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Debatte KoalitionsgipfelSpiel um wertlose Positionspapiere

Bettina Gaus
Kommentar von Bettina Gaus

Transitzonen werden eh nicht kommen, CDU und CSU bleiben sowieso zusammen. Alle Koalitionsparteien spielen mit gezinkten Karten.

Was die drei Parteichefs in ihren Parteiprogrammen stehen haben, ist gar nicht so wichtig. Foto: reuters

E s gibt Dinge, die kommen verlässlich wie der Kälteeinbruch im Spätherbst. So die Forderung nach einem Ende des „Parteienstreits“, wenn es um wichtige Themen geht. Knapper lässt sich die Verachtung des parlamentarischen Systems nicht auf den Punkt bringen. Betrüblich, dass auch Spitzenkäfte der grünen Opposition derlei in diesen Tagen mit treuherzigem Blick in die Kameras erklären. Worin sehen sie denn die vornehmste Aufgabe von Parteien – in der Verteilung von Ämtern, Mandaten und Posten?

Der Sinn von Parteien besteht darin, das Meinungsspektrum abzubilden, das in der Gesellschaft besteht. In der Flüchtlingsfrage ist dieses Spektrum ziemlich breit. Manche Leute sollen einer Partei ja sogar deshalb beitreten: weil sie deren grundsätzliche Positionen teilen. In einem prinzipiellen Konflikt hilft deshalb die Aufforderung nicht recht weiter, dass nun endlich Schluss sein müsse mit der Diskussion – und „ran an die Arbeit“. So konnte man vielleicht früher mit Jugendlichen in einem Zeltlager umgehen. Aber so kann man heute nicht mit Wählerinnen und Wählern umgehen, will man die Wahlbeteiligung nicht in schwindelerregende Tiefen treiben.

Wenn ein Grundsatzstreit nicht ausgetragen wird, dann leidet die Glaubwürdigkeit aller Beteiligten. Das Problem: Der Koalitionsgipfel im Kanzleramt hat diesen Grundsatzstreit nicht ausgetragen, nicht einmal angerissen. Stattdessen vermittelte sich der Eindruck, dass alle Teilnehmer mit gezinkten Karten spielten.

Nein, es ist nicht zu vermuten, dass die Bundeskanzlerin dem SPD-Vorsitzenden zugezwinkert hat, bevor dieser die Sitzung verließ. Sie wird den Blick starr auf ihre Akten gerichtet haben, alles andere wäre dumm gewesen. Aber sie dürfte schon hoffen, dass sich die Sozialdemokraten im Hinblick auf Transitzonen unnachgiebig zeigen.

Transitlager sind nicht umsetzbar

In dieser Frage geht es nämlich nicht nur um Grundsatztreue, sondern auch um Pragmatismus: Transitlager sind schon allein logistisch fast nicht umsetzbar und in der öffentlichen Wirkung verheerend: Deutsche Grenzschützer, die traumatisierte Familien mit Gewalt an der Weiterreise hindern? Die ein brüllendes Kind zurücktreiben ins „Transitlager“?

Die Ereignisse haben die Frage nach der persönlichen Haltung der Kanzlerin überholt

Schauerlich. Man soll sich nichts vormachen: Solche Bilder wären in Ungarn, in Griechenland und in Italien schwer erträglich. In Deutschland wären sie unvorstellbar. So lange kann die deutsche Vergangenheit gar nicht zurückliegen, dass derartige Aufnahmen nicht schreckliche Erinnerungen wachriefen.

Transitlager, wie immer sie aussehen mögen, wird es deshalb vermutlich nicht geben. Und es darf vermutet werden, dass alle Beteiligten das wissen.

In den letzten Wochen ist, auch in dieser Zeitung, eine Diskussion darüber entbrannt, ob Angela Merkel angesichts der Flüchtlingskrise standhaft bleibt, weil sie tatsächlich zutiefst von der Berechtigung des Asylrechts überzeugt ist – oder ob sie einfach links blinkt und rechts abbiegt. Für beide Positionen gibt es überzeugende Argumente, aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass sie vor allem für Historiker und Biografen interessant sind. Die Ereignisse haben die Frage nach der persönlichen Haltung der Kanzlerin überholt.

Niemand in komfortabler Lage

Es geht inzwischen um die Zukunft der traditionellen Parteien, nicht mehr um die Haltung Einzelner. Nicht einmal mehr um die der Regierungschefin. Wer eine Situation wie die bestehende am Reißbrett entwickelt, mag zu Recht feststellen, dass weder Angela Merkel noch Sigmar Gabriel noch Horst Seehofer die reine Lehre ihrer Parteien vertreten. Das bringt Realität manchmal so mit sich. Und Parteien bestehen eben nicht nur aus deren Programmen, sondern auch aus – internen und externen – Machtkämpfen.

Schaut man auf die Parteien der Großen Koalition im Einzelnen, dann ist keine von ihnen in einer komfortablen Situation. Horst Seehofer von der CSU kann ein Ultimatum nach dem anderen stellen – etwas kann er nicht tun, jedenfalls nicht mit einer halbwegs realistischen Aussicht auf Erfolg: die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufkündigen und die CSU bundesweit zur Wahl stellen. Das nämlich würde bedeuten, dass die CDU in Bayern antritt. Und wenn sie auch nur 15 Prozent der Stimmen holte, dann würden viele CSU-Landräte ihre Posten verlieren.

Vorstellbar, dass Seehofer diese Entwicklung unbeschadet überstehen könnte? Nein, nicht vorstellbar. Seine Drohungen laufen ins Leere, wie Angela Merkel sehr genau weiß. Warum erlaubt sie ihm dann trotzdem, das Gesicht zu wahren und eine – nur scheinbare – Einigung auf ein Positionspapier der Union als persönlichen Erfolg zu verkaufen?

Wachsender Widerstand

Weil der Widerstand gegen sie in den eigenen Reihen so groß ist, dass sie jede Unterstützung braucht, die sie bekommen kann. In der Unionsfraktion brodelt es, und die Ursache liegt nicht allein – vielleicht nicht einmal vorwiegend – im Flüchtlingsproblem begründet.

Angela Merkel erklärt sich nicht gern. Das war schon immer so, und daran hat sich nichts geändert. Die Energiewende, die Abschaffung der Wehrpflicht, die deutsche Position in der griechischen Finanzkrise: Stets hat sie ihre Partei vor vollendete Tatsachen gestellt. Irgendwann bringt ein Tropfen das Fass zum Überlaufen. Mit Rationalität hat das dann nichts mehr zu tun.

Die Unionsfraktion will sich von der Kanzlerin nicht mehr in die Solidarität zwingen lassen, egal zu welchem Thema. Viele Abgeordnete fühlen sich erpresst und gedemütigt – für eine Regierungschefin gibt es kaum etwas Gefährlicheres.

Aber warum spielt die SPD beim Spiel um wertlose Positionspapiere mit? Weil sie eine unverhoffte Chance geboten bekommt, sich endlich wieder mal als Hüterin der Menschenrechte zu präsentieren. Obwohl ihr Parteivorsitzender, der zugleich Wirtschaftsminister ist, Waffenexporte in alle Welt genehmigt – unter anderem nach Saudi-Arabien, einem Land, das derzeit Kriegsverbrechen im Jemen verübt. Das ist alles ziemlich verlogen. Und? Nach Alternativen wird gefahndet – bislang erfolglos.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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4 Kommentare

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  • Wohl wahr in der Flüchtlingsfrage ist das Spektrum möglichen Parteienstreits ziemlich breit angelegt, nämlich durch Angela Merkels verfrüht aufbereiteten Gedankenerguss "Wir schaffen das", als handle es sich um notgeile "Bückware" vom Schwarzmarkt der Politik, damit der Weg zum Baum politischer Erkenntnis um so weiter weg am Horizont als unerreichbar irrlichterne "Fatima Morgana" erscheint.

     

    Was Merkel ausgelöst hat, ist, scharf am Thema Flüchltinge aus Kriegsgebieten Syrien, Irak, Afghanistan vorbei, eine Debatte über eine Scheinschwangerschaft "Wir schaffen das". "Sie mich auch".

     

    Geht es hier zwischen SPD und CDU/CSU wikrlich um einen Grundsatzstreit? Geht es nicht viel mehr um eine Verdeckungsdebatte, um das wahre Elend der Menschen auf der Flucht aus Elendsquartieren rund um Kriegsschauplätze Syrien, Irak, Afghanistan nicht wahrzunehmen, sich nicht der Frage zu stellen, die der Bürgermeister der Stadt Mytilini auf der griechischen Insel Lesbos stellt ob es nicht besser sei, Flüchtlinge mit einer Fähre aus der türkischen Stadt Izmir auf die griechische Insel Lesbos zu bringen, um weitere Tote bei gefahrenvoller Fahrt in untauglichen Booten über die 12 Kilometer breite Meeresenge zwischen der Türkei und Griechenland zu vermeiden? Immerhin werden ja auch schon Flüchtlinge mit Bussen direkt aus Slowenien über Öserreich nach Deutschland gehölt. Österreich nimmt übrigens bei einer Bevölkerung von 8.5 Millionen Personen mindestens so viele Flüchtlinge auf wie deutschland.

    https://www.freitag.de/autoren/joachim-petrick/nach-lesbos-reise-nichts-neues

    JOACHIM PETRICK 03.11.2015 | 02:06 3

    Nach Katrin Göring- Eckardt Lesbos Reise im Westen nichts Neues?

  • Sie schreiben zu Recht: "Die Unionsfraktion will sich von der Kanzlerin nicht mehr in die Solidarität zwingen lassen, egal zu welchem Thema. Viele Abgeordnete fühlen sich erpresst und gedemütigt – ......"

     

    Allerdings existiert das identische Problem inzwischen auch außenpolitisch. Der Absatz könnte nämlich auch folgendermaßen lauten: Unsere EU-"Partner" wollen sich von der Kanzlerin nicht mehr in die Solidarität zwingen lassen, egal zu welchem Thema. Viele Staaten fühlen sich erpresst und gedemütigt – .....

     

    Angesichts dieses diplomatischen Trümmerhaufens, der größtenteils auf den extrem rücksichtslosen Politikstil Merkels zurückzuführen ist, sollte man ernsthaft darüber nachdenken, wie lange sich Deutschland noch so eine Kanzlerin leisten kann.

     

    Wenn das Projekt „Europa“ wirklich noch eine Chance für die Zukunft erhalten soll, brauchen wir endlich eine/n Regierungschef/in, der/die auf europäischer Ebene nicht unentwegt mit Erpressung und Demütigungen operiert. Die Bürger der anderen EU-Staaten haben zunehmend die Nase voll von dem permanenten „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“. Wenn ich mit meinen Freunden und Bekannten in Frankreich. Polen und Großbritannien darüber spreche, wer durch sein Handeln in erster Linie dafür verantwortlich ist, dass sich immer mehr Menschen in diesen Staaten europakritischen bzw. europafeindlichen Parteien zuwenden, fällt ein Name immer wieder. Es erübrigt sich wohl, dass ich diesen hier nenne.

  • Danke Bettina Gaus, ein wirklich hervorragender Artikel, eine Einschätzung und Stellungnahme auf den Punkt - und die Schreibe richtig gut...und unterhaltsam. Davon wünsche ich mir mehr - guter Journalismus. Schönen Tag noch.

    • @Zeuge14:

      Dem kann ich mich nur anschließen und ich möchte es noch erweitern: Das gilt für fast alle kommentare von Bettina Gaus.