Angriffe auf Flüchtlingsheime: Das hässliche Deutschland
„Besorgte Bürger“ rufen zum Protest gegen Flüchtlinge – und teils auch offen zu Gewalt auf. Der Übergang zu militanten Neonazis ist fließend.
Am 18. März gingen die Windener dann erstmals auf die Straße. Sie trugen Transparente mit Slogans wie „Bürger, wehrt Euch“. Kurz darauf gab das Landratsamt Pfaffenhofen nach: Statt 125 sollten nur 67 Flüchtlinge nach Winden kommen. Manchen war das noch immer zu viel. Auf der Seite der Onlinepetition posteten besorgte Bürger Meldungen über „Vergewaltigungen durch Asylanten“. In der Nacht zum 17. Juli legten Unbekannte zwei Brandsätze in den noch unbewohnten Gasthof. Um 2.44 Uhr ging der Notruf bei der Polizei ein.
„Ich habe in der Nacht die Sirene gehört“, berichtete eine Anwohnerin am nächsten Morgen dem Donaukurier. „Aber ich wollte nicht losmarschieren und schauen.“ Verbrannt gerochen habe es. Die Anwohnerin Anita Adam sagte der Zeitung, sie kenne „keine andere Ortschaft, die auf die angekündigten Asylbewerber so harmonisch reagiert habe. „Es wird nicht geschimpft.“
202 solcher Angriffe gab es nach Zählung des Bundeskriminalamts von Januar bis Juni dieses Jahres. Für 173 dieser Übergriffe seien rechtsextreme Täter verantwortlich, erklärte das Bundesinnenministerium kürzlich. Der Hintergrund weiterer 26 Taten habe bisher nicht zugeordnet werden können. Damit ist die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in den ersten sechs Monaten dieses Jahres so hoch wie im ganzen vergangenen Jahr. Im Jahr 2013 gab es 58 Übergriffe aus der rechten Szene gegen Asylbewerberheime.
„Haut die Penner raus“
Immer öfter geschehen die Angriffe in der Folge von Protesten „besorgter Bürger“. 2012 hatten Nazis erstmals den Schulterschluss mit dem bürgerlichen Spektrum gegen Unterkünfte von Asylbewerbern versucht. Die erste Welle der „Nein zum Heim“-Bewegung verebbte, kam aber in den letzten Monaten umso heftiger zurück. Der Übergang zwischen bürgerlich-konservativen Asylheimgegnern und militanten Rechten wird fließend.
Auf den Webseiten vieler Anwohnerinitiativen wird Gewalt offen gutgeheißen. Kostprobe: „Haut die Penner raus sofort ich helfe sogar dabei den Pennern einen fetten arsch tritt zugeben das die dort hin fliegen wo die hergekommen sind!!!!! Echte Kriegs Flüchtlinge brauchen keine Handys oder einen großen tv“, befand etwa ein User namens „Ronny Putzger“ am Donnerstag auf der Facebookseite von „Nein zum Heim Sächsische Schweiz“. So gibt es Brandanschläge, auf Flüchtlinge selbst wurde ebenso geschossen wie auf ihre Unterkünfte, unter dem Auto eines linken Politikers explodierte vor wenigen Tagen eine Bombe.
Die Deutsche Presseagentur sah eine neue Stufe der Eskalation und kündigte Anfang der Woche an, nicht mehr von „Asylgegnern“ oder „Asylkritikern“ zu schreiben. Das Bundesinnenministerium weigert sich bislang, von rechtem Terrorismus zu sprechen – und wird dafür immer härter kritisiert.
Empfohlener externer Inhalt
Das Bundeskriminalamt weist auf Anfrage darauf, dass von den politisch motivierten Straftaten „rechts“ im vergangenen Jahr 45,2 Prozent aufgeklärt worden seien. Doch viele Angriffe auf Flüchtlinge oder ihre Unterkünfte werden nicht als solche erfasst – die Polizei ermittelt „in alle Richtungen“, die Fälle gehen nicht in diese Statistik ein.
Anders im Fall Winden. „Wir sind sehr schnell von vorsätzlicher Brandstiftung ausgegangen“, sagt Hans-Peter Kammerer vom Polizeipräsidium Oberbayern Nord. Und es sei „durchaus möglich, dass die Täter aus den rechten Bereich kommen“. Die Polizei gründete eine Sonderkommission mit 25 Beamten. Die sei „derzeit hauptsächlich mit der Befragung der Bewohner des Ortes befasst.“ Hinweise, die die Täter überführten, gab es von dort bislang keine.
Die protestierenden Asylheimgegner genauer unter die Lupe nehmen will die Polizei indes nicht. „Wenn jemand seine Meinung kundtut, kann umgekehrt kein Tatverdacht daraus begründet werden, das wäre eine Nummer zu einfach“, sagt Kammerer. Die Ermittler hoffen jetzt auf mögliche Beobachtungen von 200 SchülerInnen, die in der Tatnacht in einem Wäldchen nahe dem Gasthof ihren Abschluss feierten. Doch von denen seien viele „noch im Urlaub“.
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