespräsidenten-Kandidaten nominierten. „Eine Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip widerspricht dem vorherrschenden Gerechtigkeitsverständnis“, sagt er.

    Ein bedingungsloses Grundeinkommen sei zudem absurd teuer.“

    Das ist falsch, das heutige Gerechtigkeitsprinzip (Art. 3 GG) verlangt, dass Erwerbstätigen mindestens die Grundsicherung Erwerbsloser als Grundfreibetrag zusteht !

     

    „Die hohen Kosten sind ein zentrales Argument gegen ein solches Modell. Bekämen alle Erwachsenen in Deutschland 800 und die Kinder 400 Euro, würde das über 700 Milliarden Euro jährlich kosten. Das ist etwas weniger als die Summe aller heute in einem Jahr ausgezahlten bundesdeutschen Sozialleistungen. Einen Teil davon könnte man zugunsten des Grundeinkommens streichen, andere, wie die Krankenversicherung, jedoch nicht.

    Einige Hundert Milliarden Euro müsste der Staat wohl zusätzlich aufbringen.“

    Durch Besteuerung ab dem ersten Cent anstatt ab Freibetrag werden nur die Grundfreibeträge kurzfristig mit ausgeliehen, das bGE kostet also nicht mehr als heute die Grundsicherungen und die KV/PV.

     

    „Doch auch sie können nur schwer erklären, woher die jährlich 800 Milliarden Euro, ein Viertel der bundesdeutschen Wirtschaftsleistung, kommen könnten – und wie es gelingen soll, das gesamte Sozialsystem zu demontieren und neu zusammenzusetzen.“

    Das heutige Sozialsystem bleibt vollständig erhalten, das bGE ersetzt nur Grundsicherungen, Kindergeld, die Grundfreibeträge der Primäreinkommen UND der Sekundäreinkommen, also auch halbe Staatsgehälter, halbe Renten und halbes ALG 1.

  • Ein BGE von 1200 € kostet 600 Mrd. von Oben nach Unten, diese 600 Mrd. sind heute schon jeweils zur Hälfte durch Einkommensteuern für Grundsicherungen und AG-Sozialabgaben finanziert. Ein bGE kostet also nicht mehr als heute die Grundsicherungen und die KV/PV, durch Besteuerung ab dem ersten Cent anstatt ab Freibetrag leiht man die Grundfreibeträge Erwerbstätiger nur aus, sie sind auch schon im Einkommen finanziert.

  • Der Beitrag stellt mehr Fragen als er beantwortet.

    Leben die oben genannten in eigenen Häusern, wenn nicht, wird die Miete bezahlt, was ist mit Krankenversicherung, Rente, Pflege.

    Was ist wenn,der Teil der dass Grundeinkommen nutzt, finanziell immer weiter gegenüber den Arbeitenden zurückfällt, wird dann aufgestockt ?

  • Das mit den Kosten kann so nicht stimmen. 800 Milliarden sind 10,000 Euro pro Nase. Aber 800 Euro pro Monat sind nur 9600 Euro...

     

    Ausserdem wuerde man dann doch zumindest die Einkommensfreibetraege abschaffen, d.h. es werden vom ersten Cent an 14% Steuern gezahlt. Fuer alle die ueber 10,000 Euro verdienen wuerde sich also praktisch nichts aendern, aber das Problem der total verrueckten Grenzsteuersaetze fuer Arbeitslose waere geloest...

  • 560€ entsprechen einem ehrlichen H-IV Satz, den man dann auch noch von den schikanösen Zwangsmaßnahmen der Kürzungen befreit.

     

    Aber die Missgünstigen jeder Couleur, die selbst nicht von solch einem Satz leben wollen, gönnen ihn eben anderen nicht.

  • "Er arbeitete als Pressesprecher für UN-Truppen im Kosovo und Afghanistan, ist Autor von vier Büchern. Trotzdem hatte er schließlich Probleme, eine feste Stelle zu finden. Finnland leidet an den Nachwirkungen der Finanzkrise."

     

    Was will der Autor damit sagen? Nicht jede gesellschaftliche und ökonomische Umwälzung hat ihre Ursache in der Finanzkrise. Sorry, aber da hätte Herr Koch für meinen Geschmack noch etwas nachdenken sollen. Ansonsten aber ein sehr interessanter Beitrag!

  • Der Artiikel scheint mir doch recht läppisch recherchiert:

     

    Zitat: "In der Bundesrepublik ist das ähnlich geregelt. Die Folge: Von eigener Arbeit bleibt Hartz-IV-Empfänger*innen wenig übrig. Ein nenneswerter finanzieller Vorteil stellt sich erst ein, wenn man etwa 1.000 Euro monatlich verdient."

     

    --> Woher kommt denn diese verwegene Annahme ab 1000€ würde ein finanzieller Vorteil entstehen. Im Gegenteil bis 1000€ gilt ein Selbstbehalt in Höhe von 20%, ab 1000€ wird der Selbstbehalt auf 10% reduziert.

     

    Zitat: "[...] würde das über 800 Milliarden Euro jährlich kosten. Das ist etwas weniger als die Summe aller heute in einem Jahr ausgezahlten bundesdeutschen Sozialleistungen."

    --> der gesamte Bundesdeutsche Haushalt betrug im Jahr 2017 rund 329 Mrd. €, soviel zur Finanzierbarkeit dieser Pläne...

  • Schöner Beitrag; danke.