Alle Tassen im Schrank: Heraus zum Ersten Merz
Merz’ „Tassen-im-Schrank“-Politik ist der Aufreger online. Nun werden Tassen für den kommenden Kanzler gesammelt. Wo kommt eigentlich der Spruch her?
Kurz gesagt: Es geht um die letzte Wahlkampfrede des CDU-Spitzenkandidaten. Am Samstag vor der Wahl hatte er im Münchner Löwenbräukeller ordentlich vom Leder gezogen und versprochen, dass er keine Politik für linke und grüne Spinner machen würde, sondern nur für die Bürger, die noch alle Tassen im Schrank haben. Und obwohl sich im Löwenbräukeller doch eigentlich alles um maßlos überfüllte Gläser dreht, geht der Tassen-Vergleich kurz vor dem 1. Merz steil.
Die taz stellte nicht nur auf ihrer Titelseite vom Donnerstag die ganz kleine Anfrage an Merz: „Noch alle Tassen im Schrank?“.
Sie hat das auch gleich mal recherchiert. Und siehe da, offenbar fehlen in der CDU-Zentrale tatsächlich einige Tassen. Der Beweis: Mindestens eine hat sich sogar auf unergründlichen Wegen in eine Kaffeeküche der taz verirrt. Muss man sich also Sorgen machen, dass Deutschland demnächst von einem Herrn mit Trinkgefäßen in nicht ausreichender Zahl regiert wird?
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Hat Merz noch alle Tassen im Schrank?

Eine taz-Recherche.
Zum Glück gibt es engagierte Bürgerinnen wie Silke Burmester. Die Mitgründerin des Magazins Palais-Fluxx und gelegentliche taz-Autorin hatte erst kürzlich etwas Aufsehen verursacht, als sie der Ex-Kanzlerin Angela Merkel bei einer Signierstunde die taz-Titel-Seite „Oma gegen rechts“ vorlegte – was die mit einem Lächeln und einem schwungvollen Autogramm quittierte.
Jetzt widmet sich Burmester Merkels potenziellem Nachnachfolger. Weil Merz, „dieser moderne Menschenversteher“, nur Politik für Bürger mit Tassen im Schrank machen wolle, rief sie auf Instagram unter dem Hashtag #MeineTasseFuerMerz dazu auf, Gefäße für den mutmaßlich selbst tassenlosen Politiker zu sammeln.
Bereits am Mittwoch reiste sie zum Konrad-Adenauer-Haus in Berlin, um dort alle in ihrer Heimatstadt Hamburg gesammelten Tassen persönlich abzugeben. Mit Erfolg! Denn dort seien bereits „einige hundert Tassen angekommen“, berichtet Burmester anschließend.
Denn Burmester ist nicht allein. Auch unter dem Hashtag #AlleTassenImSchrank wird auf den entscheidenden Social-Media-Kanälen zur Sammlung für Merzens Schrank aufgerufen.
Der Ursprung der Redewendung liegt im Dunkeln
Bleibt noch die Frage, woher dieser Spruch mit den Tassen eigentlich kommt. In den Klassikern, wie dem Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm oder gar im 1801 verfassten „Grammatisch-kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart“ von ihrem Vorgänger Johann Adelung, ist die Redewendung nicht zu finden. Sie muss folglich deutlich jüngeren Datums sein.
Immerhin liest man bei Adelung sehr kenntnisreich, dass das deutsche Wort Tasse kleine Schalen bezeichne, „woraus man Thee oder Kaffee zu trinken pflege“. Und dass das Wort „zusammen mit der Sache selbst aus Frankreich zu uns gebracht worden“ sei. Ursprünglich scheine der Begriff aber „aus dem Morgenland herzustammen“.
Hat also Merz ganz subtil zu erkennen gegeben, dass er doch für mehr Migration offen sei?
Dieser Interpretation widerspricht aber die häufig vertretene These, dass es bei den vermissten Tassen im Schrank gar nicht um die Dinger gehe, die wir zum Genuss heißer Getränke einsetzen. Vielmehr handele es sich um eine missverstandene Entlehnung aus dem Jiddischen. Denn dort gebe es den Begriff „toshia“, und der bedeute Verstand. „Und weil Leute, die kein Jiddisch verstanden haben, statt Toshia vermutlich Tassen verstanden haben und Tassen nun mal in einem Schrank stehen, hat sich halt so eine Redensart entwickelt“, heißt es zum Beispiel in einem Onlineforum, aber auch beim redensarten-index.
Allerdings hat schon vor vielen Jahren die Jüdische Allgemeine darauf hingewiesen, dass das Wort „toschia“ in keinem Jiddisch-Wörterbuch belegt sei. Infrage käme allenfalls das Wort „tushiya“ für Umsicht, wie es im Buch der Sprüche 2,7 und 3,21 auftaucht – das aber sei hebräisch und nicht jiddisch.
Bleibt die letzte Interpretation des Spruchs. Demnach ging es ursprünglich um die Beschreibung verlorenen Wohlstands. Denn wer viel Porzellan vorweisen konnte, galt als reich. Wer hingegen nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte, als arm. Das dürfte zumindest dem Weltbild von Friedrich Merz entsprechen, der sich ja einst selbst als Millionär dem Mittelstand zugeordnet hat.
So oder so. Wenn der Sauerländer Schlacks also tatsächlich demnächst ins Kanzleramt ziehen sollte, kann er sich dort wie der Elefant im Porzellanladen auslassen. Genügend Tassen wären Dank der Online-Aufregung zumindest vorhanden.
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