Angela Merkel wird 60: Alles recht staatsfraulich
Sie führt ihre Partei wie einen VEB. Der Laden brummt. Eine Würdigung der sechzigjährigen Angela Merkel – 25 Jahre nach dem Mauerfall.
Andere Leute feiern ihren Sechzigsten, dass es nur so kracht. Sie mieten eine Kneipe, laden die bucklige Verwandtschaft ein, lassen Kassler, Pils und Streuselkuchen auftischen. Und wenn Onkel Achim ausreichend Schnäpschen intus hat und Tante Inges Wangen rosa vom Prosecco glühen, folgen die – gern gereimten und unter großem Gelächter vorgetragenen – Reden auf den Jubilar. Anschließend wird gesungen und gesoffen.
Ja, andere Leute machen das so.
Angela Merkel nicht.
Am kommenden Donnerstag wird sie sechzig Jahre alt. Habituell ist die Jubilarin bekanntlich eher nicht der enthemmte Typ. Außerdem ist sie die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Und sie ist gewesene DDR-Bürgerin. Dieses als auch jenes und solches prägt den Menschen. Und deshalb feiert sie eben nicht wie Onkel Achim und Tante Inge. Sondern so, wie es ihr gefällt.
Angela Merkel fährt also gegen Abend in die CDU-Parteizentrale und hört sich dort gemeinsam mit tausend geladenen Geburtstagsgästen auf nüchternen Magen einen Vortrag an. Referent wird ein Historiker mit dem schönen Namen Prof. Dr. Jürgen Osterhammel sein. Das Thema seines Vortrags lautet: „Vergangenheiten: Über die Zeithorizonte der Geschichte“.
„Vergangenheiten“ ist ein sehr passendes Thema für Angela Merkel. In der DDR, jenem Land, in dem sie fünfunddreißig Jahre, also immer noch mehr als die Hälfte ihres Lebens, verbracht hat, wurden die Parteichef-Geburtstage auch nicht wie bei Achim und Inge begangen. In der DDR, so kann man es auf alten Bildern sehen, stellten sich die Mitglieder des Politbüros im Halbrund um den Genossen Erich Honecker auf. Einer verlas die Huldigung vom Blatt, eine Sekretärin reichte Nelken. Anschließend: Rotkäppchen-Sekt.
Es besteht die Möglichkeit, zu gratulieren
Auf diese stocksteife, mithin verkrampfte Dramaturgie verweist auch Angela Merkels Sause im Konrad-Adenauer-Haus. Die Vorsitzende feiert mit ihrer Partei. Die Gäste lauschen den Worten eines Hochleistungswissenschaftlers, weil die Chefin derlei zu schätzen weiß. Anschließend gibt es einen Empfang. „Dabei besteht die Möglichkeit, Frau Dr. Merkel persönlich zu gratulieren“, steht in der Einladung von Generalsekretär Peter Tauber. Es folgt der Hinweis, Frau Dr. Merkel bitte darum, auf Geschenke zu verzichten; Spenden für eine Krebsstiftung seien hingegen willkommen.
Alles recht staatsfraulich. Aber lustig ist doch wirklich was anderes. Angela Merkel, darf man ihr wünschen, feiert hoffentlich noch mal nach. Vielleicht mit der Familie in ihrem Wochenendhaus in der Uckermark, womöglich auch in ihrer Berliner Wohnung am Kupfergraben.
Sie könnte sich dann ein, zwei Bierchen köpfen und bei dieser Gelegenheit darüber nachsinnen, wohin sie „Vergangenheiten“ und „Zeithorizonte“ getragen haben, über die der kluge Professor Osterhammel am Abend ihres Geburtstags referiert hat. Und wie möglicherweise die Erfahrungen und Haltungen ihrer ersten fünfunddreißig Jahre DDR ihr heutiges Handeln noch immer prägen.
Kommunistisches Führungspotential
Denn schaut man sich an, wie Angela Merkel diese Partei führt, könnte man meinen, es handele sich bei dieser um eine Art Volkseigenen Betrieb, einen VEB. Und Dr. Merkel wäre die Betriebsdirektorin.
Das fängt schon beim Namen an. Volkseigen, also Volkes Eigen, waren diese Produktionsstätten ungefähr so, wie die CDU heute noch christlich ist. Im postideologischen Zeitalter ist Merkels einst konservative Partei immer weiter nach links gerückt. Kita-Ausbau, Homo-Ehe, Abschaffung des Wehrdienstes – das ist doch fast schon Kommunismus.
Und seit die CDU mit der SPD auch noch ein Regierungsbündnis eingegangen ist, ist nur noch für Eingeweihte und Politfreaks zu erkennen, wo genau die innen-, außen- und sozialpolitische Trennlinie zur Sozialdemokratie verläuft. Es macht die Sache wirklich nicht einfacher, dass die Sozis im Zustand der politischen Macht wieder mal vergessen haben, dass sie eigentlich als „linke“ Partei gelten möchten.
Zerfallsprozess kann abgefedert werden
Betriebsleiterin Merkel macht das aber nicht allzu viel aus. Sie sitzt jetzt seit vierzehn Jahren in ihrem Chefbüro, sie hat einiges erlebt. Jetzt wird sie sechzig – da ist ja klar, dass sie diesen Schreibtisch in absehbarer Zeit räumen wird. Einer ihrer Vorgänger, ein gewisser Dr. Helmut Kohl, hatte seine Vorsitzenden-Zeit auf 25 Jahre ausgedehnt. Und das, obwohl er von Hause aus Historiker ist. So viel Selbstüberschätzung liegt ihr fern. Als Physikerin weiß sie eine Menge über Teilchen und deren Halbwertszeiten.
Weil sie über Zerfallsprozesse ihre Doktorarbeit geschrieben hat, ist ihr klar, dass diese zwar nicht aufgehalten, aber immerhin abgefedert werden können. Deshalb hat sie schon vor Jahren alle Konkurrenzkollegen in die Provinz entsorgt oder als Kombinatsleiter in die Schwerindustrie weggelobt. Weil das aber auf die Dauer irgendwie unsympathisch und brutal wirkte, hat sie eine Neuererbewegung ausgerufen, wie früher in der DDR. Da tummeln sich nun all jene, die später vielleicht auch mal Betriebsdirektor werden möchten.
Die ermuntert sie, tüchtig Vorschläge zu machen. Wie die Abläufe im VEB CDU noch sparsamer und dennoch produktiver gestaltet werden könnten. Wie die Frauen und die Jugend gefördert werden können. So was. Einen von der Neuererbewegung hat sie gleich zum FDJ-Sekret… äh, Generalsekretär gemacht. Immer wenn der sich jetzt eine neue tolle Mitmach-Aktion für die Belegschaft überlegt hat, kriegt er einen Fototermin mit ihr und wird in der Betriebszeitung lobend erwähnt.
Lieber Schneckenhirn-Vortag statt Betriebsfeier
In regelmäßigen Abständen beraumt die Chefin auch was Unterhaltsames an. Muss ja sein. Eigentlich würde sie gern jedes Mal diesen Hirnforscher einladen, der zu ihrem Fünfzigsten einen superinteressanten Vortrag über Schneckenhirne gehalten hat. Aber danach war das Betriebsklima ungut abgeflaut. Deshalb gibt’s jetzt immer Ausflüge und Abteilungsfeiern. Und kurz vor Weihnachten wird einmal richtig auf den Pudding gehauen. Wenn alle strack sind, lässt sich die Chefin nach Hause fahren und guckt sich noch mal in Ruhe das Video mit dem Schneckenhirn-Vortrag an.
Natürlich gibt es auch Krisen. Gibt’s ja immer. Nach wie vor ist zum Beispiel unklar, was genau der VEB CDU produziert. Auch die Werksleiterin ist da nicht klüger als der Kollegenkreis. Zukunftsfähige Gesellschaftsentwürfe? Nun ja. Gerade erst haben Union und SPD beschlossen, das Rentenalter runterzusetzen und das Ganze dann von den Jungen zahlen zu lassen. Überzeugungen? Sorry, die werden schon lange nicht mehr hergestellt. Jeder in der Belegschaft weiß das. Natürlich auch die Chefin.
Das Verrückte ist: Der Laden läuft trotzdem. Er brummt regelrecht.
Das klappt, weil sie sich so ruhig verhält. Und so klug. Gerade ploppt so eine wirklich schmutzige Agentengeschichte auf. Ein eng befreundeter Staat hat in Dr. Merkels Betrieb Industriespionage betrieben. Die wissen jetzt alles – und sie hat nicht mal eine Werksfeuerwehr, um die in ihre Schranken zu weisen.
Aber sie weiß wie gesagt eine Menge über Zerfallsprozesse. Deshalb handhabt sie auch diese Krise wie früher in der DDR: Sie verweist auf die übergeordneten Organe. Die müssten erst mal ganz sorgfältig ihre Arbeit verrichten, sagt sie, deshalb kann sie da jetzt gar nichts dazu sagen. Und wenn in vier Jahren oder so der Bericht zu diesem Agentenquatsch vorliegt, weiß nicht mal mehr sie selbst, was damals eigentlich los war. Gelernt ist gelernt.
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