Mormonen in Leipzig: May und Day auf göttlicher Mission
Alexander Day und Elder May sind Mormonen. Seit zwei Jahren versuchen sie, die Leipziger von ihrem Glauben zu überzeugen.
Zwei junge Frauen bleiben stehen und diskutieren am Rande einer Ausfallstraße im Leipziger Südosten mit Alexander Day über Gott und die Liebe. Er lächelt sie freundlich an und schaut den Frauen mit selbstverständlicher Ernsthaftigkeit in die Augen. Auch dann, wenn er Unverständnis oder Ablehnung erntet. Fünfzehn Minuten lang bleiben die Frauen stehen, dann gehen sie weiter.
Es ist einer der ersten echten Sommertage und die Hitze drückt vom Himmel herab, doch Day trägt klaglos seine schwarze Hose, ein langärmeliges weißes Hemd und Krawatte. Er ist Mormone, genauer gesagt Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Man muss schon genau hinhören, um seinen amerikanischen Akzent zu finden. Vor knapp zwei Jahren ist Day aus dem US-Bundesstaat Utah nach Deutschland gezogen, um die Menschen von seinem Glauben zu überzeugen. Er ist auf Mission, wie es bei den Mormonen heißt.
Seit November lebt Day in Leipzig und ist zusammen mit seinem Bruder Elder May Sektionsleiter für ein Gebiet, das weite Teile von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen umfasst. Day ist direkt nach der Highschool nach Deutschland gekommen, heute ist er zwanzig. Sein Bruder ist noch neunzehn. Zusammen leben sie in einer kleinen Wohnung, finanziert von der Kirche.
Auch die Tagesplanung übernimmt die Kirche für sie. May zückt ein kleines Büchlein, halb so groß wie ein Fünfeuroschein, und blättert auf Seite acht vor: Akribisch listet die Kirche auf, wie der Tag eines Missionars aussieht. 6.30 Uhr: Aufstehen, Gebet, Sport (30 Minuten) und sich fertig machen für den Tag. 7.30 Uhr: Frühstück. 8.00 Uhr: Studium der heiligen Schriften. Um 9 Uhr tauschen sich die beiden Missionare darüber aus, was sie beim Schriftstudium gelernt haben, und planen den Tag. 10 Uhr: Beginnen Sie zu missionieren. Um 21 Uhr muss der Missionar wieder zu Hause sein. 22.30 Uhr: Gehen Sie zu Bett.
40.000 Momrmonen in Deutschland
Eigentlich sind Mormonen Christen, genau wie Katholiken und Protestanten. Sie glauben an das Alte Testament und auch an Jesus – doch ist die Bibel für sie nur ein Teil der göttlichen Geschichte. Schon 600 Jahre vor Christus sei eine Gruppe um den Propheten Lehi von Jerusalem nach Amerika ausgewandert. 1830 Jahre nach Christus habe dann der Amerikaner Joseph Smith alte Aufzeichnungen des Volkes gefunden – das Buch Mormon – und von Gott den Befehl erhalten, eine Kirche zu gründen.
Bis heute hat diese Kirche weltweit knapp 16 Millionen Mitglieder gewonnen, die meisten von ihnen leben traditionell in Amerika. In Deutschland leben gerade einmal 40.000 Mormonen. In den beiden Leipziger Gemeinden sind etwa 300 Mitglieder aktiv, heißt es von der Kirche.
Kurz nach acht sitzen Day und May noch zusammen in einem hübschen Altbau in der Leipziger Innenstadt, dem Institutsgebäude. Die Kirche hat ihn angemietet und führt hier Seminare durch, in denen junge Mormonen miteinander über die heiligen Schriften sprechen und gemeinsam essen. Day und May arbeiten sich an einem mächtigen Stück Schokoladenkuchen ab. Langsam werden sie unruhig – um 21 Uhr sollen sie schließlich daheim sein. Damit sie um 6.30 Uhr wieder fit sind. „6.29 Uhr“, korrigiert Day und lächelt. „Na ja, es ist mehr ein Scherz“, wirft May ein und guckt Day unschlüssig an, „aber wir wollen für Gott ein kleines Extrastück drauflegen.“
May und Day wissen, dass Mormonentum für einige Menschen nach Sekte und Mission klingt. Stehen die beiden in der S-Bahn, werden sie angestarrt. Mit ihren weißen Hemden, dunklen Krawatten und schwarzen Namensschildern fallen sie ins Auge. „Häufig sehen wir, dass die Leute uns ziemlich ratlos anschauen“, sagt May.
Abdul erzählt vom Krieg
Ein paar Tage später stehen sie selbst etwas ratlos vor einem Reihenhaus in Stötteritz und suchen das Klingelschild von Abdul. Mormonen aus dem Erzgebirge haben den 32 Jahre alten Syrer in einer Erstaufnahmestelle angesprochen, nun wollen May und Day ihm einen Besuch abstatten. Er ist vor Kurzem nach Leipzig gezogen – seine Wohnung sieht noch unfertig aus, im Schlafzimmer gibt es keine Möbel, nur eine Matratze liegt auf dem Teppichboden, die Wände sind kahl. Day und May sitzen mit Abdul auf dem Fußboden, wollen sich vorstellen, doch das Deutsch des Syrers ist holprig und das Gespräch verläuft schleppend.
Abdul sagt, er kenne noch nicht viele Leute in Leipzig, manchmal sei er einsam, aber trotzdem froh, dass er in Deutschland sein kann. Er erzählt vom Krieg und von den Bomben, die neben ihm einschlugen, sucht nach Worten, schluckt. Die Pausen fühlen sich lang an. „Das ist fürchterlich“, sagt May endlich, der lange geschwiegen hat. Was soll ein 19-Jähriger auch schon zum Krieg sagen?
Nach einer halben Stunde gehen Day und May wieder. Abdul lächelt dankbar, er hat viel erzählt und intime Details nicht ausgelassen. Die beiden Missionare haben geduldig zugehört. Am Ende tauschen sie Nummern aus, Day lädt Abdul noch zum Gottesdienst am kommenden Sonntag ein. Abdul wird nicht kommen.
Ein Leben ohne Radio, Sex und Kaffee
Wenn jemand nicht seinen Weg zur Kirche findet, müsse man das akzeptieren, sagt Day. Er sei auf Mission, weil er überzeugt ist, andere Menschen mit dem Glauben glücklich machen zu können. „Es ist wie mit einem guten Film – den will ich ja auch meinen Freunden weiterempfehlen.“ Die Disziplin, die die Kirche von ihren Missionaren verlangt, nimmt er ohne Klagen in Kauf. Einmal die Woche darf er E-Mails schreiben, nach Hause telefoniert er zweimal im Jahr. Radio, Fernsehen und Zeitungen sind tabu.
Auch für Mormonen, die nicht auf Mission sind, gibt es strikte Regeln. Sex ist vor der Ehe nicht gestattet, Alkohol und Kaffee sind sündhaft. Trotzdem ist die sonntägliche Messe gut besucht. Gut 80 Menschen drängen sich in das improvisierte Gemeindehaus in der Südvorstadt – die Kirche in Schleußig wird gerade renoviert. Day trägt einen schwarzen Anzug, auch die anderen Mitglieder der Kirche sind schick angezogen.
Steht ein Mitglied der Gemeinde oder ein Besucher für einen kurzen Moment alleine herum, wird er unumwunden angesprochen: „Wie geht’s dir?“ „Dich kenne ich noch nicht“, heißt es dann freundlich und nie ohne ein Lächeln. Neue Mitglieder sind immer gerne gesehen.
Justin ist so ein neues Mitglied. Er sitzt im Institutsgebäude der Mormonen, wo er von Day und May regelmäßig Einzelunterricht bekommt. May schickt ihm jeden Abend eine SMS mit der Erinnerung, dass Justin beten und die Schriften studieren solle. Zu Beginn der Lektion erzählt Justin von persönlichen Problemen, dann reden die beiden Missionare mit ihm über Nephi, einen Propheten der Mormonen.
Durch Arbeit wie Jesus werden
Plötzlich drängt sich Justin eine Frage auf: „Wie sieht Gott eigentlich aus?“ Noch während Justin die Hintergründe seiner Frage erläutert, steht May auf und durchsucht mit wissenschaftlichem Ernst das Bücherregal. Er setzt sich mit dem Alten Testament in der Hand zurück an den Tisch, blättert kurz.
„Ab Genesis 1/26“, sagt er zu Justin und bittet ihn, die Stelle vorzulesen.
Im Rahmen der „Zukunftswerkstatt“ der taz erscheint jeden Freitag statt der Neuland-Seite eine eigene Seite für Leipzig, die taz.leipzig: geplant, produziert und geschrieben von jungen Journalist*innen vor Ort.
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„Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde.“
„Beantwortet das deine Frage?“, fragt May. „Ja“, antwortet Justin zögerlich, „Glauben wir denn an die Bibel?“ May zögert kurz und erklärt dann, das Alte Testament sei auch Bestandteil des Mormonentums. Später sagt er, Justin stünde noch etwas am Anfang.
Wie viele Menschen er zum Mormonentum geführt hat, kann Day nicht genau sagen. Day ist trotzdem stolz auf seine Mission. In zwei Wochen kommen seine Eltern, die selbst in der Jugend Missionare waren. Der Vater in Alaska, die Mutter in Peru. Zusammen mit seinen Eltern will er durch Deutschland reisen, bevor er zum Studium zurück nach Utah geht.
Was die Mission ihm gebracht habe? Day denkt nicht lange nach. „Ich habe Jesus-ähnliche Eigenschaften entwickelt.“ Mormonen glauben, sich durch beständige Arbeit selbst zu gottähnlichen Wesen zu entwickeln.
Zwei Wochen noch hat er Zeit, an seiner Jesushaftigkeit zu arbeiten. Jeden Tag um 6.29 Uhr aufstehen, beten, lesen, missionieren. Privatlektionen, Hausbesuche, Infostände vor dem Hauptbahnhof oder am Wilhelm-Leuschner-Platz. Am Ende bekommt er für seine Arbeit kein Gehalt oder besondere Würdigungen von der Kirche. Nur die Chance, wie Gott zu werden.
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