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Umgang mit Mittelmeer-FlüchtlingenItalien bleibt allein

Libyen soll mehr Geld für den Grenzschutz erhalten. Und Italien für die Flüchtlingsaufnahme. Was Italien wirklich will, ist Solidarität.

Seenotrettung betreiben oft NGOs. Italien will ihnen Regeln diktieren – sonst sperre es seine Häfen Foto: dpa

Rom/Brüssel taz | Eine Drohung und drei Forderungen hat Italien im Vorfeld des EU-Innen- und -Justizministergipfels von Tallinn an diesem Donnerstag auf den Tisch gelegt. Wenn das Land, so die Regierung in Rom, weiterhin allein auf den an seinen Küsten eintreffenden Flüchtlingen sitzenbleibe, werde es seine Häfen für unter fremder Flagge segelnde Schiffe von Nichtregierungsorganisa­tio­nen (NGOs) sperren.

Drei Bedingungen will Italien erfüllt sehen, wenn es auf diese Maßnahme verzichten soll. Erstens soll die EU die Aktivitäten der Rettungsschiffe mit einem Verhaltenskodex reglementieren. Dazu gehört die Kontrolle über die Finanzen der NGOs und über die an Bord ihrer Schiffe präsenten Besatzungen, die bindende Vorschrift, deutlich außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer zu operieren, ebenso wie die Verpflichtung, auf das Abschalten der Transponder, die die Lokalisierung der Schiffe erlauben, zu verzichten.

Zweitens soll die EU der libyschen Regierung deutlich stärker unter die Arme greifen. Ein weiterer Ausbau der libyschen Küstenwache müsse ebenso finanziert werden wie die Schaffung eines funktionierenden Grenzkontrollsystems an Libyens Südgrenze. Als Partner gilt dabei die Regierung unter Fajes al-Sarradsch in Tripolis, auch wenn sie gerade mal die Hauptstadt unter Kontrolle hat.

Drittens schließlich sollen andere EU-Staaten deutlich mehr Flüchtlinge aus Italien aufnehmen. Auch die Forderung, Schiffe mit Flüchtlingen sollten direkt Häfen in Frankreich oder Spanien ansteuern, brachte Italien ins Spiel.

Das Nein aus Paris und Ma­drid kam umgehend. Und die EU tut sich auch diesmal schwer mit einer Antwort auf die Krise. Allerdings gab es bereits am Sonntag eine deutsch-französische Krisensitzung. Die EU-Kommission hat zudem einen Aktionsplan vorgelegt. Er sieht vor, dass die EU den Behörden in Libyen noch stärker unter die Arme greift.

Seenotrettungszentrum in Libyen

In Brüssel erwägt man, in Seenot geratene Flüchtlinge künftig nicht mehr nach Italien, sondern zurück nach Libyen zu bringen. Zu diesem Zweck hat die Kommission vorgeschlagen, die Einrichtung eines sogenannten Seenotrettungszentrums in Libyen zu unterstützen. Die EU-Kommission liefert zusätzlich zwar verbalen Beistand für Rom – Jean-Claude Juncker nannte Italien und Griechenland gar „heroisch“ –, doch statt konkreter Angebote gab es vor allem neue Forderungen.

Gewiss, Italien soll weitere 35 Mil­lio­nen Euro aus EU-Töpfen für die Flüchtlingsaufnahme erhalten. Gewiss, die Regierungen der anderen EU-Staaten werden wieder einmal aufgefordert, Italien mehr Flüchtlinge abzunehmen. Gewiss, Libyen soll 45 Millionen Euro aus der EU-Kasse erhalten, um seine Grenz­kon­trol­len zu verbessern.

Doch im Gegenzug soll Italien weitere 3.000 Plätze in den Registrierungszentren für die Flüchtlinge schaffen und die Asylverfahren ebenso wie die Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber beschleunigen. Im Kern wird sich mithin nichts daran ändern, dass die in Italien ankommenden Flüchtlinge weitgehend Italiens Angelegenheit bleiben.

In Italien ankommende Flüchtlinge sollen Italiens Angelegenheit bleiben

Am Donnerstag wollen sich die EU-Innenminister bei ihrem informellen Treffen in Tallinn mit der Krise befassen. Ein Durchbruch wird jedoch nicht erwartet. Die Osteuropäer weigern sich weiter beharrlich, Flüchtlinge aus Italien oder Griechenland aufzunehmen. Das von der EU-Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren hat die Fronten eher noch verhärtet.

Auch Berlin und Paris, die sich gern als Freunde und Anwälte Italiens präsentieren, haben bisher keine neuen Angebote zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge gemacht. EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans betonte zwar, Italiens Forderungen seien „völlig gerechtfertigt“. Doch auf Timmermans hört kaum noch jemand. Die Wunden der Flüchtlingskrise von 2015 sind noch längst nicht verheilt.

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23 Kommentare

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  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Man muss sich mal die Frage stellen, was es für Europa bedeutet z.B. 5 Millionen Flüchtlinge aufzunehmen. Gar nichts, wenn die Umverteilung gerecht organisiert wird. Aber da ist ja die Angst vor den Rechtsradikalen

    Was die Verbesserung der Lebensbedingungen in den armen Länden anbetrifft, muss die ganze Logik von Entwicklungspolitik und Investitionspolitik umgestellt werden. Denn Afrika ist hauptsächlich Roffdtoffliferant, Müllkippe und Abnehmer von billigen Nahrungsmitteln aus EU-Überschüssen, die die einheimische Landwirtschaft kaputtmacht und durch Monokulturen ersetzt, die für den Export bestimmt sind und den Multis riesige Gewinne bringen. Es muss also eine nachhaltige, arbeitsintensive Landwirtschaft aufgebaut werden, die es den Produzenten ermöglicht vom Ertrag zu leben und die der Konsument auch bezahlen kann und die die Landflucht stoppt. Desweiteren muss umfangreich in erneuerbare Energien investiert werden, um einen leistungsstarken Produktionssektor aufzubauen. Dazu braucht es aber stabile politische Verhältnisse. Und solange die reichen Länder, die einen gegen die anderen auspielen, um die Kontrolle über die Rohstoffe und die Monokulturen zu behalten und die Korruption fördern, wird nichts daraus.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Solidarität gibt 's nur noch, wenn ein steuerähnlicher Zuschlag eingeführt wird.

    Vorschlag: Soli beibehalten, aber noch einmal umwidmen. Tut uns nicht weh und vielen gut.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @571 (Profil gelöscht):

      Das wäre ein guter Anfang.

      Unsere Selbstverpflichtung, Entwicklung woanders finanziell zu fördern sollte allerdings viel weiter gehen.

      Und es sollten auch andere Staaten mit halbwegs soliden Volkswirtschaften überzeugt werden, mitzutun.

      Die Devise lautet: uns selbst einschränken - die anderen entwickeln.

      Es muss sich völlig abheben von dem was bisher unter "Entwicklungshilfe" verstanden wurde, sowohl im Umfang der Transferleistung, aber auch in der Art, wie es zu organisieren ist. Kein Gießkannenprinzip, keine Leistungen an korrupte Administrationen, wirksame Kontrolle und dauernde Negotiation im Geiste von echten Partnerschaften usw.

      Hinzu kommen müssen Einladungen und finanzielle Unterstützung für Auszubildende und Studenten, die für die Zeit einer Ausbildung hier Aufenthaltsrecht bekommen.

       

      Die Ratio dahinter: unser Reichtum beruht ganz wesentlich nicht auf den eigenen Ressourcen. Die Zeit zu teilen ist jetzt da, oder nie.

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @61321 (Profil gelöscht):

        Seltene Einsichten, dafür umso goldener Ihre Worte.

         

        Der letzte Rest politischen Anstandes wird hierzulande der AfD und anderen Erfolgspopulisten - rechts wie links - geopfert.

      • @61321 (Profil gelöscht):

        "Die Devise lautet: uns selbst einschränken - die anderen entwickeln."

         

        Dieser postkoloniale Ansatz ist abzulehnen. Woher nehmen Sie die Berechtigung andere Staaten "entwickeln" zu wollen? Beispiel Afghanistan: Besser gehts den Afghanen durch die Hilfe des Westens zur Entwicklung - nach westlichen Vorstellungen - nicht.

         

        Geld ist Ersatz für Arbeit. Wer Geld gibt, schafft Arbeit im eigenen Land denn das Geld kommt zurück und vernichtet Arbeit im Empfängerland.

  • Wenn es noch viel mehr weh gut, werden sicher Lösungen kommen, die man vor Jahren noch für undenkbar hielt (z.B. 2015), ich tippe auf eine australische Lösung. Wartet einfach noch ein paar Jahre ab.

    • @DerKommentator:

      Australische Lösung. Das geht mit Afrika aber nicht so einfach. Aber einfache Lösungen sind natürlich hoch begehrt. Und dann jubeln die Rechten wieder, sie hätten es schon 2015 gesagt. Typisch halt, man vergleicht Äpfel mit Birnen.

  • 1. Weiter protestieren. Die konzeptlose Fehlalarm Politik sieht sich mit echten Herausforderungen derart überfordert, daß es sich spontan in seine G20 Hochburg zurückzieht.

    2. Weniger sinnlos abarbeiten. Wenn man Meinungsführer in einer Gruppe hat, hat man nicht eine Meinungsführerschaft. Überprüft eure Meinungsführer. Die meisten freuen sich, wenn sie ein Gefolge haben.

    • @Picard:

      Effektiver Altruismus?

  • Wieso sind die restlichen EU- Staaten unsolidarisch? Zählen die Rettungsschiffe vor der libyschen Küste nichts?

  • Solange die Verhältnisse i.d. Herkunftsländern sich nicht geändert haben, so lange werden Invasionen von Menschen, viele Wirtschaftsflüchtlinge

    nach Europa kommen.

    Habe mal vor längerer Zeit im Netz gelesen, das nur ein Einmarsch in diese Länder diesen Menschen und uns in Europa helfen können, diese

    Staatenflucht einzudämmen.

    • @P-et-r-a:

      wie in Libyen, Syrien, Afghanistan und im Ira?. Dadurch wird es nur schlimmer. Jede Art von "Hilfe" ist falsch, weil Probleme verdrängt aber nicht beseitigt werden. Insbesondere ist es falsch Migranten aufzunehmen, die keine Perspektive auf anständige Arbeit haben. Afrika muss seine Probleme selbst lösen. Dazu gehört auch die Schaffung von Perspektiven für die afrikanische Jugend bzw. der Umgang mit perspektivlosen Jugendlichen.

       

      Die Behauptung, man könne afrikanischen Bootsflüchtlingen in Europa eine Perspektive außerhalb des Lebens in Flüchtlingslagern bieten ist eine gut gemeinte Lüge.

       

      Perspektive sind allenfalls 25€-Jobs-pro-Tag zu Lasten der einheimischen Arbeitssuchenden.

      • @A. Müllermilch:

        In weiten Teilen teile ich die Auffassung.

        Es gibt Länder in Afrika, die verfügen über wahnsinnig große Edelmetall-Bodenschätze und die Masse der Menschen muss Not leiden.

        Unglaublich, das verantwortliche Politiker die Schürfrechte für relativ wenig Geld an ausländische Abbaugesellschaften vor Jahrzehnten vergeben haben.

        Würden diese Staaten ihre Bodenschätze ehrlich selbst vermarkten, hätten viele Menschen dort eine wirkliche Zukunft.

  • Bill Gates, dem man bei Gott keinerlei rechte Umtriebe unterstellen kann, hat sich neuerdings für closed door policy für Europa ausgesprochen, weil man, auch beim besten Willen, der demographischen Herausforderung nicht gewachsen sei:

    http://www.dailymail.co.uk/news/article-4665198/Bill-Gates-warns-open-door-migration-overwhelm-Europe.html

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @agerwiese:

      Naja linke Umtriebe aber auch nicht. Also ersaufen lassen?

      • @82236 (Profil gelöscht):

        Bei allem was sie tun, wissen sie, dass Menschen sterben: Waffen exportieren, brasilianisches Rindfleisch kaufen, Baumwolle kaufen etc. Hier ist es nur offensichtlicher.

      • @82236 (Profil gelöscht):

        So wie jetzt auch schon.

      • @82236 (Profil gelöscht):

        Nein, nicht ersaufen lassen, sondern sichere Rückwege in die Herkunftsländer ermöglichen.

         

        In einem Interview mit dem Tagesspiegel (27.6.17) sagte der Kapitän eines der Boote, die die Flüchtlinge/Migranten aus dem Meer vor der libyschen Küste retten:

        "Die Menschen, die sich aus Ländern der südlichen Sahelzone auf den Weg machen, wissen nicht, was sie in Libyen erwartet. Viele sagen später: Wenn wir das gewusst hätten, wären wir zu Hause geblieben."

         

        Diese Äußerung, bei der der Interviewer leider nicht weiter nachgehakt hat, zeigt, dass das Verlassen des Heimatlandes offenbar nicht einzige Alternative ist und das Leben in den Heimatländern sicherlich schwierig, aber nicht ausweglos.

         

        Sicherlich gibt es unter denen, die versuchen, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, auch echte politische Flüchtlinge. Die Mehrzahl dürften aber Wirtschaftsmigranten sein.

         

        Und darum ist es besser, den Menschen in ihrer Heimat Wege zu einem besseren Leben aufzuzeigen, anstatt ihnen Traumschlösser von einem besseren Leben vorzugaukeln, für diese dann ihr Leben aufs Spiel setzen - nicht erst in Libyen und auf dem Mittelmeer, sondern bereits auf dem Weg dorthin...

      • 3G
        39167 (Profil gelöscht)
        @82236 (Profil gelöscht):

        Weder noch!

        Lösungen finden, in den Ländern selbst.

        Ich bin kein Freund von Bill Gates, im Gegenteil, aber er hat jetzt ausnahmsweise einmal Recht.

        Dem Zustrom sind wir nicht gewachsen.

        Wobei er mit seinem Geld enorme Hilfe leisten könnte, abseits der Förderung der Gentechnik in den armen Ländern. Was diese Menschen noch mehr in die Armut treibt, in Abhängigkeiten. Viele sehen nur in Selbstmord eine Lösung.

        • 5G
          571 (Profil gelöscht)
          @39167 (Profil gelöscht):

          "Dem Zustrom sind wir nicht gewachsen."

          Unsinn, dem Zustrom wollen wir nur nicht gewachsen sein.

          Rechnet das mal jemand aus, stellt man mit Erstauenen fest, dass der "Zustrom" kaum eine Rolle spielt und nur aus politischen Gründen hochgejazzt wird.

          • @571 (Profil gelöscht):

            Wieso soll das jemand ausrechnen. Sie haben es ja schon scheinbar gemacht um Ihre Erstaunungsthese zu stützen.

            Bitte um Ihre rechnerischen Fakten.

    • @agerwiese:

      Guter Beitrag.

  • Die Neoliberalen führen die Linken mit ihrer Cornucopia vor bis es dann wieder alles nach rechts in Europa kippt. Richtig wäre ein robustes Vorgehen gegen die Schlepper.