Anerkennung Palästinas als Staat: Netanjahu der Spartaner
Für Israels Premier kommt ein Palästinenserstaat nicht infrage. Doch eine Annexion des Westjordanlandes hätte massive außenpolitische Folgen.

Auch sonst ist von palästinensischer Staatlichkeit im Westjordanland wenig sichtbar. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) kann ihre eigenen Sicherheitskräfte nur in von ihr verwalteten Enklaven wie Ramallah einsetzen, die nur rund 20 Prozent des gesamten Gebietes ausmachen. Dazwischen prägen israelische Checkpoints und Siedlungen das Geschehen. Das Staatsgebiet wird über weite Strecken von der acht Meter hohen Trennmauer beschnitten, die Israel oft weit jenseits der „Grünen Linie“ errichtet hat, seit 1967 die potenzielle Grenze zu Palästina.
Jüngst kündigte der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich den jahrelang unter internationalem Druck verhinderten Bau eines E1-Siedlungsblocks neben Jerusalem an, der das Gebiet in einen Nord- und einen Südteil trennen würde. Die Worte des Ministers lassen keinen Zweifel an der Motivation hinter dieser Maßnahme: „Wir beerdigen die Idee eines palästinensischen Staates.“
Dass nunmehr 157 von 193 UN-Mitgliedsstaaten einen Staat Palästina dennoch anerkennen, den laut Umfragen rund vier von fünf Israelis ablehnen, befeuert die ohnehin wachsende Sorge unter Israels Bevölkerung vor einer internationalen Isolation des Landes – und ihren Folgen.
Zuvor war die Anerkennung Palästinas oft als Symbolpolitik ohne Konsequenzen abgetan worden, nun aber gibt es Empörung aus beinahe allen politischen Lagern in Israel. Wortgleich sprachen Politiker der rechtsextremen Siedlerparteien bis hin zur Opposition von einer Belohnung für den Terror der Hamas am 7. Oktober 2023. Premier Benjamin Netanjahu hat vor seinem Abflug zu einem Treffen mit US-Präsident Donald Trump am Donnerstag nochmals deutlich gemacht: „Es wird keinen palästinensischen Staat geben.“
Netanjahus Regierungsmaschine nahm auf dem Weg nach New York einen Zickzack-Kurs übers Mittelmeer. Damit sollte israelischen Medien zufolge eine Festnahme aufgrund eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen ausgeschlossen werden.
In Jaffa gehen die Meinungen weit auseinander
Im von jüdischen wie palästinensischen Israelis bewohnten Jaffa im Süden Tel Avivs gehen die Meinungen zur Anerkennung Palästinas weit auseinander. Der Palästinenser Wasim sagt bei einem Kaffee: „Es ist der richtige Schritt, doch er kommt zu spät und reicht nicht“. Wasim arbeitet bei einer internationalen Organisation, seinen Nachnamen möchte er nicht veröffentlicht wissen. Der Krieg im Gazastreifen sei zu einem Völkermord mutiert, sagt er, und ohne echten Druck von außen gebe es noch nicht mal ein Anzeichen, dass die israelische Führung ihren Kurs ändern werde. Es brauche Sanktionen, die man in Israel spürt.
Anders sieht das Dan, der seinen Nachnamen auch nicht gedruckt sehen möchte. „Wir haben ein göttliches Recht auf das gesamte Land zwischen dem Fluss und dem Meer“, sagt der 31-Jährige. Er selbst ist im US-Bundesstaat Washington aufgewachsen und erst vergangenes Jahr nach Tel Aviv gezogen. Die Palästinenser könnten bleiben, sagt Dan, allerdings ohne Bürgerrechte und nur, solange sie sich friedlich verhielten.
Dan wählt in den USA Donald Trump, in Israel würde er seine Stimme den regierenden religiösen Nationalisten geben. Politische Lösungen hält er für zweitrangig. Das sehen viele Israelis über die politischen Lager hinweg ähnlich, wenngleich aus sehr unterschiedlichen Gründen: Umfragen zufolge ist die Unterstützung für einen palästinensischen Staat unter jüdischen Israelis mit 20 Prozent und weniger auf einen historischen Tiefstand gesunken.
Israel setzt Normalisierung mit arabischen Nachbarn aufs Spiel
Israels Führung aber könnte weniger Spielraum haben, als Netanjahu und seine Minister gerne glauben machen. Eine Annexion des Westjordanlandes haben arabische Staaten wie die Emirate und Saudi-Arabien bereits zur „roten Linie“ erklärt. Auch mit Teilannexionen könnte Israel die Normalisierung mit den arabischen Nachbarn durch die Abraham-Abkommen aufs Spiel setzen. Diese gelten als einer der größten außenpolitischen Erfolge von US-Präsident Donald Trump, des wichtigsten Verbündeten Israels. Der israelische Außenminister Gideon Saar sprach kürzlich davon, dass die Ausdehnung israelischen Rechts auf die jüdischen Siedlungen im Westjordanland diskutiert werde.
Bilaterale Reaktionen auf die Anerkennung Palästinas, wie etwa der Abzug von Botschafter:innen, könnte aufgrund der Beteiligung europäischer Staaten wie Großbritannien und Frankreich letztlich eher Israel selbst schaden und den Weg in die Isolation weiter beschleunigen.
Das weiß auch Netanjahu, der Israels Situation vergangene Woche mit der des antiken Sparta verglich, einer autarken und extrem militarisierten Gesellschaft. Viele Israelis zeigten sich aber ganz und gar nicht einverstanden damit, dass der Premier eine solche Parallele zieht. Ben Caspit, Kolumnist der israelischen Zeitung Maariv wies zudem auf die zentrale Schwachstelle von Netanjahus Vergleich hin: „Das Problem ist, dass Sparta unterging.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert