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Kommentar OstukraineDéjà-vu in Donezk

Kommentar von Barbara Oertel

Zweifellos zieht auch der Kreml die Strippen hinter den prorussischen Protesten in der Ukraine. Jetzt muss Kiew der Bevölkerung Angebote machen.

Protest in Odessa gegen Putins Ukraine-Politik: „Nein zu Krieg, ja zu Frieden“. Bild: reuters

B esetzte Regierungs-und Verwaltungsgebäude, prorussische Aktivisten, die die weiß-blau-rote Trikolore hissen. Und jetzt auch noch eine Unabhängigkeitserklärung und die Ankündigung eines Referendums für das Gebiet Donezk. Für viele sind die jüngsten Ereignisse im Osten der Ukraine ein Déjà-vu. Auch auf der Krim war die Erstürmung des Parlaments nur der Beginn eines atemberaubend schnellen Prozesses. An dessen Ende stand nach einer Abstimmungsfarce die Annexion der Halbinsel durch Russland.

Zweifellos zieht der Kreml, der unlängst mit aberwitzigen Föderalisierungsplänen für den Nachbarn aufwartete, auch in Lugansk, Charkiw und Donezk wieder maßgeblich die Strippen. Die Devise lautet: destabilisieren und Unruhe schüren um jeden Preis. Unklar ist jedoch noch, mit welchem Ziel. Geht es jetzt vor allem darum, die Präsidentenwahlen am 25. Mai zu torpedieren? Oder die „bedrohten“ Landsleute vor den „Faschisten“ in Kiew zu schützen, was nichts anderes bedeuten würde als eine Intervention und einen Anschluss an Russland?

Letzteres Ansinnen könnte verheerende Folgen haben. Denn so geschmeidig wie auf der Krim wird dieses Vorhaben nicht umzusetzen sein. Anders als auf dem Eiland stehen die lokalen Behörden in den östlichen Gebieten mitnichten geschlossen hinter den Separatisten. Das Gleiche gilt für die Bevölkerung, deren Orientierung auf Moskau hin noch lange nicht bedeutet, künftig in der Russischen Föderation leben zu wollen.

Die Regierung in Kiew muss jetzt den Menschen in den östlichen Gebieten konkrete Angebote machen – wie einen weitgehenden Autonomiestatus, unter dem Minderheitenrechte geschützt sind. Nur so könnte eine Eskalation verhindert werden. Viel Zeit, zu handeln, bleibt nicht mehr. Genau genommen gar keine mehr.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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16 Kommentare

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  • Erstens: Die Bevölkerung der Krim wollte von sich aus zu Russland. Und wenn man sich ansieht, was zum Teil so auf dem Maidan passierte, wer die neue "Regierung" stellt und was einige ihrer Maßnahmen waren, kann das nicht verwundern. In Umfragen habe ich oft gehört oder gelesen: "Ich bin Ukrainer, ich liebe die Ukraine, aber unter diesem Regime kann ich nicht leben." Zweitens: Was konkret Donezk betrifft, so vermute ich, dass diese Unabhängigkeitserklärung gerade deshalb zurückgenommen wurde (was freilich noch nicht bekannt war, als der Artikel geschrieben wurde), weil Russland nicht bereit zu einer Aufnahme war. Man mag über Putin sagen, was man will, aber er ist in jedem Fall ein eiskalter Machtpolitiker. Er ist berechnend, und er rechnet gut. Er weiß genau, dass die Übernahme der Ostukraine oder auch nur der Stadt Donezk durch die folgende Eskalation weit größeren Schaden für Russland hätte, als es ihm nutzen würde. Aber gut, überall finstere feindliche Verschwörungen zu sehen, während die eigenen Verbrechen (hier etwa die westlich geschürte Vorgeschichte zu jenen Ereignissen) schöngelogen werden, hat ja Tradition im Westen …

  • "Die Regierung in Kiew muss jetzt den Menschen in den östlichen Gebieten konkrete Angebote machen – wie einen weitgehenden Autonomiestatus, unter dem Minderheitenrechte geschützt sind. Nur so könnte eine Eskalation verhindert werden. Viel Zeit, zu handeln, bleibt nicht mehr. Genau genommen gar keine mehr."

     

    Ein Silberstreif der Erkenntnis in diesem Stück Propaganda. Nur liegt der Ball nicht bei den Marionetten in der - euphemistisch ausgedrückt - provisorischen Regierung in Kiew sondern bei deren Strippenziehern in Washington, Brüssel und Berlin.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Oha!

    "Zweifellos zieht auch der Kreml die Strippen hinter den prorussischen Protesten in der Ukraine."

    Schreiben Sie von den US-Medien ab, Frau Oertel?

    Aus eigener Anschauung werden Sie wohl kaum eine solche Behauptung aufstellen können.

  • die taz ist auch wieder im Kalten Krieg angekommen, herzlichen Glückwunsch

  • Welchen Menschen in der Ostukraine Angebote machen? den zugereisten Russen? Damit wir uns nicht falsch verstehen, politische Gleichberechtigung ist gut, und die Gleichberechtigung der Sprachen sollte das Mindeste sein. Aber in der jetzigen Situation auf die Föderalisierungsforderungen Moskaus einzugehen, wie es auch einige politisch- strategisch unbedarfte deutsche Politiker inkl Frau Merkel gerade tun, hieße den Kuchen für Moskau mundgerecht zurechtschneiden, muss ja wirklich nicht sein. Auch wenn man die Schweiz nicht als allselig machend betrachten muss, aber eine Einteilung in Kantone, statt einer sprachl. ethnischen Aufteilung fände ich sehr sehr sinnvoll. Sie erlauben polit. Teilhabe des Souveräns unter gleichzeitiger Verhinderung einer polit. Zerissenheit, die im Augenblick den Staat mglw blockieren u polit. handlungsunfähig machen würden. Wahrscheinlich abschreckenstes Beispiel für eine solche Art Blockade ist Bosnien. Hier wurde eine ethnisch durchmischte Gesellschaft (wenn es überhaupt vor den Jugoslawienkriegen ein ausgeprägtes ethn.Bewusstsein dort gegeben hat), entlang der Daytonlinien aufgetrennt, Trennlinien die so weder virtuell auf der Karte noch zwischen den Menschen bestanden haben, fixiert und politisch legitimiert inkl der Vertreibungen und nun hat man 2 -3 Antipoden in einem Staat geschaffen. So etwas sollte in der Ukraine unbedingt verhindert werden. Am besten die Kantonsstruktur würde noch kleinteiliger gestaltet. So dass, im Falle, es kommt doch noch zu Abspaltungen, nicht allzugroße Regionen auf einmal wegbrechen. So hätten auch die v Russland geschickten Demonstranten mehr Provinzparlamente zu besetzen. Und manche Theoretiker behaupten ja auch, eine kleinteiligere Struktur ermögliche, natürlich nur mit den entsprechenden Kompetenzen und Abstimmungsmglkt des Volkes, mehr Demokratie. Mit einem solchen Modell hätte man gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

    • @ingrid werner:

      Sie schreiben "Teilhabe des Souveräns" und meinen das Volk.

      Das Volk aber ist mitnichten der Souverän in der Ukraine und niemand der Macht ausübt hat derzeit Interesse daran "das Volk" zum Souverän zu erheben.

    • D
      D.J.
      @ingrid werner:

      Völlige Übereisntimmung. Eine kleinteiligere Föderalisierung würde Mitbestimmungsrechte wie kulturelle Rechte gleichermaßen gewährleisten. Drei "nationale Blöcke" (ukrainisch-katholischer Westen, ukrainisch-orthodoxe Mitte, großteils russischer Osten) wären schon aufgrund der starken Durchmischung problematisch

    • @ingrid werner:

      Spannend, woher genau nehmen Sie ihre Ideen? Waren Sie schon mal hier? Kennen Sie die Demonstranten?

      Sicherlich muss man nicht die Forderungen unhinterfragt erfüllen, das Problem ist aber, dass die neuen Machthaber sich auf keine Verhandlungen einlassen, einfach mit dem Argument die Menschen hier wären russische Agenten, als wären die Menschen hier zu dumm sich eigene Gedanken zu machen. Und NEIN, die Demonstranten sind nicht nur zugereist. Eine Föderalisierung ist notwendig, im Moment sind die Gouverneure der Regionen undemokratisch von der Zentralregierung ernannt, eine Föderalisierung wäre ein notwendiger Demokratiegewinn. Die Radikalen unter den prorussischen Demonstranten konnten sich doch erst dadurch an die Spitze setzen, dass es keine Möglichkeit gab sich anders als durch Besetzungen irgendwie Gehör zu verschaffen. Ein Anschluss an Russland wäre mit Sicherheit ein riesiger Fehler, und wohl auch gegen die Mehrheit der Bewohner, der Wunsch nach regionaler Mitbestimmung ist es nicht.

      • D
        D.J.
        @Rasmus Schad:

        Ich habe Frau Werner nicht so verstanden, dass sie gegen eine Föderalisierung ist - nur gegen eine großräumige Föderalisierung entlang (kaum ziehbarer) ehtnischer Grenzen. Es gibt kaum ein föderaleres (und sprachpolitisch vorbildlicheres) Land als die von ihr herangezogene Schweiz mit ihren Kantonen.

  • Naja, dass Revoluzzer-Regime in Kiew hat ja schon eindeutige „Angebote“ gemacht. Etwa: Die russische Sprache zu verbieten und „die russischen Hunde mit Atombomben auszulöschen“. Russische Fernsehsender wurde die Sendegenehmigung entzogen usw..

    Auch in der Ostukraine war die Mehrheit einmal für eine unabhängige Ukraine. Wenn das heute nicht mehr so ist, dann ist das nicht dem Kremel sondern einzig und allein dem Revoluzzer-Regime in Kiew zuzuschreiben.

    Es ist schon interessant, dass diese Revoluzzer den Demonstranten im Osten mit 5 – 8 Jahren Kerker drohen, wo sie selbst doch in Kiew gerade weitaus schlimmer gewütet haben.

    Die gerade in Kiew verhängte nächtliche Ausgangssperre lässt vermuten, dass sie sich nicht einmal in der Hauptstadt sicher fühlen.

    Vielleicht sollten sich die Revoluzzer nach Lehmberg zurückziehen und im Rest des Landes von Blackwater „Ruhe und Ordnung“ herstellen lassen.

    • @H. P. Petersen:

      Sie langweilen Herr Petrovitsch. Machen sie sich lieber einen Tee und ein paar Pelmenis, oder meinetwegen kippen sie einen Wodka. Oder müssen Sie sich den erst mit der Schreibe verdienen. Sie Ärmster.

      • PH
        Peter Haller
        @ingrid werner:

        Wenn Sie schon ihnen nicht genehme Kommentare langweilen, wie soll es denn anderen beim Lesen ihres schlaubergerischen Geschreibsels erst ergehen ?

        Sie haben wohl schon einen gekippt, wa ?

        Ansonsten kann ich H.P.PETERSEN absolut zustimmen und immer wieder mit Erstaunen feststellen, wo die taz mittlerweile gelandet ist. Ein kalter Krieg ist wohl das Mindeste, was ihr jetzt braucht, und das schnellstmöglich .!

  • Wieso findet der Autor eigentlich die Förderalisierungspläne aus Moskau "aberwitzig", wenn er am Schluss des Artikels "... einen weitgehenden Autonomiestatus, unter dem Minderheitenrechte geschützt sind." fordert?

    Nichts Anderes wird von der russischen Regierung vorgeschlagen. Und der Vorschlag ist wirklich vernünftig. Egal von wem er kommt. Die Ukraine ist ein Staat, der aus mehreren Teilen zusammen gestückelt wurde und wenn er dauerhaft stabil bleiben will, muss man dem -wenn auch 20 Jahre zu spät- Rechnung tragen.

    Das Problem ist nur, dass die Machthaber in Kiew unbedingt einen zentralistischen (ukrainischen!) Nationalstaat haben wollen. Und zwar nicht nur, die Swoboda und weiter rechts Leute, sondern auch die Partei der Gasprinzessin. Das hat sie unter Beweis gestellt, als sie das letzte mal an der Macht war. Ein paar lauwarme Erklärungen in westliche Mikrofone von Herrn Jazenjuk ändern daran gar nichts.

    Ich kann verstehen, dass die Menschen im Osten des Landes denen, die in Kiew versuchen zu regieren, nicht trauen. Und in Moskau wäre man ja blöd, wenn man sich die Gelegenheit entgehen lassen würde.

    Übrigens. Würde der Westen in einer ähnlichen Situation wirklich anders handeln?

    • D
      D.J.
      @warum_denkt_keiner_nach?:

      So ziemlich jeder Staat "ist aus verschiedenen Teilen zusammengestückelt", auch D, F und GB, die Schweiz und, und, und. Die russischsprachige Mehrheit in der Ostukraine ist übrigens eine Folge der Industrialisierungs- und Ansiedlungspolitik in sowjetischer Zeit. In den Anfängen der Sowjetunion sah das noch anders aus. Ist natürlich kein Argument gegen eine Föderalisierung, im Gegenteil (siehe dazu meine Anmerkungen weiter oben).

  • Als Ost Europa Korrespondentin kennt Frau Oertel die ökonomischen Möglichkeiten der Russen aber denkbar schlecht. Putin wird im Stillen dafür beten, dass dieser Kelch an Russland vorrübergehen möge. Das hier ist nicht die Krim. Es wird sehr viel davon abhängen, wie sich die Ukraine in der nächsten Zeit entwickelt. Davon hängt der Handel zwischen den beiden Staaten ab. Russland kann überall einkaufen. Die Ukraine aber braucht Russland als Kunden und Lieferanten gleichermaßen. Das Russland nicht gern mit Putschisten verhandelt zeigt mir, dass Putin klug und weitsichtig agiert. Frei gewählte Politiker sind ihm immer willkommen. Er erweist sich für wirkliche Demokratien als vernünftig und berechenbar. Ganz im Gegenteil zu den Staaten des Westens, die diese Situation ja heraufbeschworen haben.

  • Die Devise lautet: destabilisieren und Unruhe schüren um jeden Preis.

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    Vom Westen lernen heisst Siegen lernen!