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Arbeit für alleBrauchen wir eine staatliche Jobgarantie?

Die Schlangen vorm Jobcenter werden länger – und die Arbeitsbedingungen schlechter. Sollte der Staat mit einer Jobgarantie eingreifen?

Wartebereich in einem Jobcenter in Bielefeld: der Staat könnte die Schlangen vor dem Jobcenter verkürzen Foto: Werner Krüper/imago

M orgens im Jobcenter. Vor der Tür eine Schlange von Menschen, die Arbeit suchen. Darunter: eine ukrainische Erzieherin, die vor Putins Bomben geflohen ist, und ein Gärtner, dem vor Kurzem gekündigt wurde. Ob ihr Berater ein gutes Jobangebot für sie hat? Eher nicht, befürchten sie. Die Wirtschaft kriselt nämlich.

Was sie nicht wussten: Die Regierung experimentiert mit einer Jobgarantie. Der Berater hatte also nicht nur eine Liste offener Stellen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, sondern auch mit gemeinnützigen Jobs in der eigenen Gemeinde.

Die Erzieherin gibt ab sofort also 20 Stunden in der Woche Nachhilfe für ukrainische Grundschüler. Neben ihrem eigenen Sprachkurs, den sie macht, und Bewerbungen, die sie an Kitas schreibt. Der Gärtner beteiligt sich an einem vierköpfigen Team, das Urban-Gardening-Projekte in den Schulen umsetzt, für 25 Stunden in der Woche – damit noch Zeit für Bewerbungen bleibt.

Beide werden nach Mindestlohn bezahlt und stocken mit Bürgergeld nur noch auf. Besser als arbeitslos, finden beide. Sie haben mehr Einkommen, tragen etwas zur Gemeinschaft bei und entwickeln sich weiter.

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Arbeitslosigkeit macht krank

Okay, das war Wunsch, nicht Wirklichkeit. Leider. Denn eine Welt ohne Arbeitslosigkeit wäre eine bessere Welt. Arbeitslosigkeit macht schließlich arm, krank und grenzt aus. Ein Job ist mehr als bloßes Einkommen: Kollegen, Alltag, Verantwortung. In Artikel 23 der Menschenrechte steht: „Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit.“

Dieses Recht wird denen verwehrt, die in der Jobcenter-Schlange stehen. Der Staat könnte die Schlange zwar kürzer machen, indem er die Wirtschaft ankurbelt – und darauf hofft, dass private Firmen mehr Leute einstellen.

Aber: private Firmen stellen nur ein, logischerweise, wenn es für sie profitabel ist. Das Recht auf Arbeit wäre also nur erfüllt, wenn die Regierung die Konjunktur jederzeit perfekt steuert und Neuanstellungen profitabel sind. Auf Dauer kann das nicht klappen.

Besser wäre also, der Staat würde selbst Jobs anbieten. Zusätzlich zu den fünf Millionen im öffentlichen Dienst, die es schon gibt. Auch Kitas und Pflegeheime könnten mehr Leute gebrauchen, aber dafür braucht es jahrelange Ausbildung. Arbeitslose können in einer Krise nicht einfach Lehrer werden. Und Lehrer sollen nicht nur Mindestlohn verdienen.

Die Lösung: ein flexibles Jobprogramm. Bezahlt vom Arbeitsministerium, organisiert von den Gemeinden, die Arbeitssuchenden einen gemeinnützigen Job vor Ort anbieten. So wie der ukrainischen Erzieherin und dem Gärtner. Denkbar wäre auch Mithilfe beim Roten Kreuz, Werkstätten oder lokalen Sport­events.

Bild: Olaf Krositz
Maurice Höfgen

28, ist Autor und Ökonom. In der wochentaz überlegt er einmal monatlich, wie sich wirtschaftliche Utopien umsetzen ließen.

Wichtig: Die Jobgarantie ist ein Angebot, keine Pflicht. Anders als CDU und FDP gerade fordern, sollte das Bürgergeld nicht wegfallen, wenn jemand nicht gemeinnütziger Arbeit nachgehen will. Und sie sollten auch kein Abklatsch von Ein-Euro-Jobs oder früheren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sein. Weil im Mittelpunkt die Gemeinnützigkeit steht und das Recht auf Arbeit zu respektvollen Bedingungen – nicht die schnellstmögliche Vermittlung zu geringstmöglichen Kosten!

Eine Jobgarantie erzeugt Wohlstand, die Teilnehmer bilden sich on-the-job weiter und es wird eine Untergrenze an akzeptablen Jobbedingungen geschaffen. Niemand muss in der Wirtschaft unter schlechteren Bedingungen arbeiten. Win-win-win, oder nicht?

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22 Kommentare

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  • Hmm, Erzieherin und Gärtner. Kenne ich, kann ich mir nur kaum in der Schlange beim Jobcenter vorstellen.



    Ich würde auch sagen, dass es diese Vorschläge in einigen Regionen bereits gibt. Allerdings hängt man da häufig den früheren 1-Euro-Jobs nach, wie vormals dem Zivildienst.



    Was allerdings außer Acht gelassen wird, ist der Punkt der Qualifizierung, und bis dahin können auf dem skizzierten Weg Jahre vergehen.



    Und selbst ohne, bei diesen gemeinnützigen Vereinen wird häufig nach Tarif bezahlt. Aber so eine Situation, wo man den Job einer qualifizierten Fachkraft macht, sei es nur in weiten Teilen, dabei aber nur mit einem Bruchteil, dem Mindestlohn, bezahlt wird, möchte ich niemanden wünschen.



    Dabei gibt es nicht einmal die Garantie dafür, dass man eine Qualifikation erwirbt. Stattdessen wird es mit Sicherheit wieder massiv ausgenutzt werden. Und mit diesen Fällen könnte man Bücher füllen, schon mit einzelnen Erwerbsbiografien. Ehrlich gesagt, sehe ich keine kommende Regierung die ansatzweise fähig wäre eine faire Jobgarantie umzusetzen.

  • Unsere bundesdeutsche Gesellschaft ist schon stark arbeitsfokussiert. Fragen Sie mal jemanden, was er/sie macht - die Antwort wird sich ums Berufsleben drehen.



    Auch viel anderes ist an den Arbeitsplatz angedockt.

    Dennoch warne ich vor einem "Recht auf Arbeit". Recht auf soziales Auskommen ist es, nutzen wir Produktivität (die nicht auf Energieverschwendung beruht) doch als das, was es ist: ein Geschenk an uns Menschen.

  • Kernaussage "Wichtig: Die Jobgarantie ist ein Angebot, keine Pflicht..."



    Kann man so machen - oder eben auch andersrum. Ich denke aktuell würden mehr MEnschen hier eine Politik befürworten in der man eben keine Staatsknete bekommt wenn man zu Hause bleibt.



    Die genannten Vorteile (bilden sich im Job weiter usw.) helfen doch insbesondere denen die es schwer haben - also angepackt, es gibt genug zu tun.

  • Es ist schon frustrierend wie konventionell auch so junge Leute zuweilen sind.



    Erstens geht Höfgen davon aus, dass es besser ist, Leute staatlich gelenkt fremdbestimmt zu beschäften, statt sie einfach selber machen und rausfinden zu lassen, was sie zum Gemeinwohl beitragen können und wollen.



    Zweitens geht er davon aus, dass bezahlte Arbeit irgendwie per se besser und sinnvoller wäre als unbezahlte Arbeit. Es ist ja nicht so, dass es außer Erwerbsarbeit und "Nichtstun" nichts mehr gäbe. Es gibt eben den riesigen Sektor der unbezahlten Arbeit.



    Es wäre sicherlich sinnvoller, den Leuten zu ermöglichen sich zu betätigen, ohne dass sie Angst vor der Armut haben oder sich mit irgendwelchen Schikanen vom Jobcenter rumschlagen müssen.



    Es ist im Übrigen höchst fragwürdig, ob ERWERBSlosigkeit krank macht oder ob es nicht eher die Stigmatisierung und die genannten Schikanen, insbesondere die Sanktionsdrohung, sind.

    Fazit: Nein, wir brauchen keine staatliche Jobgarantie. Wir brauchen alle ein Einkommen und dann kriegen wir den Rest schon selbst auf die Reihe.

  • Das ist Satire - oder?



    Falls doch nicht - "Die Regierung experimentiert mit einer Jobgarantie" - Wer konkret macht das? Wer setzt für ein solches Thema Steuergelder ein?

  • Interessant finde ich, dass zum einen die Union geradezu mit Hass auf das Bürgergeld reagiert, ihm einen neuen Namen geben will, den geringen Abstand zum Lohn beklagt und genau weiß, es aber aus rechtlichen Gründen nicht groß absenken kann. Da wäre die logische Konsequenz doch wirklich, die Lücke zum Lohn zu füllen und den Menschen Arbeit zu geben.

    ".... Die Lösung: ein flexibles Jobprogramm. Bezahlt vom Arbeitsministerium, organisiert von den Gemeinden, die Arbeitssuchenden einen gemeinnützigen Job vor Ort anbieten ..." Genau das wäre die Lösung und das Gemeinnützig kann man auf all die nötigen Tätigkeiten ausdehnen, die zum Betrieb und Unterhalt der öffentlichen Infrastruktur notwendig sind.

  • Zum Thema Jobgarantie hat der britische Ökonom Prof. Guy Standing eigentlich schon alles gesagt: 49:30-53:50: www.youtube.com/watch?v=fVNGh9PHUfk

  • Die Ökonomen sanktionieren den falschen Sprachgebrauch. Sie verschleiern, dass hinter Stellenangeboten und Arbeitskräftebedarf eine Nachfrage nach menschlicher Arbeitskraft steckt und dass hinter Stellengesuchen und Arbeitslosigkeit Menschen stehen, die außer ihrer Arbeitskraft wenig anzubieten haben, um ihr physisches Überleben in einer arbeitsteiligen Marktwirtschaft zu sichern. Auch für diese Menschen sollen die heiligen Sachzwänge des Marktes gelten und sie sollen flexibel sein. Wenn die unsichtbaren Hände des Marktes es so verlangen, dann muss Mensch auch für einen Hungerlohn arbeiten oder ganz ohne Einkommen überleben. Diese grobe Missachtung der Menschenwürde, den Zwang zur Lohnarbeit unter miserabelsten Bedingungen und schlimmeres, rechtfertigt die marktwirtschaftlichen Vernunft. Diese Vernunft bezieht sich aber, wie jede andere Vernunft auch, auf die ihr eigenes Modell von Welt. Die reale Welt ist aber viel vielschichtiger und nur mit Mitteln der Wirtschaftswissenschaften nicht zu verstehen.

  • Es würde schon sehr helfen, wenn die Menge an zukunftszerstörender Arbeit und solcher die nur eine an Luxus krankende Gesellschaft aufrecht erhält, deutlich reduziert wird.

    Sinnstiftend würde jeder gerne arbeiten wollen. Eine Jobgarantie klingt dabei ambivalent und nur umsetzbar, wenn die Arbeitszeit deutlich reduziert wird (oder eine Umdeutung davon was Arbeit ist), gleichzeitig die Bezahlung erhöht und keine Beschäftigungstherapie ist.

    Da wir zeitgleich in einer vielseitig gelagerten Transformation stecken, ist das alles dann doch sehr illusorisch.

  • "Bezahlt vom Arbeitsministerium..."



    Und woher bekommt das Arbeitsministerium das Geld?

    • @sollndas:

      Aus Arbeitslosenversicherung und Steuern.

      • @Axel Schäfer:

        Und wer bezahlt Arbeitslosenversicherung und Steuern?

        • @sollndas:

          Von Beitrags- und Steuerzahlern. Gegenfrage, wie finanziert sich ein "normales" Staatswesen?

  • In der Form könnte das für Berufsgruppen, die in diesem Sektor gebraucht werden, durchaus funktionieren.

    Es muss für viele insbesondere mehr Raum für Ausbildungen geschafft werden. Keine Ausbildung, keine Fachkraft. So einfach ist das. Und bei manchen bedeutet es eben, dass sie erst den Schulabschluss nachholen müssen. Da arbeiten sie eine Weile nicht, haben danach aber deutlich bessere Chancen. Die kurzen Qualifizierungskurse für Aushilfsjobs sind sicherlich für Menschen die kurz vor der Rente stehen eine gute Wahl, aber nicht für jüngere, die noch den Großteil ihres Arbeitsleben vor sich haben.

  • Es gab früher mal was, das nannte sich ABM.



    Da wurden die Menschen regulär bezahlt.

  • In einem durchdigitaliserten Staat wäre so etwas vielleicht möglich wo Bedarf und Fähigkeiten perfekt zusammen gebracht werden können aber in Deutschland würde nur ein bürokratischer monster geschaffen das es trotzdem nicht hinkriegt . Arbeitslosigkeit jenseits des nicht vermittelbaren Sockel ist sehr temporär wegen Überalterung wirdes sie für ausgebildete Kräfte nicht lange geben.

    • @Machiavelli:

      Ein Problem dürfte auch sein, dass vielleicht irgendwo jemand ohne besondere Qualifikation arbeitslos ist, aber die Jobs die er erledigen könnte liegen in Ballungsräumen, wo er sich nie eine Wohnung leisten könnte und wo das Pendeln keine Option ist.

      • @Axel Schäfer:

        Das wäre dann das nächste Problem.

  • Wir haben in Deutschland auch eine Kitaplatzgarantie. Funktioniert prima. Vor allem in Großstädten und auf dem Land.

  • Nein es braucht keine Jobgarantie, denn Jobs gibt es mehr als genug. Bevor die Nachfrage nach Arbeitskräften nicht einbricht, braucht es die Jobgarantie nicht.

    Mit ein bisschen Eigenverantwortung bekommt jeder einen Job. Ja das ist nicht immer der Wunsch-Job, aber das ist eben Eingenverantwortung.

    • @Walterismus:

      "Jeder ist seines Glückes Schmied" blabla, aber Du:

      Nicht Jeder ist Schmied!

  • Da wo ich wohne ist eine arbeitslose Erzieherin eine absolut utopische Vorstellung. Ich kenne auch keine/n Pfleger/in, Physiotherapeut/in, Koch/in, Handwerker/in usw. die einen Job sucht. So ist es auf jeden Fall m Grossrau Munchen, überall wird händeringend nach halbwegs qualifizierten Personal gesucht. Also wäre Umzug auch eine Option.