Angela Merkel bei Anne Will: Eine Ohrfeige für die CSU-Kleingeister

Die Kanzlerin zeigt, dass sie überzeugt ist, in der Flüchtlingspolitik das Richtige zu tun. Und präsentiert sich als leidenschaftliche Weltpolitikerin.

Anne Will steht lächelnd neben Angela Merkel, die mit ihren Händen eine Raute formt.

Die Haltung sitzt – präzise bis in die Fingerspitzen. Foto: dpa

BERLIN taz | Angela Merkel sagt in dieser einen Stunde bei Anne Will viele starke Sätze, aber dieser ist der stärkste. Er ist eine Selbstbeschreibung, aber auch eine Ohrfeige für die Kleingeister in der CSU und anderswo. „Man ist nicht Politiker, um die Welt zu beschreiben und katastrophal zu finden“, sagt Merkel. Und weiter: Ihre „verdammte Pflicht und Schuldigkeit“ sei nun mal, dieses Europa zu erhalten.

Diese Kanzlerin hat sich entschieden. Sie ist davon überzeugt, das Richtige zu tun. Und sie wird den Seehofers und Orbans dieser Welt nicht nachgeben. Diesen Eindruck wird man nicht los, wenn man Merkel da in Anne Wills Studio sitzen sieht, hellwach, präzise und streckenweise leidenschaftlich.

Manchmal machte die Polit-Talkshow Spaß. Die Kanzlerin verteidigte bei ihrem Soloauftritt ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik engagiert, sie lieferte fundierte Argumente, während die gut vorbereitete Moderatorin freundlich, klug und entschlossen nachfragte. Es war, so viel vorab, eine lehrreiche Stunde, egal ob man Merkels Argumente nun teilt oder nicht. Die Kanzlerin präsentierte sich als Weltpolitikerin. Hier stehe ich und kann nicht anders, das war ihre wichtigste Botschaft.

Die Idee, eine Obergrenze für Flüchtlinge einzuführen, wies Merkel einmal mehr scharf zurück. „Ich habe mir vorgenommen, in einer so ernsten Frage nichts zu versprechen, was nur drei Wochen hält.“ Damit spielte Merkel auf den wunden Punkt in der Argumentation der Obergrenzen-Befürworter ein. Selbst CSU-Chef Horst Seehofer, der nur 200.000 Menschen jährlich in Deutschland aufnehmen will, erklärt nämlich nicht, was mit dem 200.001 Syrer passiert, der in Bayern ankommt.

Merkel beschrieb die Lösung der Krise als Prozess, in dem es Dutzende kommunizierende Röhren gibt. Sie könne doch der Türkei nicht sagen, lasst die Flüchtlinge aus Syrien ins Land, dann aber betonen, Deutschland könne niemanden mehr nehmen. Stattdessen versprach Merkel: „Es wird eine Lösung geben, die nachhaltig ist – und für die wir uns nicht schämen müssen.“

„Humanitärer Imperativ“

Schämen – das ist ein emotionales Wort. Es fiel auf, dass die eher trockene Merkel mehrmals grundsätzlich wurde. Sie scheute sich nicht, moralisch zu argumentieren. So nannte sie zum Beispiel ihre Entscheidung, Flüchtlinge aus Ungarn im September 2015 einreisen zu lassen, einen „humanitären Imperativ“.

Wie ihre Lieblingslösung aussehen soll, haben Merkel und ihre Getreuen in der CDU in den vergangenen Monaten wie ein Mantra wiederholt. Die EU soll ihre Außengrenzen besser sichern und so die Flüchtlingszahlen kontrollieren. Schlepper sollen bekämpft werden. Vor allem aber setzt Merkel auf komplizierte Außenpolitik. Sie will die Lage in Syrien und in Nachbarstaaten wie dem Libanon so verbessern, dass sich die Menschen erst gar nicht auf die gefährliche Reise nach Europa machen.

Außerdem wird die Türkei, ein wichtiges Transitland, hofiert. Präsident Erdogan bekommt EU-Milliarden, um Flüchtlinge besser zu versorgen. Im Gegenzug sollen EU-Staaten den Türken Flüchtlingskontingente abnehmen. Diesen Plan stützen auch andere EU-Staatschefs, zumindest vordergründig. Aber faktisch steht Merkel inzwischen fast alleine da. Vergangene Woche hatten Österreich und mehrere Balkanstaaten beschlossen, die Grenze zwischen Mazedonien und Griechenland abzuriegeln. In Griechenland, wo weiter tausende Flüchtlinge über die Ägäis ankommen, herrscht seitdem Chaos.

Merkel vermied im Fernsehstudio offene Kritik an ihren Möchtegern-Partnern, ließ aber keinen Zweifel an ihrer Meinung. Wenn einer seine Grenzen schließe, müsse der andere leiden, sagte sie. In der europäischen Finanzkrise hätten alle Staaten Griechenland im Euro gehalten. „Wir können doch jetzt nicht die Griechen einfach im Stich lassen.“ Merkel hob bei diesen Sätzen die Stimme, sie schien ehrlich entsetzt über die Abschottung der Österreich-Gruppe zu sein. Die Journalistin fragte, ob es einen Plan B im Kanzleramt gebe. „Nein, ich hab ihn nicht. Ich arbeite für einen anderen.“

Aus einem besonderes Holz

Wie sehr Merkel damit denen aus dem Herzen sprach, die früher ihre Gegner waren, ließ sich auf Twitter beobachten. Mehrere Grünen-Politiker lobten während der Sendung Merkels Performance. Die Kanzlerin sei „tatsächlich aus einem ganz besonderen Holz geschnitzt – aus einem guten und europäischen“, twitterte zum Beispiel der Innenpolitiker Konstantin von Notz.

Natürlich durfte ein kurzer Ritt durch die Innenpolitik nicht fehlen. Die Anne-Will-Redaktion zeigte den Film aus Clausnitz in Sachsen. Ein Bus in der Nacht, davor grölende, hasserfüllte Männer, darin weinende Flüchtlingskinder. „Abstoßend und schrecklich“ sei das, fand Merkel. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Der Satz gilt für jeden, der sich in unserem Land aufhält.“ Das sind Selbstverständlichkeiten, aber man ist ja inzwischen schon dankbar, dass es wenigstens noch eine Kanzlerin gibt, die sie ausspricht.

Den Vorstoß von SPD-Chef Sigmar Gabriel, der jüngst mehr Sozialprogramme und Investitionen für die deutsche Bevölkerung forderte, bügelte sie mit einem vergifteten Lob ab. „Die SPD und ihr Vorsitzender machen sich damit klein.“ Schließlich habe man in der ganzen Legislaturperiode viel getan, sagte Merkel. Um dann munter aufzuzählen: Mütterrente, Rente mit 63, mehr Kindergeld, Gehaltssteigerungen in Betrieben.

Sie habe noch nie so viel über ein Thema nachgedacht wie über die Flüchtlinge, sagte Merkel am Ende der Sendung. Die Finanz- und Eurokrise seien anders gewesen, weil jetzt ja Menschen zu uns kämen. Als Anne will fragte, ob die Krise die größte ihrer Kanzlerschaft sei, antwortet die Kanzlerin: „Bislang würde ich sagen: ja.“ Dann schob sie einen Merkel-typischen Satz nach. „Man weiß ja nicht, was noch kommt.“

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