Anhaltende Proteste in Israel: Kommt die Regierungskrise?
Israels Verteidigungsminister spricht sich dafür aus, die Justizreform zu stoppen, an der sich die Proteste entzünden. Regierungkollegen wittern Verrat.
Zeitgleich dazu rief Verteidigungsminister Yoav Gallant in einer Fernsehansprache dazu auf, die geplante Justizreform auf Eis zu legen und Gespräche mit den Gegner*innen der Reform zu führen. Gallant, ein ehemaliger General der israelischen Armee und Likud-Parteikollege von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, begründete seinen Schritt mit Sicherheitsrisiken für den Staat Israel.
„Die Sicherheit Israels ist mein Lebensziel“, sagte er: „Die Bedrohungen um uns herum sind immens, von fern und nah“. In den vergangenen Wochen haben immer mehr Reserveoffiziere und – soldat*innen aus Protest gegen die geplante Reform ihren Dienst verweigert und hatten gedroht, ihren Dienst zu beenden, sollte die Gesetzgebung verabschiedet werden. Außerdem ist das Verhältnis zu den USA, die Israel mit massiven militärischen Hilfszahlungen unterstützen, denkbar unterkühlt, seitdem die neue rechte Regierung ihre Arbeit aufgenommen hat.
In Sicherheitskreisen nimmt die Sorge zu, dass militante Gruppierungen wie die Terrorgruppe Hamas im Gazastreifen und der libanesische Arm des Iran, die Hisbollah-Miliz, sich die innenpolitische Krise für ihre Zwecke zu Nutze machen könnten. Ende Februar vermeldete die Internationale Atomenergieagentur außerdem, dass sie im Iran Partikel von fast waffenfähig angereichertem Uran gefunden habe.
Teilerfolg: Gesetz aufgrund der Proteste abgeschwächt
Im Interesse der Sicherheit Israels und „im Interesse unserer Söhne und Töchter“ solle der Gesetzgebungsprozess gestoppt werden, damit die israelische Nation das Pessachfest und den Unabhängigkeitstag gemeinsam begehen und am Holocaust-Gedenktag gemeinsam trauern könne, sagte Gallant in seiner Fernsehansprache. Er rief auch dazu auf, die Proteste wie die Massendemonstrationen am Samstagabend zu stoppen. Außerdem sollte jede Verweigerung des Dienstes sofort beendet werden, da sie die Stärke der israelischen Armee untergrabe und dem Verteidigungsapparat schade.
Yoav Gallant, Verteidigungsminister
Die Regierung plant, einen Teil der Justizreform in der kommenden Woche zu verabschieden. Der Teil sei laut Regierung leicht abgeschwächt worden. Doch auch der aktuelle Gesetzesentwurf würde den bisherigen Prozess, mit dem Richter*innen ernannt werden, radikal verändern. Er würde es der Regierung faktisch ermöglichen, die Neubesetzung der nächsten zwei freiwerdenden Richter*innenposten des Obersten Gerichts zu bestimmen. Auch die Ernennung des Vorsitz des Obersten Gerichts läge in ihrer Hand. Für die danach freiwerdenden Posten wäre ein Konsens mit Opposition und Justiz notwendig.
Auch die anderen Schritte der Justizreform sind weiterhin aktuell und wurden lediglich verschoben. Dazu gehört unter anderem die Überstimmungsklausel, mit der die Regierung Entscheidungen des Obersten Gerichts aushebeln können soll.
Ob die Teilreform zur Ernennung von Richter*innen jedoch, wie geplant, in der kommenden Woche verabschiedet wird, ist nun fraglich. Wenige Minuten nach Gallants Ansprache unterstützten zwei weitere Likud Abgeordnete, Juli Edelstein und David Bitan, seinen Aufruf öffentlich. Ein weiterer Minister, Avi Dichter, hatte Netanjahu bereits zuvor privat dazu aufgefordert, die Reform vorerst zu stoppen. Die Regierung hat 64 der 120 Sitze inne, sollten diese vier tatsächlich mit Nein stimmen, könnten die Gesetzesvorhaben nicht verabschiedet werden.
Regierung könnte an Justizreform zerbrechen
Eine handfeste Regierungskrise ist nicht ausgeschlossen. Ein großer Teil der Regierungsmitglieder schäumte angesichts von Gallants Aufruf. Likud-Minister beschuldigten ihn, „unter dem Druck der Linken zu kapitulieren.“ Der Fraktionsvorsitzende des Likud, Ofir Katz, sagte, wer nicht für die Justizreform stimme, „hat seine Karriere im Likud beendet.“
Der rechtsextreme Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben Gvir forderte Ministerpräsident Netanjahu unmittelbar nach Gallants Rede dazu auf, diesen zu feuern.
Derweil erklärte die Protestbewegung die gesamte kommende Woche zur „Woche der Lähmung“ und kündigte an, an jedem Tag der kommenden Woche über über Demonstrationen abzuhalten und Autobahnen und Kreuzungen zu blockieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin