Ira­ne­r*in­nen im Exil: Das Ringen um Einheit

Der Wunsch nach einem Ende der Islamischen Republik in Iran ist auch unter Oppositionellen im Exil groß. Doch ein Bündnis gibt es bislang nicht.

Masih Alinejad steht auf einer Straßenkruezung in New York und macht das Victory Zeichen

Masih Alinejad in New York im September: Die Aktivistin ist gut vernetzt im Ausland – was ihr auch Kritik einbringt Foto: Stefan Falke/laif

Eigentlich war es nur ein Tweet zum Jahreswechsel: „2022 war ein glorreiches Jahr der Solidarität für Ira­ne­r*in­nen aller Glaubensrichtungen, Sprachen und Orientierungen“, hieß es im Text, den etliche prominente iranische Oppositionelle fast zur selben Zeit posteten. „Mit Organisierung und Solidarität wird 2023 das Jahr des Sieges, der Freiheit und Gerechtigkeit.“

Schnell wurde die Aktion als Ankündigung einer iranischen Exilkoalition verstanden, denn unter den Beteiligten waren gleich mehrere bekannte Oppositionelle aus der Diaspora. Doch es dauerte nicht lange, da folgten die Dementi: „Weder vor noch nach dem Tweet hatten wir ein gemeinsames Treffen“, erklärte der in Kanada lebende Aktivist Hamed Esmailion in einem Interview. Es handele sich nicht um die Bildung einer Koalition.

Die Debatte über ein Bündnis der Exilopposition, das die Freiheitsbewegung in Iran unterstützen soll, ist nicht neu. In den sozialen Medien wird seit Beginn der Proteste vor mehr als vier Monaten kontrovers diskutiert, was es leisten könnte und wäre und wer wichtige Rollen übernehmen könnte. Drei Personen werden oft genannt, sie repräsentieren unterschiedliche politische und soziale Gruppen.

Eine von ihnen ist die Aktivistin Masih Alinejad, eine laute Stimme aus den USA. Viele erwarten, dass sie die Koordination der Opposition übernimmt. Die Journalistin und Frauenrechtsaktivistin wurde vor allem durch ihr Engagement gegen die Zwangsverschleierung in Iran bekannt. Außerdem gilt sie als bedeutende Figur für die Hinterbliebenen des sogenannten Blutigen Novembers 2019.

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Auch damals schon ging das Regime brutal gegen Proteste vor, die sich gegen hohe Benzinpreise richteten. Alinejad selbst sagte in einem Interview mit Iran International, einem oppositionsnahen TV-Sender aus London, sie wolle die Revolution organisatorisch begleiten.

Kritik an Alinejad kommt unter anderem von linken Ak­ti­vis­t*in­nen und Re­for­mis­t*in­nen aus dem Iran. Sie stören sich an ihrer Nähe zum Westen und den USA. Alinejad ist im Ausland bestens vernetzt, sie trifft sich immer wieder mit einflussreichen Po­li­ti­ke­r*in­nen und fordert sie auf, den Iran stärker unter Druck zu setzen.

Ein Demonstrant steht in der Menge mit einer iranischen Flagge um die Schultern und einem großen Porträt von Reza Pahlavi

Protestaktion gegen das Regime in Iran in London Anfang Oktober 2022 Foto: Vuk Valcic/imago

Ein zweiter Name, der häufig fällt, ist Reza Pahlavi. Der 62-Jährige ist der älteste Sohn des letzten iranischen Schahs, also einstiger Kronprinz. Nach dem Sturz der Pahlavi-Dynastie im Zuge der Revolution von 1979 wurden viele Mon­ar­chis­t*in­nen vertrieben. Heute sehen vor allem die Mitglieder des 2018 im Exil gegründeten Netzwerks Faraschgard („Wiederbelebung“), die sich als neue Pahl­avis­t*in­nen verstehen, in ihm eine Alternative zur Islamischen Republik.

Wegen seiner Prominenz bekommt Pahlavi viel mediale Aufmerksamkeit. Doch für Feminist*innen, die bei den aktuellen Protesten eine zentrale Rolle spielen, sind die Rufe nach einer Rückkehr der Dynastie Ausdruck des Patriarchats.

Äußerst kritisch gesehen wird Pahlavi auch bei Angehörigen von Irans ethnischen Minderheiten – Kurd*innen, Be­lut­sch*in­nen und anderen. Immer wieder bringt er sie mit „Separatismus“ in Verbindung, obwohl in den von ethnischen Minderheiten dominierten Regionen bei den aktuellen Protesten kaum Unabhängigkeitsparolen zu vernehmen sind. Die Parole „Weder Monarchie noch Führerschaft! Demokratie! Gerechtigkeit!“ wird seit Wochen in der Provinz Sistan und Belutschistan gerufen.

„Reza Pahlavi ist mein Anwalt“ heißt eine Kampagne, die seine An­hän­ge­r*in­nen in den vergangenen Tagen gestartet haben. Unterstützt wird sie von dem Fernsehsender Manoto TV, der in London sitzt und die einstige Herrscherdynastie der Pahlavis (1925–1979) als beste Zeit des Irans zelebriert.

Dort machte er am Montag in einem Interview Irans ethnischen Minderheiten – ohne Namen zu nennen – erneut den Vorwurf des Separatismus und betonte, die territoriale Integrität des Landes stehe nicht zur Debatte. Mit Se­pa­ra­tis­t*in­nen werde er keine Koalition bilden.

Widerspruch kam prompt: Abdollah Mohtadi, Vorsitzender der kurdisch-iranischen Partei Komala, die ihren Hauptsitz im Nachbarland Irak hat, beschuldigte Pahlavi, ebenfalls ohne ihn beim Namen zu nennen, Angst vor Separatismus zu schüren und die eigentliche Botschaft der Revolution, also Einheit, zu ignorieren.

Vor allem die iranisch-kurdischen Kräfte stellen sich tendenziell gegen zentralistische Staatsformen und iranischen Nationalismus. Weil das Land mit seinen fast 90 Millionen Ein­woh­ne­r*in­nen ein Vielvölkerstaat ist und die sogenannten ethnischen Minderheiten zusammen die Bevölkerungsmehrheit stellen, hat deren Stimme Gewicht, vor allem in der aktuellen Aufstandsbewegung.

Die Proteste hatten in den kurdischen Gebieten im Nordwesten Irans begonnen, wo auch die Heimatstadt der Kurdin Jina Mahsa Aminis liegt, deren mutmaßliche Tötung in Polizeigewahrsam die Proteste im September entfachte. Auch in der Provinz Sistan und Belutschistan im Südosten kam es zu zahlreichen Protesten.

Anders als Reza Pahlavi ist Masih Alinejad bei vielen Kur­d*in­nen mittlerweile beliebt. Seit Beginn der Proteste betont sie deren zentrale Rolle in der Freiheitsbewegung: „Wir müssen zugeben, dass es Kurdistan war, das hinter den Frauen stand“, sagte sie bereits im September in einem TV-Interview auf Iran International. In einer Diskussion mit dem Vorsitzenden der Komala, Abdulla Mohtadi, betonte Alinejad Anfang Januar erneut die Rolle der kurdischen Gebiete im Kampf für einen freien Iran.

Ein dritter Name, der oft fällt, ist Hamed Esmailion. Der in Kanada lebende Zahnarzt ist der bekannteste Vertreter der Hinterbliebenen der Opfer des Absturzes der ukrainischen Passagiermaschine PS 752, die im Januar 2020 in Teheran von den Revolutionsgarden mit Raketen abgeschossen wurde.

Esmailion gründete die Initiative „Vereinigung der Familien der Opfer von Flug PS 752“, die sich für die Aufarbeitung des Vorfalls und für Gerechtigkeit einsetzt. Im vergangenen Oktober hatte Esmailion zudem zu einer Großdemonstration von Ira­ne­r*in­nen in Berlin aufgerufen. Rund 80.000 Menschen folgten seinem Ruf.

Wie Alinejad solidarisiert sich auch Esmailion mit den Kur­d*in­nen. Einen Tweet, den er am Montag auf Kurdisch an den Vater eines bei Protesten getöteten jungen Mannes richtete, beendete er mit den Worten: „Es lebe Kurdistan, es lebe der Iran.“

Eine Führungsrolle in der Opposition schlägt Esmailion aber bislang aus: Er selbst sei zwar ein politischer Mensch. Die von ihm gegründete Opferinitiative sei aber keine politische Organisation, sagte er in einem Interview mit dem persischen Dienst der BBC.

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