Antisemitismus in Deutschland: Sorge vor Flächenbrand

In mehreren Städten setzen sich antiisraelische Proteste fort. Die Polizei reagiert mit Verboten. Die Linke fordert eine differenzierte Überprüfung.

Ein Mann, der ein Palästinensertuch um den Kopf gewickelt hat, schreit zwei Polizisten an

Pro-Palästinensischer Protest in Berlin am 15.10 Foto: Christian Mang/reuters

BERLIN taz | Schon in den kommenden Tagen sollen die antiisraelischen Proteste in mehreren deutschen Städten weitergehen. Am Freitag rufen propalästinensische Gruppen auch hierzulande zu einem „Generalstreik“ auf. Die Polizei reagiert auf den Protest wiederholt mit Verboten. Doch daran regt sich Kritik – und die Proteste finden vielerorts dennoch statt.

So kamen am Sonntagnachmittag in Berlin trotz Verbots rund 1.000 Demonstrierende zusammen, die sich auf Seiten Palästinas stellten. Dabei kam es zu israelfeindlichen und Hamas-verherrlichenden Sprechchören. „Lasst die Waffen nicht fallen, lasst die Zionisten nicht laufen“ oder „Intifada bis zum Sieg“, wurde auf Arabisch skandiert. Erst nach zwei Stunden gelang es der Polizei, den Protest zu zerstreuen. Dabei wurden 127 Demonstrierende vorläufig festgenommen, es gab 76 Strafanzeigen wegen Verstößen gegen das Demonstrationsrecht. Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik räumte ein, dass die Polizei von der schnellen Mobilisierung überrascht worden sei. Man hätte gerne „diese unerträglichen Bilder verhindert“.

Auch in anderen Städten kam es zuletzt zu Protesten. In Düsseldorf, Duisburg, Braunschweig oder Köln demonstrierten Hunderte mit teils israelfeindlichen Parolen. In Köln war zuvor ein Kundgebungsverbot vom Verwaltungsgericht wieder aufgehoben worden. Auch in Frankfurt/Main wurde ein Demonstrationsverbot vom Verwaltungsgericht zurückgezogen, dann aber vom Verwaltungsgerichtshof wieder bestätigt. Auch hier versammelten sich mehrere hundert Protestierende in der Stadt verteilt. Die Polizei kesselte diese teils ein. In Berlin und Dortmund wurden Davidsterne an Hauswände mutmaßlicher jüdischer Be­woh­ne­r:in­nen gesprüht.

Bundesinnenministerin Nancy Fae­ser (SPD) erklärte, jeder in Deutschland dürfe friedlich demonstrieren. Komme es aber zu Straftaten, sei eine „rote Linie“ überschritten, dann brauche es ein „hartes polizeiliches Einschreiten“, so Faeser. „Wir lassen nicht zu, dass der Terror der Hamas verherrlicht und ­gegen Juden und den Staat Israel gehetzt wird.“ Zugleich forderte Faeser muslimische Verbände auf, sich vom Hamas-Terror „glasklar“ zu distanzieren.

Volksverhetzungsparagrafen verschärfen

Die Linken-Innenexpertin Martina Renner warnte dagegen davor, den Bogen zu überspannen. „Solidaritätserklärungen für die palästinensische Zivilbevölkerung bieten keine Grundlage für ein Verbot“, sagte sie der taz. Anders sei es bei der Unterstützung von Terrororganisationen oder antisemitischer Hetze. Die Versammlungen müssten stets im Einzelfall geprüft werden. „Die Auseinandersetzung mit Antisemitismus wird nicht durch Verbote gewonnen“, betonte Renner. „Sondern dadurch, dass überall solche Äußerungen und Handlungen von allen geschlossen zurückgewiesen werden, egal ob auf der Straße, in Medien oder Politik.“

Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sagte dagegen der taz, er begrüße es, wenn die Behörden „ihr vollständiges Instrumentarium nutzen“, um antiisraelische Demonstrationen zu unterbinden. Wo „Gräueltaten der Hamas“ bejubelt und das Existenzrecht Israels infrage gestellt würden, „muss dies mit aller Entschlossenheit geahndet werden“. Von Notz schloss sich der Forderung von Felix Klein, Antisemitismusbeauftragtem der Bundes­regierung an, den Volksverhetzungsparagrafen mit Blick auf die aktuellen Proteste zu verschärfen. „Wenn es hier Lücken gibt, sollten wir schnell nachjustieren.“

Auch Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang benannte die antiisraelischen Proteste am Montag bei einer Anhörung im Bundestag als „empörende Szenen“. Die Hamas verübe in Israel „unverzeihliche“ und „infame Terrorakte“. Auch hierzulande bestehe eine „abstrakt hohe Gefahr“ für jüdische und israelische Einrichtungen und Personen. Eine Gruppe wie Samidoun, die solche Proteste befeuert und die das Bundesinnenministerium nun verboten sehen will, habe man schon länger im Blick, erklärte Haldenwang. Man arbeite „mit allen zur Verfügung stehenden Kapazitäten“, um die Verbote „schnellstmöglich“ umsetzen zu können. Kanzler Scholz hatte vergangene Woche ein Betätigungsverbot von Samidoun und der Hamas in Deutschland angekündigt. Den genauen Zeitpunkt ließ er offen.

Haldenwang erklärte, dass auch weitere Gruppen im Visier stünden. Er benannte diese nicht namentlich, gemeint sein dürften aber Gruppen wie „Palästina spricht“. Samidoun dagegen kündigte bereits an, ein Verbot rechtlich anfechten und „standhaft bleiben“ zu wollen.

Auch BND-Präsident Bruno Kahl warnte am Montag vor den Folgen des Kriegs in Israel. Noch seien diese nicht absehbar. Aber: „Sollte die Lage weiter eskalieren, droht ein Flächenbrand mit Auswirkungen, die weit über den Nahen und Mittleren Osten hinausreichen werden.“ Der BND versucht derzeit etwa aufzuklären, welche Schritte die Hamas unternimmt und wo sich entführte Geiseln befinden könnten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.