Arbeitskampf bei Lieferdiensten: Einmal Betriebsrat bitte
Der Streit um die Betriebsratsgründung bei Hellofresh landet vor Gericht. Bei Lieferando wurde trotz Union Busting eine Arbeitervertretung gewählt.
Franziska Foullong, Verdi
So hätten mehrere Informationsveranstaltungen der Unternehmensführung stattgefunden, bei denen unter anderem erklärt worden sei, wie die Wahl des Wahlvorstands verhindert werden kann – etwa indem Angestellte an der Versammlung teilnehmen, sich aber enthalten, damit keine Mehrheit zustande kommt. Auch seien Gewerkschafter*innen offen unter Druck gesetzt und eingeschüchtert worden. „Die Wahlinitiator*innen sollen so an ihrer Arbeit gehindert und andere Mitarbeiter*innen abgeschreckt werden“, so Foullong.
Die gewerkschaftsfeindliche Politik der Geschäftsführung von Hellofresh bleibe bei den Beschäftigten nicht ohne Wirkung: Viele seien nicht deutschsprachig und lebten erst kurze Zeit in Deutschland. Ihnen fehle die Erfahrung mit Betriebsratswahlen und viele hätten Angst, sich zu äußern, um ihr Arbeitsvisum nicht zu gefährden, so die Gewerkschafterin.
Zuvor hatte das Hellofresh-Management versucht, eine alternative Arbeiter*innenvertretung zu bilden. Der von der Unternehmensführung vorgeschlagene „Fresh Council“ besitzt im Gegensatz zu einem Betriebsrat jedoch keine Rechte. Die Initiator*innen lehnten das ab und bestehen auf Betriebsratswahlen.
Verdi will die Einsetzung eines Wahlvorstands, der für die Durchführung der Betriebsratswahlen verantwortlich ist, nun gerichtlich erzwingen. Hellofresh ist das einzige DAX-Unternehmen, in dem auf keiner Ebene Arbeiter*innen durch einen Betriebsrat repräsentiert werden. Das 2011 in Berlin gegründete Unternehmen vertreibt Kochboxen mit Rezepten und beschäftigt insgesamt knapp 15.000 Personen, davon 1.300 in Berlin.
Lieferando-Rider wählen Betriebsrat
Immer mehr Angestellte von Lieferdiensten wehren sich mit Betriebsratsgründungen gegen die schlechten Arbeitsbedingungen. Bei Gorillas wurde Ende November vergangenen Jahres eine Arbeiter*innenvertretung gewählt, nachdem das Start-up vor dem Berliner Arbeitsgericht damit gescheitert war, die Wahl zu verhindern. Bei Dropp konnten Anfang Mai Betriebsratswahlen stattfinden, nachdem eine einstweilige Verfügung des Unternehmens gerichtlich gestoppt wurde. Seit dieser Woche haben auch die Berliner Rider bei Lieferando einen Betriebsrat. Bei Getir soll voraussichtlich Anfang September eine Betriebsratswahl stattfinden. Bei Flink soll am 5. September ein Wahlvorstand gewählt werden, der Fall liegt derzeit vor dem Arbeitsgericht. (mfr)
Beim Lebensmittel-Bringdienst Lieferando haben die rund 1.400 Berliner Kurierfahrer*innen seit dieser Woche einen Betriebsrat. Laut Wahlvorstand beteiligten sich 200 Rider an der Wahl vergangene Woche. Der künftige Betriebsrat wird 17 Mitglieder haben und ist demnach der größte bei Lieferando in Deutschland.
Lieferando habe zuvor erfolglos versucht, die Betriebsratswahl zu beeinflussen, so der Wahlvorstand am Donnerstag. So hatten 24 Büroangestellte des Unternehmens gegen die Wahl geklagt, die Rider vermuten dahinter die Geschäftsführung. Die Klage wurde ebenso abgewiesen wie die des Managements auf Abbruch der Wahl.
Auch sei der Wahlvorstand in seiner Arbeit behindert worden, etwa indem fehlerhafte Mitarbeiter*innenlisten zur Verfügung gestellt, Wahlkosten nicht zurückgezahlt und Mitglieder unter Druck gesetzt worden seien. „Union Busting wird leider immer brutaler“, so ein Mitglied des Wahlvorstands. „Arbeiter*innen, die sich für Mitbestimmung im Betrieb einsetzen, sind der Willkür des Managements ohne effektiven Schutz ausgesetzt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja