Aktuelle Lage in der Ukraine: Parlamentarier ohne Papiere
Ukraines Präsident Selenski entzieht vier Abgeordneten wegen „Hochverrats“ die ukrainische Staatsbürgerschaft. Sie sollen mit Russland kooperiert haben.
Bei den Betroffenen, die ihres ukrainischen Passes verlustig gehen und die Ukraine verlassen haben, handelt es sich um Wiktor Medwedschuk, einen engen Vertrauten von Russlands Präsidenten Wladimir Putin, Medwetschuks Geschäftspartner Taras Kosak, den ehemaligen stellvertretenden Generalstaatsanwalt Renat Kuzmin sowie den Geschäftsmann und Medienmogul Andrei Derkatsch. Während Letzterer fraktionslos ist, gehören die drei anderen der prorussischen Partei „Oppositionelle Plattform – für das Leben“ an.
Im März 2022 hatte der Nationale Sicherheitsrat der Oppositionsplattform für die Dauer des Kriegsrechts ihre Tätigkeit untersagt. Sechs Monate später bestätigte der Oberste Gericht der Ukraine letztinstanzlich ein Verbot der Partei. Bei der nächsten Sitzung des Parlaments könnte den vier Männern ihr Abgeordnetenmandat entzogen werden.
Wiktor Medwedschuk war bereits im Mai 2021 des Hochverrats beschuldigt und unter Hausarrest gestellt worden. Im vergangenen April versuchte er, aus dem Arrest zu flüchten und wurde vom ukrainischen Inlandsgeheimdienst (SBU) festgenommen. Gegen Medwedschuk liegen weitere Anschuldigungen vor: Förderung des Terrorismus, der Versuch, nationale Ressourcen auf der Halbinsel Krim zu stehlen sowie die illegale Aneignung eines Abschnitts der staatlichen Gaspipeline durch das Unternehmen Prikarpatzachidtrans im Wert von mehr als 200 Millionen Hriwna (umgerechnet rund 5 Millionen Euro). Im vergangenen September kam Medwedschuk bei einem Austausch russischer gegen ukrainische Kriegsgefangene frei.
3 bis 4 Millionen Dollar Schmiergeld
Auch Geschäftsmann Taras Kosak, bis zu deren Schließung im Februar 2021 Besitzer der drei Fernsehkanäle „112 Ukraine“, „NewsOne“ und „Zik“, soll versucht haben, sich auf der Krim zu bereichern. Andrei Derkatsch soll beim Kreml auf der Gehaltsliste gestanden haben: Mehrmals im Jahr soll der russische Militärnachrichtendienst (GPU) 3 bis 4 Millionen US-Dollar für den Aufbau eines Netzwerks von Sicherheitsfirmen ausgereicht haben, um Russland bei einem Angriff auf die Ukraine zu unterstützen.
In den Jahren 2019 bis 2022 hätten russische Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden rund eine halbe Million US-Dollar springen lassen. Dieses Geld habe, so die ukrainische Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft, dazu gedient, das Image der Ukraine international nachhaltig zu beschädigen.
Renat Kuzmin soll sich vor allem um die Verbreitung von Propaganda gegen die Ukraine verdient gemacht haben – sowohl vor als auch nach dem Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Im Dezember 2019 hatte er im prorussischen Fernsehsender „112 Ukraine“ davon gesprochen, dass die prorussischen Kämpfer in den sogenannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk den Donbass vor Präsident Wolomir Selenski schützten.
Den jüngsten Fällen einer Aberkennung der Staatsbürgerschaft dürften übrigens weitere folgen. Dies sei nicht die letzte derartige Entscheidung gewesen, sagte Selenski am Dienstagabend. Die Dienste arbeiteten.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott