Antisemitismus und Israel: Das große Poltern
Während es eine neue Antisemitismusdefinition geben soll, versuchen postkoloniale Theoretiker mit allerlei Furor, sich weiter durchzusetzen.
Kaum war das Dokument vorige Woche öffentlich lanciert, gab es im Netz Reaktionen darauf zu lesen, die irgendwie klangen, als sei es in allerletzter Minute gelungen, ein Verhängnis, ein Missverständnis, einen fatalen Prozess zu bannen: „Endlich!“, „Wie gut …“ oder auch „Erleichternd …“: „The Jerusalem Declaration“. Auch in der taz zustimmend kommentiert, formulierte diese, was so vielen Linken und Linksliberalen auf dem Herzen liegt.
Dass nämlich hinter der sogenannten „Israelkritik“ sich gar nicht „per se“ Antisemitismus verberge, dass die internationale Bewegung namens BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) gar nicht „per se“ antisemitisch sei. Auf dieses „per se“ kommt es in dieser Erklärung, wesentlich mitgetragen etwa auch von deutschen Kultur- und Diskursschaffenden (Aleida Assmann, Friedenspreisträgerin 2018), an – auf dieses „an und für sich“.
Moralisch gebannt werden dürfe nicht mehr (per se) eine Kritik an Israel, die sie wesentlich als mit dem Apartheidsregime Südafrikas vergleichbar versteht; auch „unvernünftige“ Stimmen aus dem palästinensischen Lager, die etwa die Auslöschung Israels wünschen, dürfen nicht gleich zum Bannfluch führen – man solle doch vielmehr ihnen zuhören, ob nicht hinter ihnen ein Leid sich verberge, das zu hören wichtig sei.
Dabei ist diese „Jerusalemer Deklaration“ weder ein Dokument im international-diplomatischen Prozess, noch kann es diesen politischen Rang beanspruchen – es ist ein Schriftstück, wie es unzählbar viele gab in den vergangenen Monaten und Jahren, fast immer mit den gleichen Protagonist*innen und dem gleichen Anliegen: Dass es möglich sein müsse, auch „Erzählungen“ (Aleida Assmann) gelten zu lassen, die etwa die Verbrechen des Kolonialismus thematisieren. Als ob das nicht schon immer richtig, nachgerade von buchstäblich allen geteilt worden wäre – abgesehen von völkisch orientierten Leuten, aber die sind für diesen Kontext unwichtig.
Es ging nie um Stigmatisierung
Voriges Jahr ging es ja beim Streit um die Teilnahme des kamerunischen Philosophen Achille Mbembe auch niemals darum, dessen Beiträge aus afrikanischer Perspektive zu stigmatisieren. Woran sich der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, mit einer keineswegs amtsdurchsetzungsfähigen Bemerkung zu einer Rede Mbembes auf der Ruhrtriennale störte, war, dass Mbembe Israel als Staat der Juden und Jüdinnen als eines der gröbsten Übel der Welt verstehe und dass er zwar jederzeit in Deutschland sprechen könne, nur eben nicht bei Veranstaltungen, deren Honorartöpfe steuergeldfinanziert sind.
Antisemitismus – und dazu gehört eben auch die singuläre Dämonisierung eines Staates in der Welt, Israel nämlich – könne nicht verboten werden, aber staatlich subventioniert?
Dass daraus schließlich die Behauptung erwuchs – etwa bei einer (noch eine!, wie viele dürfen noch erwartet werden?) Erklärung der wesentlichen Gatekeeper staatlicher Kultureinrichtungen (Haus der Kulturen der Welt, Einsteinforum, Ruhrtriennale usw. usf.) im Herbst –, Mbembe mit seinen postkolonialen Narrativen solle nicht sprechen dürfen, Cancel Culture von judenfreundlicher Seite quasi, ist kurios genug: Auf der Ruhrtriennale (wegen Corona in analoger Form abgesagt) konnte er seine Lecture sehr wohl halten.
Hass? Nein! Kritik? Ja!
Der Star der Postkolonialen schrieb jüngst wieder in Jeune Afrique in diesem Sinne wahrheitswidrig: „In Deutschland und Frankreich versuchen hasserfüllte Menschen, die Denkströmungen mit einem Bann zu belegen, die unseren Aufstieg in die Menschheit (uns: Afrikas, d. Red.) begleitet haben“. Hass? Nein. Kritik? Öfters.
Mbembe weiter: „Sie benutzen Lügen als Knüppel“ – und mit „sie“ gemeint sind hier alle, die darauf hinweisen, dass weder die Narrative zum Antisemitismus und zum Holocaust noch die zum Rassismus und Kolonialismus konkurrent verhandelt wurden: Nur, dass aktuell wesentliche Teile des Antisemitismus eben auch an die Verteufelung Israels geknüpft sind. Und dass der europäische Hass auf das Jüdische sich aus jahrhundertealten Erzählungen speiste, nicht, zynisch formuliert, aus einer kolonialen Diskursgrille unter vielen anderen.
Die „Jerusalemer Erklärung“, die mitnichten – abgesehen von Michael Wildt – vom Gros der zum Thema Antisemitismus forschenden Historiker:innen getragen wird, missachtet obendrein, dass Israel als Staat aus der jüdischen (Holocaust-)Erfahrung heraus gründete: Irgendwo muss es einen sicheren Ort, einen Letzthilfeort, eine Rettungsstelle für Jüdinnen und Juden geben, durchaus nicht in falscher Landschaft.
Jürgen Zimmerer und Michael Rothberg gehen in der aktuellen Zeit genau auf diesen Punkt auch nicht ein, vielmehr plädieren beide für eine neue globale Erinnerungskultur, die jüdische und postkoloniale Narrative zusammenzudenken wisse. Nun, das passiert ja längst, das ist keineswegs ein Undergroundprojekt, ein Gros deutscher (und europäischer) Kulturinstitutionen widmen sich der Aufarbeitung kolonialer Politiken, das heißt: imperialer Verbrechen.
Gegeneinander ausspielen
Problematisch wird dies noble Ansinnen deshalb, weil es faktisch gegen die Kritik des Antisemitismus ausgespielt wird: Kolonialismus hat seine Wurzeln in damals wissenschaftsunterfütterten Versuchen, Afrika, Lateinamerika und Asien auszubeuten; Antisemitismus lebte als ideologische Wahnwelt immer von der Verteufelung der aufkommenden Moderne – ein Dämonisierungsprojekt durch und durch, unausrottbar, meist von rechts, sehr oft von links.
Und was die von Rothberg so verfochtene „multidirektionale Erinnerung“ anbetrifft, eine, die nicht allein Jüdischem (nicht nur) in Deutschland gewidmet werden möge: Ja, das soll doch sein, gern und immer wieder – aber muss es, dieses hölzerne Wortgeschöpf namens „multidirektionale Erinnerung“, immer wieder sich gemein machen, Israel als Vorhof des Bösen zu markieren? Ist so viel historische Unterinformiertheit hinnehmbar?
Im Kern geht es auch um die Erlaubnis, endlich nach Herzenslust Israel und seine Politik kritisieren zu dürfen – was in der gewünschten Unverhohlenheit in Israel selbst schon getan wird –, ohne als antijüdisch zu gelten: Also darum, die „Erzählung“ zu etablieren, dass Antisemitismus nur eine Spielart des Rassistischen sei, ein Unterkapitel aus dem Buch „Woran Weiße Schuld tragen – per se“.
Achille Mbembe ist im Übrigen nie in Deutschland Persona non grata gewesen: Er ist zu Gast bei Veranstaltungen, er ist ein Star geworden, er war auch zum taz lab mehrfach eingeladen worden. Mehr multidirektionaler Fame geht kaum.
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