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Arbeitsbedingungen bei VW-TochterSie sollen fahren, nicht pinkeln

Bei der Volkswagentochter Moia wird die Arbeit über künstliche Intelligenz organisiert. Für die Ar­beit­neh­me­r*in­nen bringt das einige Probleme.

So märchenhaft wie im Miniatur-Wunderland geht es im echten Leben nicht zu bei Moia Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Wenn das Auto der Arbeitsplatz ist, bedeutet eine kurze Toiletten- oder Rauchpause einen größeren Aufwand als im Büro oder im Homeoffice. Aber so umständlich wie für die Fah­re­r*in­nen von Moia sollte es nicht sein. Bei der VW-Tochter, deren goldfarbene Elektro-Kastenwagen meist geräuschlos und leer durch Hamburg und Hannover gleiten, müssen die Fah­re­r*in­nen eine Toilettenpause per Knopfdruck im digitalen System beantragen. Solche „außergewöhnlichen Pausen“ gehören nicht zur „produktiven Zeit“, werden daher aus der bezahlten Arbeitszeit herausgerechnet, und nur im Ausnahmefall überhaupt genehmigt. Aber das ist nicht das einzige Problem, mit dem Mit­ar­bei­te­r*in­nen zu kämpfen haben.

Am Anfang habe eigentlich alles ganz okay gewirkt, erzählt der Fahrer Manuel Wagner (Name geändert). Doch dann hätten sich die Bedingungen bei dem Start-up stetig verschlechtert. Moia wurde 2016 als Tochter des Volkswagenkonzerns gegründet, um neue Mobilitätskonzepte zu entwickeln. 2017 startete eine Flotte in Hannover, 2019 in Hamburg.

Das Konzept „Ridepooling“ funktioniert so, dass mehrere Fah­re­r*in­nen im Innenstadtbereich unterwegs sind und auf Anfragen der Kun­d*in­nen über eine App warten. Ein Algorithmus berechnet die Routen so, dass mehrere Fahrgäste eingesammelt werden, die in eine ähnliche Richtung wollen. Die Entwicklung der Apps, des Algorithmus, der Elektrofahrzeuge und der Infrastruktur liegt bei Moia, auch den Dienstplan erstellt ein Algorithmus.

Aber nach dem Corona-Lockdown, in dem die meisten Angestellten in Kurzarbeit waren, kam das Management plötzlich mit einigen Einschnitten für die Mit­ar­bei­te­r*in­nen um die Ecke, die es in bester Start-up-Manier, also mit viel Dank für das Verständnis und die gemeinsame Kraftanstrengung, als neues Arbeitszeitmodell verkaufte. Es beinhaltet die technische Dokumentation jeder Arbeitszeitunterbrechung, auch den Toilettengang. „Grundsätzlich werden solche Arbeitszeitunterbrechungen von der Arbeitszeit abgezogen“, schrieb Moia Anfang Mai an die Mitarbeiter*innen. „Es ist wichtig zu wissen, dass solche Unterbrechungen nur im Ausnahmefall vorgenommen werden können, weil diese den laufenden technischen Betrieb in extremer Weise stören.“

Den Pausenort schreibt die KI vor

„Es kommt vor, dass du eine Unterbrechung beantragst, aber das System sie dir verwehrt“, sagt Wagner. „Zum Beispiel, wenn es eine Stunde vor der Mittagspause ist.“ Das mit den Pausen: auch so eine Sache. Zu Schichtbeginn wissen die Fah­re­r*in­nen nicht, wann und wo ihre Pause sein wird, sie haben nur ein grobes Zeitfenster. Der Algorithmus teilt es ihnen dann mit, wenn es gut passt, weil die Nachfrage gerade niedrig ist. Sie steuern einen vorgeschriebenen Ort an, in Hamburg sind das ausgewählte Parkplätze von Einkaufszentren oder einem Krankenhaus. Per GPS-Ermittlung geht die Pausenzeit automatisch los, sobald der Fahrer dort einrollt, abzüglich einer Minute „Rüstzeit“, in der das Auto an eine Ladestation angeschlossen werden muss.

Die Rüstzeiten wurden auch mit dem neuen Arbeitszeitmodell eingeführt: Vor Schichtbeginn gibt es fünf, nach Schichtende zehn Minuten, in denen die Fah­re­r*in­nen ein- und auschecken, das Fahrzeug auswählen, das System hochfahren, eine Abfahrtskontrolle vornehmen, sich beim Pooling an- oder abmelden und am Ende das Auto reinigen und laden müssen. „Das ist in der kurzen Zeit unmöglich zu schaffen“, sagt Wagner.

Kein Problem, sagt Moia: Für die Vergütung zu viel gearbeiteter Minuten könnten die Angestellten später einen Antrag auf Erstattung stellen. Das gelte auch für unvermeidliche ­Toilettenpausen, räumte das Unternehmen ein, nachdem die Gewerkschaft IG Metall Druck gemacht und Medien über den Missstand berichtet hatten. Auf taz-Nachfrage betont die Moia-Sprecherin Jennifer Langfeldt: „Wir widersprechen entschieden der Darstellung, dass Toilettenpausen nicht vergütet werden. Toilettenpausen werden bei Moia bezahlt.“ Das heißt, wenn man den Antrag stellt. Auch die Zeit, die man dafür aufwendet, kann man sich zurückerstatten lassen: Zwei Minuten pro Antrag sieht Moia dafür vor. „Viele Kol­le­g*in­nen verzichten lieber gleich darauf“, sagt Wagner.

Wer nicht sauber arbeitet oder nicht bereit ist, Überstunden zu machen, kann den Job schnell verlieren. Wie Frederik Bruns (Name geändert). Er kandidiert als erster Betriebsrat am Standort Hamburg, Mitte Juli soll die Wahl stattfinden. Aber schon die Unterschriften für die Kandidatur zu sammeln, war schwierig, denn Bruns hat Hausverbot.

Solche Unterbrechungen können nur im Ausnahmefall vorgenommen werden, weil diese den technischen Betrieb in extremer Weise stören

Aus einer internen Mitteilung von Moia

Am 4. Mai fand er morgens das Kündigungsschreiben in seinem Briefkasten, ohne Poststempel. Es müsse ihm nachts per Bote zugestellt worden sein, sagt er. Ein Grund für die außerordentliche fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht nicht auf dem Schreiben, das der taz vorliegt. „Ich bin dem Unternehmen unbequem geworden“, vermutet der Fahrer, der seit dem Start der Flotte in Hamburg dabei ist. Im Zuge der Betriebsratsgründung hätten noch fünf andere Kan­di­da­t*in­nen das Unternehmen verlassen, alle mit einer Abfindung, sagt Bruns. Nur er habe diese ausgeschlagen. Bruns habe Flyer verteilt und in Firmenchats gegen das neue Arbeitszeitmodell mobilisiert. Auch über die Pausenorte habe er sich häufig beim Management beschwert.

Sind menschliche Fah­re­r*in­nen bald überflüssig?

In einem Einkaufszentrum im Hamburger Norden etwa sei der vorgeschriebene Pausenort direkt neben den Mülltonnen, beim ­Asklepios-Krankenhaus direkt neben dem Corona-Testzentrum, beim Krankenhaus St. Georg betrug der Weg zur Toilette acht Gehminuten. Bei den Rewe-Parkplätzen gibt es gar keine Außentoiletten, dort müssen die Fah­re­r*in­nen an der Kasse nach einem Schlüssel fragen – in Moia-Uniform, während hinter ihnen die Einkaufenden Schlange stehen. „Das ist entwürdigend“, sagt Bruns. Gegen seine Kündigung hat er Klage eingereicht, der Verhandlungstermin ist für August angesetzt. Gegen das Hausverbot prüft er ein Eilverfahren.

Aber warum hat eine Volkswagentochter es überhaupt nötig, ihre Mit­ar­bei­te­r*in­nen so zu triezen und jede Pausenminute vom Lohn abzuziehen? „Das Konzept ist nicht ­lukrativ“, vermutet Bruns. Tatsächlich fahren die Sammeltaxis oft höchstens mit einem Gast ihre digital berechneten Routen ab. Der Preis variiert je nach Nachfrage und ist vielen potenziellen Gästen möglicherweise einfach zu hoch. Und dann noch die Umwege, um andere Gäste einzusammeln? Muss ja nicht sein.

Zum anderen ist es kein Geheimnis, dass Moia an autonom fahrenden Autos arbeitet. „Nach aktuellen Planungen soll es ab Mitte des Jahrzehnts einen ersten autonomem ­Ridepooling-Betrieb auf Teilen von Hamburgs Straßen geben“, bestätigt Moia-Sprecherin Langfeldt. Sie weist den Eindruck zurück, die Maßnahmen zielten bereits jetzt auf ein langsames Ersetzen der menschlichen Fahrer durch künstliche Intelligenz. Bruns hingegen sagt, er habe das Gefühl, er und die anderen Fah­re­r*in­nen würden im vom Algorithmus berechneten System immer mehr zum Störfaktor.

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17 Kommentare

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  • Die Autos dürfen ohne Fahrer nicht fahren,so oder so. Wenn der Fahrer also einfach bremst,aussteigt und sein Geschäft verrichtet kann der Chef machen was Er will

  • … der nächste wird dann garantiert kein VW …

  • Klingt ebenso schlimm wie Amazon.

    Gutes Beispiel, warum man dafür sorgen sollte, dass derartige Praktiken gar nicht erst einreißen.

    Übrigens beschäftigt Amazon in den USA jetzt gezielt alte Menschen, deren Rente nicht zum Leben reicht und die in Trailern dahin nomadieren müssen wo es gerade Arbeit gibt. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten auf dem Rückweg in die moderne Sklaverei.

  • Na ja viel Gejammer aber letzlich wie in jedem anderen Job. Wer Bus fährt kann auch nicht mal eben nen Abstecher zum pinklen machen, wer im OP steht muss halt auch mal zukneifen und wenn ich als Vertreter auf der Bahn im Stau stehe muss halt auch mal die Thermoskanne herhalten. Leben ist ja kein Ponyhof. Solange die Bezahlung stimmt passt das, wenn nicht sucht man sich halt nen anderen Job.

    • @McMercy:

      Klar Jung. Wissen wir.

      Woanders war’s noch scheißer!

      kurz - Wenn’s dich erleichtert - wa!



      Abputzen 🧻 Abziehen & Lüften nicht vergessen! Gellewelle&Wollnichwoll! 🥳

      unterm—— kl Handreichung



      Bernhard Bussmann - Woanders war’s auch Scheiße -



      de.wikipedia.org/w...nhard_Bu%C3%9Fmann

  • Ein Glück, dass ich mich als Erwachsener nochmal auf den Hosenboden gesetzt- und auf Abendschule den Techniker gemacht habe. Mit so etwas muss ich mich nicht Rumärgern.

  • Die "Mitarbeiter-Optimierung" hatte ihren letzten Höhepunkt in der als "vorsintflutlich" empfundenen, aber tatsächlich erst im letzten Jahrhundert offiziell größtenteils abgeschafften, aber noch lange nicht "besiegten" Sklavenhaltung.



    Die größte Errungenschaft der menschlichen Zivilisation ist keineswegs die Rakete, die zum Mond fliegt, sondern die Anerkennung des Mitmenschen als "Mensch".



    Ganz krass weitergedacht hat KI hat durchaus das Potential, uns unter dem Decknamen "Fortschritt" in eine vorsintflutliche Zivilisationsstufe zurückzuwerfen.



    Wurde je ein irgendein Weltreich nicht mit dem Blut und Schweiß (und Urin) der "wertlosen" Untertanen aufgebaut? Träumt nicht jeder "Mini-Boss" und "Möchte-Gern-Gott" davon, unangefochtener Herr über ein identitäts- und rechteloses Heer von (Arbeits-) Sklaven zu sein?

    Die Beschwichtigungsversuche der Firma täuschen nicht darüber hinweg, daß es nicht ein einzelner "ungeschickter" Programmierfehle" zu sein scheint, sondern offensichtlich das Grundkonzept und -Ziel offenlegt. Ich habe nur den Satz vermisst: "Das alles dient lediglich dem Wohl und der Arbeiterleichterung unserer Mitarbeiter!"

  • Liggers. 's Mowgli hat recht.

    Selige Zeiten.



    Ein Freund unseres Ohl*03 - jobbte in den 20ern als angehender Mediziner als Werkstudent auf Flender - einst größte Schiffswerft der Welt.



    Ihm fiel auf - daß der Werkstattmeister häufiger auf dem stillen Örtchen verschwand.



    Gefällig sprach er ihn an - er könne ihm da was verschreiben.



    & Däh!



    “Jung. Dat mößt di marken.



    Dat Shiiten ward hier mitbetahlt!“

  • Sollen alle Kündigen, soll doch der VW Konzernchef selber fahren. Aber dank unserer Hartz IV Sklavenhalter hat man keine Chance.

  • Zuviel zerreißt den Sack

    Man kann optimieren wie man will, irgendwann haben die Leute schlichtweg keinen Bock mehr zu spuren. Entweder man beschäftig dann in der Tat nur noch Maschinen* oder man muss sich etwas kompromissbereiter zeigen,

    *) Wenn das aber "alle" machen: Wer kauft dann noch den Krempel oder zahlt für Dienstleistungen?

    • @Bunte Kuh:

      Auch Maschinen müssen gebaut und gewartet, Software muss geschrieben werden, ...



      Solche Schwarzmalerei gab es schon als die Dampfmaschinen eingeführt wurde, oder das Auto absehbar die Pferdekutschen verdrängte, oder ...



      Dumm ist nur das wir perfekt geworden sind das Haar in der Suppe zu suchen aber damit eben leider bei neuen Konzepten und Technologien nichts mehr zu bieten haben. Das ist unser Problem!

      • @Sputnik-HH:

        Mal abgesehen davon, das es hier gar nicht um das Abschaffen von Arbeitsplätzen geht, sondern um Verschlechterung von Arbeitsbedingungen, denke ich es ist druchaus richtig das Produktivitätssteigerung eigentlich positiv sein sollte.



        Das Problem ist nur das wir in einer Welt leben, in der die meisten von uns nur deshalb die Miete bezahlen können, weil sie ihre Arbeitskraft verkaufen. Wenn die keiner mehr kauft kann das schon ein Problem werden. Und ich halte es nicht für sinnvoll, vollständige Automatisierung mit Produktivitätssteigerung durch Dampfmaschinen zu vergleichen. Soviele Leute brauchts nicht um die Roboter zu warten. Es müssen also andere Berufsfelder her. Arbeit gibt es genug, nur wird verdammt viel von dieser Arbeit schlecht oder nicht vergütet zur Zeit und die Frage ist ob sich das ändert.



        Man muss nichts Schwarzmalen, aber man sollte auch nicht naiv sein und glauben das wird schon. Funktionierte beim Klimawandel ja auch nicht.

  • Und trotzdem gibt es immer noch genug Großkopferte, die mit ihrer Kohle nicht wissen wohin und ständig mehr oder weniger unnützen Kram bestellen.

  • Mal sehen, wann die ersten Fahrer beginnen, aus Frust auszusteigen und gegen die Karre zu pinkeln.

  • Das klingt alles sehr nach Amazon-Flex, eine App für mobile Arbeitssklaven des Versenders. Bei unverschuldeten Lieferverzögerungen, z. b. wenn ein Zugang zu einem Haus versperrt ist oder ein Nagel im Reifen die Auslieferung unterbricht oder verzögert, werden die Sklaven vom Algorithmus aussortiert und müssen Geld zahlen, wenn sie sich dagegen wehren wollen.

    Das ist an Perversion kaum zu überbieten.

    www.bloomberg.com/...ers-are-losing-out

  • Zitat: „Es kommt vor, dass du eine Unterbrechung beantragst, aber das System sie dir verwehrt“

    Das kommt davon. wenn sich „künstliche Intelligenz“ von natürlicher Idiotie programmieren lässt. Ich persönlich finde ja, dann kann sie wirklich intelligent nicht sein.

    Schließlich wusste schon der alte Ford (der zwar halbwegs geschäftstüchtig gewesen ist, aber nicht wirklich ein Einstein), dass Autos keine Autos kaufen. Dass Menschen ohne Einkommen zu viel Geld für die Benutzung autonom fahrenden Taxis ausgeben können, deren Besitzer sich auf die Art eine goldene Nase verdienen wollen, ist mindestens genau so unwahrscheinlich.

    • @mowgli:

      Nein Mowgli, das verstehst Du falsch. Arbeiter werden künftig gewiss keine Autos mehr kaufen.