Anti-Corona-Demos in Berlin: Alles andere als harmlos
Haben Rechte die Coronaproteste gekapert? Nein: Protestierende, die sich zum Volk erklären, sind ebenso antidemokratisch gesinnt.
N azis denken nicht, sie seien Demokrat.innen. Das unterscheidet sie von denjenigen, die sich zwar im Nachhinein von ihnen verbal distanzieren, am Samstag aber keine Schwierigkeiten hatten, mit ihnen zusammen zu marschieren. Mit Regenbogenfahnen, Schweigeminuten für den inneren wie äußeren Frieden und Hare-Krishna-Gesängen bejubelten Zigtausende Menschen in Berlin bei den Protesten gegen die Coronamaßnahmen die Forderung des Veranstalters, die Verfassung in ihre Hände zu geben – im Namen der Demokratie.
Rechtsextremisten und Reichsbürger, mehrheitlich waren es doch männliche Fahnenträger, haben ihre Propagandabilder bekommen. Sie kapern das Symbol der Demokratie. Das hielt zwar nur wenige Minuten lang an. Sie sind und bleiben aber eine existenzielle Gefahr für Menschen anderer Hautfarbe, mit anderen Gesichtszügen, anderen Lebensentwürfen oder auch mit anderer Gesinnung als sie selbst. Die Coronaproteste haben indes auch noch eine anders gelagerte Gefahr in buntesten Farben illustriert.
Die Rechten hätten die Coronaproteste gekapert, wird allseits beklagt. Nein, das ist nicht wahr. Die Coronaproteste sind problemlos anschlussfähig für Rechtsextremisten von der AfD über Identitäre bis zu am Samstag fröhlich flanierende schlagbereite Neonazi-Gruppen, weil sie zutiefst antidemokratisch sind. Wer den Begriff Demokratie im Mund führt und meint, die Protestierenden, seien es auch mehrere Zehntausend Menschen, könnten zur, „Verfassunggebenden Versammlung“ ausgerufen werden, erklärt sich selbst zum Volk. Hier deckt sich der Anspruch mit dem der extremen Rechten, die mit ebendieser Verführung auftreten. Wer die Regierung mit diesem Anspruch zum Abdanken auffordert, akzeptiert nicht, dass moderne Demokratien auf Wahlen beruhen.
Es gibt sicher viele gute Gründe, gegen die Coronaschutzmaßnahmen zu protestieren. Nicht jede.r muss diese teilen. Mit der Ausrichtung der Proteste vom Samstag wird jedoch antidemokratisches Denken gesellschaftsfähig gemacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen