piwik no script img

Arbeitsbedingungen in der PflegePflegekräfte, vereinigt euch!

Kommentar von Alena Weil

Die Politik ringt um konkrete Verbesserungen in der Pflegebranche. Doch selbst wenn daraus was wird: Pfle­ge­r*in­nen brauchen eine bessere Lobby.

Hohe Arbeitsbelastung: Pfleger auf der Intensivstation kümmert sich um einen Covid-19-Erkrankten Foto: Kay Nietfeld/dpa

K ein Wunder, dass viele Pflegekräfte zurzeit darüber nachdenken, ihren Beruf aufzugeben. Sie kümmern sich um das Wohlergehen anderer, Tag und Nacht, und gehen dabei regelmäßig über ihre eigene Belastungsgrenze hinaus. Nicht erst seit Beginn der Pandemie sind die Arbeitsbedingungen in der Pflege schlecht. Doch die Krise wirft ein Schlaglicht auf die Zustände in Kliniken und Pflegeeinrichtungen: massive Personalnot, hohe Arbeitsbelastung, schlechter Verdienst und zu allem Überfluss auch noch mangelnde Wertschätzung.

Im gerade aufkommenden Wahlkampf ringt die Politik jetzt um konkrete Verbesserungen in der Pflege – nach über einem Jahr Pandemie. Doch selbst wenn tatsächlich etwas daraus wird, können sich die Pfle­ge­r*in­nen nicht darauf verlassen, dass sich auf Dauer andere für sie einsetzen. Die Pflege braucht eine eigene und vor allem eine bessere Lobby. Zu viel wird noch über die Pfle­ger*in­nen gesprochen, zu wenig mit ihnen. Ihre Interessen können sie als Betroffene aber am besten selbst vertreten. Die Abhängigkeit von der Einsicht der Ent­schei­dungs­trä­ge­r*in­nen schmälert ihre Erfolgsaussichten.

Doch es mangelt den Pflegekräften an schlagkräftigen Organisationen. Zwar gibt es zahlreiche Verbände für Pflegeberufe in Deutschland – doch ihre Namen kennt in der breiten Öffentlichkeit kaum jemand. Sie sind zu heterogen, zu zersplittert, um für die Pflege mit einer starken Stimme zu sprechen. Ähnliches gilt für Berufskammern, die es nur in wenigen Bundesländern gibt.

Auf die Politik zu warten, ist zu wenig

Erst kürzlich wurde auf Wunsch der Mitglieder beschlossen, die niedersächsische Pflegekammer aufzulösen, und auch die Pflegekammer in Schleswig-Holstein steht nach einem Mitgliedervotum vor dem Aus. Für Ablehnung hatte vor allem der Zwangsbeitrag gesorgt, den die Pfle­ge­r*in­nen von ihrem ohnehin viel zu niedrigen Gehalt zahlen mussten.

Wenngleich der Ärger darüber verständlich ist: Pflegekammern stärken nicht nur die Selbstbestimmung der Pflege, sie bringen die Pflegenden auch mit an den politischen Verhandlungstisch. Dort gehören sie hin, dort müssen sie ihre Interessen und ihr Fachwissen einbringen können. Pflegekammern geben den Pfle­ge­r*in­nen eine starke Stimme, sie erhöhen ihre Wahrnehmung in der Gesellschaft. Aber: Sie verhandeln keine Tarife. Um bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne zu erstreiten, bräuchte es daher zusätzlich ein stärkeres gewerkschaftliches Engagement. Bislang sind nur wenige Pfle­ge­r*in­nen gewerkschaftlich organisiert.

Im stressigen Arbeitsalltag von Pflegenden mag wenig Zeit und wenig Kraft bleiben für berufspolitisches Engagement. Doch auf die Politik zu warten, ist zu wenig, das ist vor allem zu oft vergeblich. Als größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen können und sollten die Pflegenden selbstbewusst für ihre Interessen einstehen und Veränderungen einfordern. Die Pandemie – die nicht nur die Missstände, sondern auch die Bedeutung des Pflegeberufs eindrücklich gezeigt hat – wäre ein idealer Zeitpunkt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • @FLY

    Zwei Wochen pro Jahr. Die Aufgaben bestimmt die Pflegekraft. Dafür gibt's ein Zeugnis.

    In Notzeiten natrlich nicht, da dürfen nur Erfahrene und Willige ran.

  • Vielleicht sollte jede*r im Rahmen eines "solidarischen Mitmachens" ein- zwei Wochen pro Jahr in einer Pflegestation Dienst tun.

    Unter Anleitung einer erfahrenen Pflegekraft. Und ohne die Möglichkeit, sich "freizukaufen".

    Das hätte den Vorteil, dass die Gesellschaft in solchen Notsituationen auf viele erfahrene Helfer*innen zurückgreifen könnte.

    Aber viel mehr würde wiegen, dass wir alle, durch die erfahrene Nähe nicht einfach verdrängen könnten wie dort gerade die Kacke am Damfen ist.

    • @tomás zerolo:

      "Vielleicht sollte jeder (...)" (T. Zerolo)



      Solche Vorschläge sind ja nett und lieb gemeint, aber leider nie in ihrer Konsequenz durchdacht. Es wird leider nicht mitgedacht, ob und wie eigentlich so ein "Solidar-Helfer" überhaupt dazu in der Lage sein könnte der überlasteten Pflege praktische Hilfe zu leisten - oder ob er stattdessen nicht sogar zu einer weiterenBelastung der Pflege und einer Gefährdung der zu Pflegenden werden kann. Pflegearbeit ist nicht nur systemrelevant, für die Kranken ist sie auch sicherheitsrelevant. Deshalb werden solche Vorschläge in der Pflege ja auch regtelmäßig mit Erschrecken und Ablehnung quittiert.



      PraktikantInnen werden immer gerne willkommen geheißen, wenn es dabei um einen Teil der Berufsausbildung zur Pflegekraft geht. Das Ganze hat dann ja ein sinnvolles Ziel. Und dabei gibt es für die Auszubildenden soviel zu lernen, dass diese mehrere Wochen lang noch gar keine Entlastung sein können. Erstmal ist das Gegenteil der Fall. Aber das liegt in der Natur der Sache. Zuviel kann falsch gemacht werden, was mitunter schlimme Folgen für die PatientInnen haben kann. Deshalb läßt man PraktikantInnen nur langsam und dosiert an die Materie heran.



      Ihr Vorschlag eines 14tägigen "solidarischen Mitmachens" bringt deshalb leider gar nichts - schon gar nicht, wenn er nicht auf Freiwilligkeit beruht. Und der Zeitraum ist viel zu kurz.



      Ferner: Wer kranke oder behinderte Mitmenschen pflegt oder betreut bekommt zwangsläufig Einblick in die privatesten und intimsten Angelegenheiten eines Menschen, der sich dagegen gar nicht oder nur eingeschränkt wehren kann. Verwantwortungsvolle Pflege muß aber immer auch den Schutz dieser Intimsphäre gewährleisten. Schon alleine aus diesem Grunde ist ein derartiges Durchschleusen von KurzzeithelferInnen eigentlich ethisch indiskutabel.



      Kleine Anregung zur Selbsterfahrung: Stellen Sie sich vor, man würde Ihnen zumuten täglich an einer Bushaltestelle in aller Öffentlichkeit gewickelt und gewaschen zu werden...

    • @tomás zerolo:

      Zwei Wochen Praktikum unter Anleitung?

      Also, noch eine Belastung für die Pflegekräfte?