Akzeptanz von trans Personen in Mexiko: Tradition, Romantisierung und Hass
Muxes, indigene trans Frauen, gelten in Oaxaca als gesellschaftlich akzeptiertes „drittes Geschlecht“. Doch paradiesisch ist ihre Situation nicht.
F röhliche Partys, bunte Umzüge, aufwändig geschminkte Gesichter und farbenfroh bestickte Blusen: Muxes, Musches gesprochen, liefern zweifellos den Stoff für gute Fotoshootings und Reportagen. Wohl deshalb sind die indigenen trans Frauen aus dem Isthmus von Tehuantepec in aller Welt bekannt. Die biologisch als Männer Geborenen aus dem südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca gelten gesellschaftlich akzeptiert als „drittes Geschlecht“. So jedenfalls die Legende. Zugleich übernehmen sie alte Frauenrollen: Sie kümmern sich um den kranken Vater, kochen und nähen.
Seit wann die „Muxiedad“ – das Muxentum – als zapotekische Tradition existiert, ist umstritten. Außer Zweifel steht jedoch, dass die trans Frauen seit Langem Fotograf*innen und Reporter*innen anziehen. Auf der Plattform „Humboldt“ des Goethe-Instituts beschäftigt sich der Performer Lukas Avendaño mit den Herausforderungen des Muxe-Daseins und bebildert seinen Text mit perfekt inszenierten erotisch anmutenden Fotos. Das Modemagazin Vogue widmete der Muxe Estrella Vásquez ihre Titelseite, für den NDR ging Sara Nuru nach Juchitán, um die „Stadt der drei Geschlechter“ entlang von Vásquez zu porträtieren.
Vásquez hat es mittlerweile noch weiter gebracht: Vor wenigen Wochen wurde sie wegen der zapotekischen Kleidung, die sie für den Film Finlandia von Horacio Alcalá entwarf, für Mexikos wichtigsten Filmpreis Ariel nominiert.
Nuru zeigt in farbintensiven Bildern, wie sie, nah bei ihrer Mutter, Blumenornamente stickt und sich auf dem quirligen Markt ihrer Heimatstadt bewegt. Beinahe so, als ob die Region tatsächlich ein „Paradies für Muxe“ sei, wie sie oft genannt wird. Beinahe, denn Nuru lässt Vásquez immerhin ein wenig Raum, um über ihre Diskriminierung zu sprechen.
Traumatische Kindheit, stigmatisiert, verarmt
Redet man mit Joseline Sosa oder Deysi Lobo, zwei in der Region aufgewachsene trans Frauen, bleibt rein gar nichts von Blumen-Schnickschnack und familiärer Eintracht. Beide haben eine traumatische Kindheit hinter sich, arbeiteten wie viele trans Personen im Isthmus von Tehuantepec als Prostituierte und sind heute HIV-positiv. Stigmatisiert werden dafür nicht die männlichen Freier, sondern sie. „Das ist kein Paradies, wir leben in der Hölle“, sagt Joseline und erinnert daran, dass erst vergangenes Jahr in der Region der LGBTQ-Aktivist Edgardo Santiago López ermordet wurde.
Die 37-jährige Deysi begann mit 13 Jahren, in Bordellen zu arbeiten. Nachdem ihr HIV attestiert wurde, änderte sie ihr Leben. Heute lebt sie mit ihrem Partner in einer ärmlichen Hütte am Rande der Kleinstadt San Blas Atempa und bestreitet ihren Unterhalt mehr schlecht als recht durch Mango-Ernten und andere Jobs.
Koko Lozada, Transaktivistin, lächelt zynisch, wenn jemand versucht, die Verhältnisse zu beschönigen. „Wenn du in weiblicher Aufmachungen auf die Straße gehst, macht man sich über dich lustig, du kannst geschlagen werden“, erzählt sie. Koko ist überzeugt, dass sich das Muxe-Konzept überleben wird: „Was ihre sexuelle Orientierung betrifft, haben junge Leute mittlerweile ganz andere Visionen.“ Jenseits von klassischen Frauenrollen, bestickten Kleidern und traditionellen Festen.
Ob sich Muxiedad und LGBTQ-Kulturen bald mischen?
Vielleicht amalgamiert die Muxiedad tatsächlich langsam mit anderen LGBTQ-Kulturen und modernisiert sich. Performer Avendaño, der zu dieser Hybridisierung arbeitet, stellt das Muxentum wertfrei in Kontrast zur sonst existierenden „verwestlichten Moral der restlichen mexikanischen Gesellschaft“. Außerhalb der zapotekischen Gemeinschaft, so schreibt er, „ist man kein Muxe mehr und wird zur x-beliebigen Schwuchtel, zu einem abartigen Perversen“.
Zweifellos erleben Schwule, Lesben und Transgender im machistischen Mexiko brutale Diskriminierung und Gewalt. Über 450 LGBTQ-Personen wurden in den letzten fünf Jahren ermordet. Aber auch der Isthmus von Tehuantepec macht da keine Ausnahme. Mehr als zwei Dutzend Muxes starben dort eines gewaltsamen Todes. Hassverbrechen nehmen zu. Daran ändert auch die vermeintlich traditionelle gesellschaftliche Einbindung nichts.
Der Autor ist taz-Korrespondent in Mexiko.
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