Antisemitismus in Deutschland: Das Schweigen brechen
Der Hass gegen Jüdinnen:Juden in Deutschland lebt. Er zieht seine Fäden durch die gesamte Gesellschaft – mal verhalten, mal ganz offen.
A uch 2021 wurde es wieder behauptet: Jüdinnen:Juden seien angeblich überprivilegiert und überrepräsentiert, der deutsche Staat bekämpfe den Antisemitismus konsequent und habe auch die Geschichte des industriellen Massenmordes an Jüdinnen:Juden vorbildhaft aufgearbeitet. Dabei wusste Adorno schon, dass Aufarbeitung in der deutschen Gesellschaft nicht meint, den Bann des Vergangenen ernsthaft durch helles Bewusstsein zu brechen, sondern darunter einen Schlussstrich ziehen zu wollen.
Der aktuelle Wahlkampf straft nicht nur jene Lügen, die denken, dass Antisemitismus aufrichtig bekämpft oder die Auseinandersetzung mit der Shoa in der Gesamtgesellschaft ernsthafter betrieben werde. Er führt auch vor, dass deutsche Aufarbeitung bedeutet, sich selbst zu loben, die Äußerung von Antisemitismus exklusiv bestimmten Gruppen zuzuschreiben, die Kritik damit von sich zu distanzieren und jegliche Kontinuitäten zu verleugnen.
Alle sind geläutert, Schuld sind die „Geflüchteten“, die „Linken“, die „Rechten“, nur nie man selbst oder das eigene Umfeld, und dann die Fahnen raus, wenn das deutsche Olympiateam eine weitere Goldmedaille zählt. Willkommen im Wahljahr 2021, in dem antisemitische Codes wie “Globalisten“ als legitimes Mittel des politischen Diskurses gelten.
Willkommen im Wahljahr, in dem Politiker:innen die Stimmen von verschwörungsideologischen Gruppierungen, die während der Pandemie antisemitische Feindbilder bekämpft und die Shoa relativiert haben, durch Dialog und Verständnis gewinnen wollen. Willkommen im Wahljahr, in dem jede:r sich gegen Antisemitismus positioniert, ihn aber immer nur bei den anderen sehen will.
schreibt seine Doktorarbeit zu queer-jüdischem Leben und engagiert sich im jüdisch-aktivistischen Medienprojekt „Laumer Lounge“. Außerdem arbeitet er gerade an seiner ersten Buchpublikation.
Willkommen im Wahljahr, in dem es zu massiven antisemitischen Ausschreitungen kam und viele progressive Gruppen dazu schwiegen. Während der Kampf gegen Antisemitismus von Rechtspopulist:innen instrumentalisiert werden konnte. Willkommen im Wahljahr, bei dem doch alles beim Alten ist, obwohl wir so dringend Aufbrüche brauchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen