Analyst über Iran und die Münchner Sicherheitskonferenz: „Streiks könnten das Regime brechen“
Eine Exil-Koalition trägt den Ruf nach Regimesturz ins Ausland. In Iran dürfte es sehr bald schon neue Proteste geben, sagt der Politologe Ali Fathollah-Nejad.
taz: Herr Fathollah-Nejad, in Washington ist es letzte Woche zu einem ersten Treffen von prominenten iranischen Oppositionellen gekommen. Zwei der dort Vertretenen sind an diesem Wochenende auch zur Münchner Sicherheitskonferenz eingeladen. Was tut sich da?
Ali Fathollah-Nejad: Es bildet sich eine Art iranische Auslandskoalition, bestehend aus den vielleicht prominentesten Oppositionsvertretern in der Diaspora, darunter die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, der ehemalige Kronprinz Reza Pahlavi und die Frauenrechtlerin Masih Alinejad. Innerhalb Irans hatte es einen Ruf danach gegeben. Die Teheraner Jugendorganisation, die Teil der landesweiten oppositionellen Nachbarschafts-Jugend-Allianz ist, hatte gefordert, dass sich die Auslandsopposition vereint.
41, ist Politologe mit Schwerpunkt Iran. Er ist Autor der Studie The Islamic Republic of Iran Four Decades On: The 2017/18 Protests Amid a Triple Crisis (2020), wo er bereits vom Beginn eines langfristigen revolutionären Prozesses in Iran sprach. Er lebt in Berlin.
Wozu braucht es eine Koalition im Ausland?
Diese Koalition kann den Ruf nach einem Regimewechsel in Iran nach außen tragen, vor allem an die westliche Staatengemeinschaft. Dass Pahlavi und Alinejad nun zur Münchner Sicherheitskonferenz eingeladen wurden und somit zum ersten Mal keine Vertreter der Islamischen Republik Iran anwesend sein werden, bedeutet zumindest, dass man oppositionellen Stimmen vermehrt Gehör schenkt.
Aber warum spricht ausgerechnet der ehemalige Kronprinz, also der Sohn des früheren Schahs, eines Diktators, auf der Sicherheitskonferenz?
Natürlich war Reza Pahlavis Vater ein Diktator. Die Revolution von 1979 war die Folge von Unzufriedenheit mit einer Diktatur. Aber im Anschluss wurde eine noch brutalere Diktatur errichtet. In Teilen der iranischen Bevölkerung gibt es nach vier Jahrzehnten realexistierenden Islamismus’ eine gewisse Nostalgie für das, was vor der Revolution war, vor allem für die soziokulturellen Freiheiten. Übrigens gab es bei den Straßenprotesten der letzten Jahre immer wieder auch Slogans zugunsten nicht seines Vaters, sondern seines Großvaters Reza Schah (von 1925 bis 1941 Schah von Persien bzw. Iran, d.Red.). Das war einer, der – ähnlich wie Atatürk – eine autokratische Modernisierung vorangetrieben und den Einfluss des schiitischen Klerus reduziert hat.
Reza Pahlavi, 62 Jahre alt, lebt in den USA im Exil. Was halten Sie von ihm?
Nicht von allen, aber von vielen iranischen Oppositionellen wird er als Teil der demokratischen Opposition wahrgenommen. Was jedoch fehlt, ist eine Distanzierung von seinem Vater und der Diktatur. Aber man darf sich nicht zu sehr auf Reza Pahlavi fokussieren, die ganze iranische Exil-Opposition ist nur ein Nebenschauplatz.
Was ist der Hauptschauplatz? Die Straßenproteste innerhalb Irans scheinen ja weitgehend vorbei zu sein.
Seit Januar gibt es kaum mehr Straßenproteste. Das ist zum einen der Repression geschuldet, zum anderen den Wintermonaten. Aber wir müssen wegkommen von der Vorstellung einer schnellen Revolution. Die Debatten in Deutschland erinnern mich an die Debatten über den Arabischen Frühling. Erst kam der Frühling, dann der Winter und die Sache war vorbei. Das ist eine sehr oberflächliche Betrachtung. Auch beim Arabischen Frühling gab es ja eine zweite Welle 2018/19. Genauso falsch ist es, zu denken, dass der „iranische Frühling“ nunmehr in einem Winter verendet ist. Aufgrund von eklatanten sozioökonomischen und politischen Missständen befindet sich Iran meines Erachtens in einem langfristigen revolutionären Prozess. Es gibt Phasen des Aufruhrs und der Ruhe. Phasen der Ruhe können somit nicht gleichgesetzt werden mit einem Scheitern.
Wann hat dieser Prozess begonnen?
Ein neues Kapitel wurde aufgeschlagen, als zur Jahreswende 2018 und dann im November 2019 zum ersten Mal auch die unteren Schichten auf die Straße gingen, die als soziale Basis des Regimes galten. Sie skandierten Slogans gegen alle Komponenten des Regimes, sowohl gegen die klerikale als auch die militärische, und zum ersten Mal auch gegen beide Fraktionen des politischen Establishments, gegen die Hardliner und die Reformer. Heute ist das politische Bewusstsein der unteren Schichten sehr ausgeprägt.
Was war das qualitativ Neue an den Protesten, die letzten September begannen?
Das Schichtenübergreifende. In den letzten zehn Jahren ist die iranische Mittelschicht enorm verarmt, die noch 2009 die Grüne Bewegung mit den seitdem begrabenen Hoffnungen auf eine Reform innerhalb des Systems vorantrieb. So gingen ein Jahrzehnt später, also 2019, nicht nur Angehörige der Unterschicht auf die Straßen, sondern auch die sogenannten middle class poor. Das sind Leute, die sozioökonomisch verarmen, obwohl sie Mittelstandsqualifikationen wie Uniabschlüsse und entsprechende Erwartungen an soziale Mobilität haben. Die Islamische Republik hat keine Antworten auf die grundlegenden Belange sehr weiter Bevölkerungsgruppen. Das Schichtenübergreifende ist der Grund dafür, dass das Regime diesen revolutionären Aufstand als veritable Gefahr ansieht.
Letztendlich geht es also um die Wirtschaft?
Nein, aufgrund der Monopolisierung politischer und ökonomischer Macht durch dieselbe Elite kann man in Iran beides nicht voneinander trennen. An vorderster Front haben diesmal vier Gruppen protestiert: Frauen, die Jugend, Studierende und marginalisierte Ethnien. Alle vereint eine disproportionale Arbeitslosenrate nebst anderen politischen und soziokulturellen Formen von Diskriminierung. Und die sozioökonomischen Indikatoren verschlechtern sich tendenziell. Die wirtschaftliche Situation ist katastrophal. Wir haben einen beispiellosen Währungsverfall, eine Inflationsrate von über 50 Prozent, und dennoch investiert der Staat seine Ressourcen in den Repressions- und Propagandaapparat statt in die Reduzierung der Missstände. Daher gehe ich davon aus, dass es zu einer Wiederaufnahme von Straßenprotesten kommt. Ihre Frequenz nimmt zu, die Proteste finden also in immer kleineren Abständen statt, während die politischen Forderungen radikaler werden. Die Folge ist in meinen Augen eine irreversible Kluft zwischen Staat und Gesellschaft.
Ein niederländisches Forschungsinstitut hat im Februar eine Studie veröffentlicht, der zufolge 81 Prozent der Iraner*innen die Islamische Republik ablehnen. Halten Sie das für realistisch?
Die Zahl ist nicht überraschend. Schon vor fünf Jahren hat der in Iran bekannte Politikprofessor und regimeloyale Kritiker Sadegh Zibakalam dies ähnlich eingeschätzt. Ich beziffere schon seit geraumer Zeit die soziale Basis der Islamischen Republik auf nur 15 Prozent. Es gibt eine große Bandbreite an sozialen Gruppen, die verstehen, dass ihre Belange mit dem Fortbestehen des Systems nicht befriedigt werden. Deshalb ist die Stoßrichtung eine revolutionäre. Bei den Iranern im In- und Ausland hat es einen Paradigmenwechsel gegeben, die Überzeugung, dass das System der Islamischen Republik nicht reformierbar ist, nicht zuletzt, weil die Reformer als potenzielle Akteure des Wandels jegliche Legitimität eingebüßt haben und somit weggefallen sind. Das sind ebenjene Reformer, die wir nichtsdestotrotz in unserer Außenpolitik als Hoffnungsträger hochgehalten haben.
Was fehlt dann noch, damit das Regime stürzt?
Damit der revolutionäre Prozess in die nächste Phase eintritt, bedarf es einer quantitativen und qualitativen Expansion. Noch mehr Menschen müssen an Straßenprotesten teilnehmen und es braucht stetige Arbeitsniederlegungen. Das Problem ist, dass der Arbeiterschaft aufgrund ihrer desolaten Lage eigentlich die ökonomischen Ressourcen fehlen, um längere Streikperioden auszuhalten. Aber Streiks in wichtigen Sektoren der Wirtschaft, im Erdgas- und Erdölsektor und der petrochemischen Industrie, könnten das Rückgrat des Regimes brechen. Und zuletzt bedarf es Rissen innerhalb der Machtelite, die wir bislang nur ansatzweise beobachten können, die sich aber vertiefen können, wenn beispielsweise der Westen eine robustere Iranpolitik verfolgt.
Was wäre eine robustere Iranpolitik?
Eine Terrorlistung der iranischen Revolutionsgarden auf EU-Ebene zum Beispiel würde dem Machtapparat signalisieren, dass von außen ein anderer Wind weht, dass der Kuschelkurs der letzten Jahre in der europäischen und deutschen Iranpolitik vorbei ist. Es wäre ein Signal, dass das derzeitige System keine Zukunft hat, was wiederum Abspaltungstendenzen innerhalb des Machtapparats begünstigen würde. Der Protestbewegung würde es inmitten der Pattsituation mit dem Regime neues Leben einhauchen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“