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Kommentar Veto gegen MH17-TribunalRussischer Irrsinn

Kommentar von Barbara Oertel

Dass Russland ein UN-Tribunal zum MH17-Abschuss verhindert hat, ist wenig überraschend. Die Begründung aber lässt aufhorchen.

UN-Sicherheitsrat am Mittwoch: Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin (mit weißem Haar) verhinderte das MH17-Tribunal. Foto: dpa

R usslands Veto gegen ein UN-Tribunal, das die näheren Umstände des Abschusses des Passagierflugzeuges MH17 hätte erhellen sollen, war zu erwarten. Damit hat Moskau am Mittwoch noch einmal unmissverständlich klargestellt: An einer wirklichen Aufklärung der Tragödie geschweige denn daran, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, besteht kein Interesse.

Allerdings lässt eine der Begründungen für diese Entscheidung, die ein Schlag ins Gesicht der Hinterbliebenen der Opfer ist, aufhorchen: Ein derartiges Tribunal laufe Gefahr, der Propaganda der Medien anheimzufallen, erläuterte Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin. Der Mann muss es wissen – vor allem in Zeiten des Krieges in der Ukraine, wo dem Kreml keine vermeintliche Nachricht zu dümmlich und abstrus ist, um den „faschistischen“ Nachbarn zu diskreditieren.

In die gleiche Kategorie dieses menschenverachtenden Zynismus fällt die Causa Nadija Sawtschenko. Derzeit steht die ukrainische Pilotin wegen des Mordes an zwei russischen Journalisten und illegalen Grenzübertritts in der südrussischen Region Rostow vor Gericht – hinter verschlossenen Türen natürlich.

Unabhängig vom Prozessverlauf und wie in Russland üblich, dürfte das Verdikt bereits jetzt feststehen. Da spielt es dann auch keine Rolle, dass Sawtschenkos Anwälte behaupten, belegen zu können, dass sich ihre Mandantin zum Zeitpunkt des Todes der Journalisten bereits in der Gewalt der pro-russischen Kämpfer befand.

Zu diesem ganzen Irrsinn passt denn auch der Vorstoß eines kommunistischen Duma-Abgeordneten. Dieser fordert ein Gesetz, wonach das Menü eines Restaurants zur Hälfte aus traditionellen russischen Gerichten bestehen muss. Ausländische Küche wirke sich schlecht auf das Prestige Russlands aus. Na Mahlzeit! Man darf gespannt sein, was sich Putin und Konsorten als Nächstes einfallen lassen.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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12 Kommentare

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  • Man sollte sich doch mal fragen, was ein solches Tribunal ausser Propaganda sonst noch erreichen soll. 1. sind die Ermittlungen noch immer nicht abgeschlossen. 2. Haben die USA noch immer nicht ihre Aufklärungsdaten herausgerückt. 3. Fehlen noch immer die Protokolle und Aufzeichnungen des Funkverkehrs mit den ukrainischen Fluglotsen. Und seit wann werden solche Vorfälle über UN-Tribunale aufgeklärt? Es gibt ein übliches Prozedere und das müsste ja wohl erst einmal abgearbeitet sein, bevor man das nächste Ermittlungsgremium einsetzt. Sollten am Ende die Täter feststehen benötigt man auch kein Tribunal sondern den Internationalen Gerichtshof. Aber die TAZ muss ja auch mal wieder das übliche mediale Geschwätz breittreten, solange es immer schön gegen Russland geht.

  • Schurkin?

    • @nzuli sana:

      ... ob man ihn wohl als Zeugen vor das Tribunal laden wollte ? Oder stellvertretend Lawrow , oder den russischen Verteidigungsminister ? Zur Bestätigung von deren Aussagen dazuz noch einige Komandanten der ostukrainischen Separatisten ? Wie muß man sich sonst ein solches Tribunal vorstellen ? Und hätte sein Spruch am Ende zivilrechtliche u/o strafrechtliche Relevanz ?

      Leider schweigt sich hierzu die Taz-Expertin aus - ... und ich habe auch keine Lust zu recherchieren .

      Mein Votum daher ins Blaue :

      Alles nur alberne Propaganda der "Von-Natur-aus-Guten" .

      (... die scheinen das nötig zu haben :-) )

  • Um die brutale Dreistigkeit zu ermessen, mit der Präsident Putin beim gestrigen Telefongespräch zu dieser Sache gegenüber dem niederländischen Premierminister Rutte aufgetreten ist, möge man mal in Putins Auslands-Propaganda-Organ „SputnikNews“ nachlesen:

    http://de.sputniknews.com/panorama/20150729/303522643.html

     

    Solche Weltmachts-Allüren gegenüber vermeintlich Schwächeren kannte man bisher hauptsächlich von den USA!

  • Anders herum könnte ein Schuh daraus werden. Bislang hat man Russland keine Möglichkeit gegeben, seine Position zu diesem Abschuss eines Flugzeugs vorzubringen, geschweige denn an der Aufklärung mitzuwirken - trotzdem ist Russland natürlich Schuld. Da beschuldigen sich "Rebellen" und und Regierung der Ukraine gegenseitig, und mit den "Rebellen" ist natürlich Russland gemeint. Wie bei einem Krimi folge man mal der Spur des Geldes: wer hat etwas vom Abschuss? Die Rebellen mit Sicherheit nicht! Also wohl eher die ukrainische Putschregierung, die den Westen in eine Auseinandersetzung mit Russland verwickeln will, lobt sie doch auch Kopfprämien in Euro, die sie nicht hat, für die Ermordung (Erschießung) von Mitbürgern aus und arbeitet mit Faschisten zusammen, um wie anno dazumal gegen die SU nun gegen Russland zu kämpfen, mit westlicher Hilfe natürlich. Übrigens: die Ukraine darf mitmachen bei der Aufklärung, dabei Fakten zurückhalten, Russland aber nicht.

    • @Emil:

      Dass so viele Ukrainer ihrer Regierung folgen im Hass auf Russland, hat historische Gründe, denke ich (Stichwort: Holodomor). Die Gründe zu ignorieren, ist alles andere als hilfreich. Dass Putin allerdings eine Möglichkeit geboten wurde, von seinen internen Wirtschaftsproblemen abzulenken, ist bestenfalls grob fahrlässig gewesen.

       

      Russland ist genau so wenig ein Opfer, wie die Ukraine eins ist. Beide Staaten sind so souverän und verantwortlich für ihre (Außen-)Politik, wie Deutschland und jedes andere Land. Durch nichts ist es entschuldbar, wenn Leute, die Macht ausüben, das nötige Augenmaß vermissen lassen, oder sich gar alter Ressentiments bedienen zwecks Durchsetzung ihrer aktuellen Interessen. Dass Putin unsere Solidarität mehr verdient hat als Poroschenko, finde ich nicht. Wer der Verantwortung, das friedliche Zusammenleben der Völker zu organisieren, nicht gewachsen ist, der sollte diese Verantwortung umgehend entzogen kriegen. Und zwar unabhängig von eventuellen Bündniskonstellationen oder strategisch-taktischen Überlegungen irgendwelcher Groß-, Mittel- oder sonstigen Führungsmächte. Ein Tribunal, das sich das zur Aufgabe macht, hätte meine vollste Zustimmung. Es wird nur leider niemals stattfinden.

  • Steht es zu befürchten, dass Russland, wie in diesem Fall seiner Verhinderung eines Flug- MH17 UNO- Tribunals, andere Ständige Mächte des UNO- Sicherheitsrates auch, unabhängig vom Endergebnis der Ermittlungen im Katastrophen Fall Flug MH 17, alles tun, Internationale Organisationen, voran die UNO bis zur Bedeutungslosigkeit zu marginanlsieren

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Wer eine Untersuchung dieses Vorfalles behindert oder gar verhindert, hat etwas zu verbergen. Es ist dämlich, dahinter allein Propaganda zu vermuten. Das gilt sowohl für Putin und seine Entourage als auch für hier auftretende Kommentatoren. Im Übrigen gibt es Medien, die in die eine oder eben in die andere Richtung falsch informieren. Doch das kann, darf kein Kriterium sein, eine sachliche Untersuchung abzulehnen.

    • @1714 (Profil gelöscht):

      Aha, so ist das also! Wer angeblich etwas "zu verbergen" hat, der hat kein Recht auf einen Kommentar. Der hat das Maul zu halten und zu spuren, richtig?

       

      Der echte Voltaire kann kein all zu großer Freund von Unterstellungen und den damit begründeten Maulkörben gewesen sein. Zeitgenossen hätten ihm sonst keine Einstellung attestieren, die mit den Worten zu beschreiben ist: "Ich missbillige, was du sagst, aber würde bis auf den Tod dein Recht verteidigen, es zu sagen". In sofern sollten Sie sich wohl lieber eines anderen Alias-Namens bedienen, bevor der gute Voltaire (der übrigens ein glühender Royalist gewesen sein soll) sich im Grab umdrehen muss.

       

      Davon abgesehen bitte ich Sie uns zu erklären, wieso es "dämlich" sein soll, "allein Propaganda zu vermuten" hinter diesem Tribunal. Ich meine: Dass wir alle irgendwie DER Westen sind und sich vermutlich keiner gern als Propagandamittel begreift, bedeutet ja noch nicht zwangsläufig, dass wirklich "eine sachliche Untersuchung" stattgefunden hätte vor diesem Tribunal. Sie, ich und alle Anderen haben in den letzten Jahren so kleine und viele große Eseleien, Sauereien und Teufeleien miterleben dürfen in den Nachrichten, dass ich mir dringend eine Apotheke suchen müsste, vor der ich kotzen könnte, wenn ich ein Pferd wäre.

  • Die Bildunterschrift verstehe ich nicht:

    "UN-Sicherheitsrat am Mittwoch: Der russische Außenminister Witali Tschurkin (mit weißem Haar) verhinderte das MH17-Tribunal."

     

    Aussenminister von Russland ist Lawrow - Tschurkin ist der Ständige Vertreter (Botschafter) Russlands bei den Vereinten Nationen und im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen

     

    Wie glaubwürdig sind Meldungen der dpa, wenn sie nicht einmal das auf die Reihe bekommen? Und wie viel redaktionelle Arbeit wird bei der taz geleistet, wenn das nicht auffällt?

  • Als gäbe es im deutschen Bundestag nicht genügend Hinterbänkler, die immer wieder glauben, sie müssten mit dümmlichen Gesetzesinitiativen auf sich aufmerksam machen (Deutsch-Zwang im privaten Wohnzimmer etc.)! Aber gut, wer sich auf die russischen Hinterbänkler und ihre irren Vorschläge konzentriert, der kann die ukrainischen und deutschen wohl nicht in ihrer ganzen Schönheit würdigen.

     

    Im Übrigen, fürchte ich, ist es immer eine Frage der Erwartung, ob jemand glaubt, seine Macht (hier: Veto-recht) missbrauchen zu müssen. Das Schlimme an der derzeitigen Situation ist, dass man Putin gar nicht nicht zu unterstellen braucht, dass er "kein Interesse" daran hat, "die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen". Es genügt anzunehmen, er würde davon ausgehen, dass „eine[] wirkliche[] Aufklärung der Tragödie“ gar nicht das Ziel eines eventuellen UN-Tribunals wäre. Ob zu Recht oder zu Unrecht, braucht nicht einmal diskutiert zu werden in dem Zusammenhang. Man kann ganz auf die eigenen (Negativ-)Erfahrungen vertrauen.

     

    Nein, DIE Medien haben sich tatsächlich nicht mit Ruhm bekleckert in den letzten Monaten und Jahren. Es wurde viel zu viel gemeint, unterstellt und spekuliert im Zusammenhang mit dem Abschuss von MH17 - und viel zu wenig gewusst. Vor allem aber wurde viel zu oft und viel zu klar geurteilt. Im Grunde ist das Tribunal längst überflüssig. Die meisten jener Leute, die über die Zusammensetzung des UN-Tribunals entschieden hätten, dürften eh wissen, wer die Täter waren. (Es gibt ja schließlich ein Embargo mittlerweile, und das wurde mehrheitlich beschlossen.) Die angeblichen Verantwortlichen nun noch einmal vorzuführen, wäre keine "Aufklärung". Es wäre ein Triumph. Und zwar ein ziemlich billiger.

  • Pardon , Frau Oertel , ... welchen anderen Zweck als Propaganda hätte denn ein solches Tribunal ? Kann man nicht das Endergebnis der Untersuchungen des MH 17 - Abschusses in Holland abwarten ? Und dann sehen , von wem es wie bewertet wird ? Kriminalistisch u/o propagandistisch ?