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Fakten und Vorurteile

Was denkt der Kopf unter dem Tuch? Über das Kopftuch gibt es eine aufgeregte Debatte. Eine vielzitierte Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung bringt leider nur wenig Aufklärung

Eine von zehn Frauen bevorzugt einen Staat „von Gottes Gnaden“: Solche Einstellungen sind problematisch Hochgebildet und in Moscheegemeinden organisiert: Diese Frauen spiegeln nur eine schmale Schicht

Was Kopftuchgegner über das Kopftuch denken, ist bekannt. Erst kürzlich appellierten prominente deutschtürkische Politiker an muslimische Frauen, die in Deutschland leben, auf das Kopftuch zu verzichten. Für die Grünen-Abgeordnete Ekin Deligöz ist das Kopftuch ein „Symbol für die Unterdrückung der Frau“. Auch ihre SPD-Kollegin Lale Akgün empfindet das Kopftuch als „diskriminierend“, und der FDP-Politiker Mehmet Daimagüler sieht darin ein „Zeichen der Abgrenzung“ von der deutschen Gesellschaft.

Was aber denken Frauen, die selbst Kopftuch tragen, über ihr Kopftuch? Auf diese schlichte, aber wichtige Frage gibt es keine eindeutigen Antworten, da es bislang an aussagefähigen empirischen Untersuchungen zum Thema mangelte. Abhilfe versprach nun eine neue Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, die kürzlich in Berlin vorgestellt wurde. Bereits im Vorfeld war das Medieninteresse enorm: Die Zeit etwa brachte vorab einen ausführlichen Artikel, in dem zu lesen war, dass nun eine „erste repräsentative Untersuchung“ vorliege, die zeige, dass kopftuchtragende Frauen „ganz normale Frauen“ seien. Diese Aussage erfreute natürlich vor allem das Lager der Fürsprecher des Kopftuchs. Aus ihrer Sicht waren damit all jene, die das islamische Kleidungsstück für ein Symbol des politischen Islamismus und der kulturellen Abgrenzung halten, durch den Befund einer wissenschaftlichen Studie eindeutig widerlegt.

Bei genauerer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass eine solche Schlussfolgerung auf einer sehr einseitigen und selektiven Rezeption der Studie beruht. Denn neben den dokumentierten „normalen“ Einstellungen zu Partnerschaft, Familie oder finanzieller Absicherung, die in der Tat beachtliche Übereinstimmungen mit nichtmuslimischen Frauen im gleichen Alter aufweisen, finden sich auch einige hochproblematische Einstellungen. Es bedarf schon einer gehörigen Portion Ignoranz, um darüber hinwegzusehen.

Das erste grundlegende Problem stellt sich bereits mit der Repräsentativität der Studie. Denn anders als behauptet, ist diese nach den üblichen Kriterien der wissenschaftlichen Sozialforschung bei dieser Untersuchung eindeutig nicht gegeben. Das räumen zwar auch die beiden Autoren der Studie ein. Zugleich vertreten sie aber die Ansicht, dass die Ergebnisse der Umfrage weit über den befragten Personenkreis Geltung beanspruchen könnten. Genau dies darf aber bezweifelt werden, denn insgesamt wurden nur 315 türkischstämmige Frauen befragt – für eine repräsentative Studie ist das zu wenig.

Fragwürdig ist auch das Verfahren, nach dem die Interviewpartnerinnen ausgewählt wurden: Sie wurden über die Mithilfe einiger Moscheevereine gewonnen. Dieses Vorgehen führt zwangsläufig zu Verzerrungen. Deutlich sichtbar werden diese beim Bildungsniveau der Teilnehmerinnen: 43 Prozent von ihnen besaßen das Abitur oder einen Hochschulabschluss, immerhin noch 31 Prozent verfügten über die Fachhochschulreife, die mittlere Reife oder einen Hauptschulabschluss mit Ausbildung. Das aber ist alles andere als der Durchschnitt: In einer Stadt wie Berlin etwa befanden sich unter 13.000 Abiturienten des vergangenen Jahrgangs gerade mal 183 türkische Schülerinnen und Schüler; damit lag die Zahl der türkischstämmigen Abiturienten deutlich unter 10 Prozent. Solche Zahlen zeigen unmissverständlich, dass die Auswahl der Befragten lediglich die schmale Schicht der hochgebildeten türkischen Migrantinnen abbildet.

Diese Tatsache schränkt die Aussagekraft der Ergebnisse der Studie der Adenauer-Stiftung erheblich ein, vermag aber zugleich auch zu beruhigen. Denn einige der gesellschaftlichen und politischen Einstellungen der Kopftuchträgerinnen, die in der Studie erfasst wurden, zeigen an, dass die Debatte der letzten Jahre nicht ganz grundlos geführt wurde. Die Probleme beginnen schon bei der Einstellung zum Kopftuch: Auf die Frage „Warum wird das Kopftuch getragen?“ stimmten 97 Prozent folgender Aussage zu: „Die Bedeckung ist die religiöse Pflicht jeder Muslima.“ Die Autoren der Studie lassen diese Aussage erstaunlicherweise unkommentiert stehen und verweisen lediglich darauf, dass die Befragten jeden Zwang zum Kopftuchtragen ablehnen. Doch wie steht es um die Freiwilligkeit? Diese Frage hätte gestellt werden müssen. Wenn das Kopftuch zur Pflicht für „jede Muslima“ erhoben wird, kann von einer freien Entscheidung nicht mehr die Rede sein. Denn welche muslimische Frau will schon als pflichtvergessen dastehen?

Bedenklich ist auch die Einstellung der Teilnehmerinnen zum Christentum. Hier zeigten die Befragten deutliche Überlegenheitsgefühle. 87 Prozent der Befragten sind davon überzeugt, dass der Islam anderen Religionen und damit auch dem Christentum überlegen sei. Dieselben Fragen wurden bereits im Jahr 2001 in einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung an türkischstämmige Bürger gerichtet. Damals waren 60 Prozent der Befragten der Ansicht, dass der Islam dem Christentum überlegen sei. Angesichts dieser Zahlenrelationen konstatieren die Autoren folgerichtig, dass die Überlegenheitsgefühle kopftuchtragender Frauen „deutlich stärker ausgeprägt“ seien als bei der übrigen deutschtürkischen Bevölkerung insgesamt. Heikel ist auch das „Gefühl der Auserwähltheit“, das einer beträchtlichen Minderheit eigen ist. Immerhin 32 Prozent der befragten Frauen vertraten die Überzeugung, dass die Menschen vor Gott nicht gleich seien; in der genannten Untersuchung aus dem Jahr 2001 waren es nur 23 Prozent.

Befragt wurden die Teilnehmerinnen schließlich auch nach der gewünschten Staatsform. Eine große Mehrheit von 90 Prozent spricht sich für eine demokratisch gewählte Regierungsform aus. Immerhin 11 Prozent, eine nicht zu vernachlässigende Gruppe, plädiert jedoch für eine Regierung von „Gottes Gnaden“. Heikel ist hierbei, dass sich gerade die hochgebildeten unter den befragten Frauen mit 15 Prozent etwas häufiger den Gottesstaat wünschen als die weniger gebildeten Frauen!

Insgesamt betrachtet, hinterlässt die Studie, die in Kooperation mit dem Düsseldorfer Imap-Institut angefertigt wurde, einen zwiespältigen Eindruck. Einen umfassenden Beitrag zur „Entschleierung eines Symbols“, wie der Titel verspricht, leistet sie nicht – dafür ist die empirische Basis schlicht zu dünn. Hinzu kommt, dass die befragten Frauen lediglich einen kleinen Ausschnitt aus einem durchaus heterogenen muslimischen Alltagsleben in Deutschland abbilden. Die Einblicke, die die Studie gewährt, führen vor allem in ein eher studentisch geprägtes, hochreligiöses Umfeld der Moscheegemeinden. Das ist zwar auch von Bedeutung, aber vor Verallgemeinerungen kann nur gewarnt werden.

An einer wirklich aussagekräftigen empirischen Studie besteht deshalb weiterhin Bedarf: damit die Debatte über das Kopftuch endlich auf der Grundlage solider Fakten geführt werden kann. MICHAEL KIEFER

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