Kolumne Afrobeat: Das Schweigen der Hirten
Der Auftritt von Papst Franziskus in Polen war beeindruckend. Er sollte aber nicht nur Auschwitz, sondern auch Ruanda besuchen.
P apst Franziskus hat sich in Auschwitz durch eine eindrucksvolle und sympathische Neuerung hervorgetan: Statt eine Rede zu halten, schwieg er. Am Ort des unfassbaren Grauens ist das ein angemessener Auftritt.
Auschwitz ist seit Johannes Paul II. eine Pflichtstation für jedes katholische Kirchenoberhaupt. Aber noch kein Papst hat es für nötig befunden, den Ort des zweiten großen Völkermords des 20. Jahrhunderts zu besuchen: Ruanda, wo im Jahr 1994 bis zu eine Million Menschen bestialisch abgeschlachtet wurden, um die Tutsi-Minderheit des Landes auszulöschen. Der letzte Papstbesuch in Ruanda war 1990. Ihrer Mitverantwortung für das Massenmorden dort hat sich die katholische Kirche nie gestellt. Sie schweigt.
In den ruandischen Genozid, anders als in den Holocaust, ist die katholische Kirche direkt verwickelt. Zu Zehntausenden suchten Tutsi in Kirchengebäuden Schutz vor den Mordmilizen – dann wurden sie dort massenhaft umgebracht. Ruandas Kirchen erwiesen sich als Todesfallen, so manche Geistliche wurden willige Helfer. Beim bisher einzige Prozess in Deutschland gegen einen ruandischen Völkermordtäter war der Tatort eine katholische Kirche.
Das UN-Völkermordtribunal für Ruanda hat mehrere Priester verurteilt. Emmanuel Rukundo wurde 2001 von seinem Zufluchtsland Schweiz an die UN ausgeliefert und sitzt seit 2009 eine 23-jährige Haftstrafe ab. Er führte nach Erkenntnissen des Gerichts am 24. Mai 1994 Milizionäre in seine Seminargebäude in Kabgayi, Sitz der ältesten Kathedrale Ruandas, um versteckte Tutsi zu töten. Er war ein Überzeugungstäter. Überlebende sagen, er habe noch im Schweizer Exil gesagt, die Tutsi hätten es nicht anders verdient.
In Ruanda ist die Vergangenheit nicht vergangen
Spricht man über solche Dinge mit Gläubigen, wird es oft geleugnet, relativiert, als düstere Vergangenheit abgetan, als Verfehlung Einzelner bedauert, der man durch Versöhnung begegnen müsse. Aber in Ruanda ist die Vergangenheit nicht vergangen, und Verfehlungen haben System.
Als am 16. Juli 2016 die Diözese Kabgayi das 25. Jubiläum der Ordinierung von sieben ihrer Priester feiern wollte, stand Emmanuel Rukundo auf der Liste. Kabgayis Bischof Smaragde Mbonyintege, als Präsident der ruandischen Bischofskonferenz der oberste Katholik Ruandas, wollte einen verurteilten Völkermordtäter am Ort seiner Taten für seine „exemplarischen Dienste“ an der Kirche ehren. Proteste von Völkermordüberlebenden verhinderten dies. Aber was geht in einer Kirche vor, in der es so weit kommt?
Papst Franziskus ist dafür bekannt, dass er Kontroversen nicht scheut. Vor knapp einem Jahr war er in Afrika. Nach Uganda und Kenia besuchte er die Zentralafrikanische Republik, Schauplatz völkermordähnlicher Pogrome an der muslimischen Minderheit durch sich christlich nennende Milizen. Er begab sich persönlich zu bedrohten Muslimen und übte Schulterschluss mit den Verfolgten.
In der katholischen Kathedrale von Bangui eröffnete er feierlich mit dem Bibelspruch „Öffnet die Pforten der Gerechtigkeit“ das „Jahr der Barmherzigkeit“ – ein von ihm verkündetes außerordentliches Heiliges Jahr der katholischen Weltkirche von November 2015 bis November 2016.
Afrikas wichtigster Beitrag zum „Jahr der Barmherzigkeit“ soll nun in Ruanda stattfinden: Ein gesamtafrikanischer „Kongress über die Barmherzigkeit Gottes“ im September in der Hauptstadt Kigali. Es könnte eine Gelegenheit sein, sich der Vergangenheit zu stellen, über den Völkermord hinaus.
Katholisches Ruanda
Ruanda war lange Zeit das katholischste Land Afrikas. Ruandas König weihte sein Land 1946 während der belgischen Kolonialherrschaft Jesu Christi, als einziges Land der Welt außer dem Vatikan. Die Kirche war damals der einzige Weg zu höherer Bildung für Ruander. Katholische Seminaristen führten Ruanda 1962 in die Unabhängigkeit als Republik der Hutu, die ihre Tutsi-Minderheit als Schergen des vorkolonialen Königshofs diffamierte und als feudale Eindringlinge verjagte und tötete – bis 1994, als das Problem der Anwesenheit von Tutsi in Ruanda durch komplette Ausrottung gelöst werden sollte.
Hutu-Milizionäre ließen sich segnen, bevor sie mit ihren Macheten zum Töten loszogen. Und als Ruandas Völkermordtäter 1994 in den Kongo verjagt wurden, wo sie bis heute unter Waffen stehen, nahmen sie ihren Glauben mit, als ideologischer Kitt ihrer Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Ihr in Deutschland lebender Präsident Ignace Murwanashyaka ist ein tiefgläubiger Katholik. Bevor ein Gericht in Stuttgart ihn 2015 als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung verurteilte, rezitierte er in seinem Schlusswort Psalmen.
Eine seltsame Parabel
In Ruanda hat die katholische Kirche seit dem Sturz des Hutu-Regimes 1994 ihren Einfluss verloren. Der Vatikan scheint sich nicht bewusst zu sein, dass er daran nur selbst etwas ändern kann. Sonst würden die Päpste seit 1994 keinen Bogen um Ruanda machen und katholische Gemeinden weltweit würden wegen Teilnahme am Völkermord gesuchte Priester nicht schützen.
Bringt das „Jahr der Barmherzigkeit“ einen Neuanfang? Es sieht nicht danach aus. Die Initiatoren des Kongresses in Kigali werben für ihr Vorhaben mit einer Parabel: Eine Frau beschuldigt einen Mann fälschlich, am Völkermord teilgenommen zu haben. Er wandert ins Gefängnis. Sie hat Gewissensbisse, beichtet ihrem Priester, findet den Häftling nach seiner Freilassung, und er vergibt ihr. „Sie sind jetzt Freunde“, schließt die Geschichte. Der als Täter Verurteilte verzeiht dem Opfer, das ihn zu Unrecht ins Gefängnis gebracht hat – gelebte Barmherzigkeit.
Verallgemeinert heißt das: Die zu vergebende Tat in Ruanda ist nicht der Völkermord, sondern die Völkermordanklage. Ist das wirklich die Botschaft der Katholiken Ruandas? Wenn der Papst für Afrika eine andere Botschaft hat, muss er es sagen. In Auschwitz mag Schweigen angemessen sein. In Ruanda nicht.
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