Aktivist über Gewalt gegen Antifa: „Nicht einfach Bock auf Schlägerei“
Wenn Rechtsradikale immer etablierter werden und die Linke immer schwächer wird, kommen Antifa-Strategien an ihre Grenzen. Wie also mit der Gewalt umgehen?
taz: Herr Marco T., Sie sind in der North East Antifa organisiert, einer der größten Berliner Antifastrukturen. Anfang Juli wurde eine Gruppe Antifaschist:innen am helllichten Tag am Berliner Ostkreuz von Nazis angegriffen. Überrascht Sie diese Form der Gewalt?
Marco T.: Es ist auf jeden Fall ein neues Ausmaß an rechter Gewalt, was da mitten am Tag in Berlin stattfindet. Das überrascht mich schon. Andrerseits war die Entwicklung abzusehen. Seit drei Jahren ist der III. Weg in Berlin immer präsenter geworden. Eine Woche nach den Angriff am Ostkreuz haben sie bewaffnet im Stadtpark Lichtenberg trainiert mit Rechtsrock und eindeutigen T-Shirts. Sie verstecken sich also nicht mal mehr. Da müssen wir als antifaschistische Kräfte gucken, wie wir das eindämmen und dem etwas entgegensetzen können.
Aus Sicherheitsgründen wollen Sie in diesem Interview anonym bleiben. Wenn Sie in die Zukunft sehen, bekommen Sie es dann mit der Angst zu tun?
Angst ist ein sehr lähmendes Gefühl. Es ist nicht gut, sich ihr hinzugeben, wenn man politisch arbeiten will. Aber es besorgt mich natürlich, die hohen Wahlergebnisse der AfD zu sehen oder wie faschistische Strukturen erstarken. Und die Entwicklung ist EU-weit: Meloni regiert in Italien, die Rassemblement National ist in Frankreich sehr stark, auch wenn sie die Parlamentswahl nun nicht gewonnen hat. Man merkt einfach, überall um eine:n herum wird es rechter. Gleichzeitig ist die parlamentarische und die radikale Linke in Deutschland derzeit sehr schwach. Da bin ich natürlich besorgt, in dem Sinne, dass man jetzt alles reingeben muss, um das Ruder noch rumzureißen.
Was befürchten Sie, falls die AfD im Herbst in einem Bundesland an die Macht kommt?
Es ist ja noch vollkommen unklar, ob das passiert. Wir sehen aber in anderen Ländern, beispielsweise in der Vergangenheit bei der FPÖ in Österreich, dass eine Regierungsbeteiligung durchaus möglich ist. Auf der kommunalen Ebene regiert die AfD ja bereits. Es scheint eine Frage der Zeit zu sein, bis sie auch in einem Bundesland an die Regierung kommt. Dann wird es natürlich echt schwierig. Wir sehen auf kommunaler Ebene, wie die AfD gegen alles vorgeht, was ihnen nicht passt: Projekte gegen Rechtsextremismus, Beratungsstellen für Schwangerschaftsabbrüche, linke Jugendzentren. Auf der nächsthöheren Ebene verstärkt sich das ja nur noch.
Wie würde sich eine AfD-Landesregierung auf die Bundespolitik auswirken?
Schon jetzt treibt die AfD die bürgerlichen Parteien mit ihren rassistischen, migrationsfeindlichen Inhalten vor sich her. Die anderen Parteien beschließen bereits heute rassistische Gesetze wie Asylrechtsverschärfungen, die Bezahlkarten und so weiter. All das wird noch zunehmen, wenn die AfD in einer Landesregierung sitzt. Das wird das Leben von allen Menschen, die nicht in das Weltbild der Faschos passen, noch schwerer machen, als es vielerorts ohnehin oft bereits ist.
Warum, glauben Sie, schaffen es die bürgerlichen Parteien nicht, der AfD inhaltlich etwas entgegenzusetzen?
Ich glaube, sie denken, dass sie das bereits tun. Sie denken, dass es schon funktionieren wird, symbolisch dem Rassismus auf der Großdemo die rote Karte zu zeigen, aber gleichzeitig Asylrechtsverschärfungen zu beschließen. Dass es ihnen nicht auf die Füße fallen wird, arbeiter:innenfeindliche Politik zu machen und Sozialleistungen zu kürzen, dann aber auf die AfD zu zeigen und zu sagen: Das sind die Bösen. Bei einer solchen Politik können wir nicht davon ausgehen, dass die hochgelobte sogenannte Brandmauer langfristig halten wird.
Lange war es eine bewährte antifaschistische Praxis, gegen die Rechten Bündnisse bis tief in die bürgerliche Mitte anzustreben. Wenn auch die Mitte-links-Parteien den Rechtsruck vorantreiben, geht das überhaupt noch? Gibt es noch eine gemeinsame Basis?
Wir sind schon der Meinung, dass wir breite Bündnisse brauchen – unter der Prämisse, dass wir unsere Kritik an den bürgerlichen Regierungsparteien klar benennen und unsere eigenen Aktionsformen wählen können. Idealerweise greifen die dann ineinander, wie kürzlich in Essen, wo Massenproteste gegen den AfD-Parteitag von Blockaden begleitet wurden. Wichtig ist, dass sich die Bürgerlichen nicht sofort abgrenzen. Grundsätzlich gibt es bei den Parteibasen – etwa bei den Grünen – gerade mit Blick auf Antifaschismus weiterhin einen gemeinsamen Nenner. Wogegen wir uns stellen, ist die Vereinnahmung unserer Proteste durch Parteifunktionäre. Wir machen keine staatstragenden Proteste, wir stehen für Klassenkampf.
Nun hat zuletzt der gescheiterte linke „heiße Herbst“ 2022 gezeigt, dass die Leute eben nicht plötzlich auf die Straße gehen, nur weil einige Linke zum Klassenkampf aufrufen. Wie kann man da die kapitalistischen Ursachen des Faschismus bekämpfen?
Wir haben da auch keine Masteranalyse, aber klar ist, dass wir diese Fragen nicht einfach zurückstellen können. Faschistische Bewegungen wachsen immer in Krisenzeiten, wenn sich die Mittelschicht vom Abstieg bedroht sieht. Deswegen müssen wir klarer machen, dass Antifa auch Antikapitalismus bedeutet, ebenso wie Antimilitarismus. Wir müssen zeigen, dass die AfD eben keine Friedenspartei ist, dass sie eine neoliberale Partei ist, die auch nichts für den kleinen Mann tut, selbst wenn der weißer Deutscher ist.
Klingt, als wolle auch die Antifa die Sorgen der AfD-Wähler:innen ernst nehmen.
Na ja. Bevor man die AfDler anspricht, gibt es da erst mal ganz viele andere Leute – alle, die von der AfD bedroht werden: migrantische, queere und rassismusbetroffene Menschen, Arbeiter:innen, Frauen. Ich denke, es ist wichtiger, diese Leute von einer linkeren Politik zu überzeugen. Wenn sich ein Ex-AfDler glaubhaft abgrenzt, ist das natürlich toll. Aber worauf wir uns konzentrieren, ist die Solidarität derer aufzubauen, die von der AfD bedroht werden.
Zuletzt hat die Correctiv-Recherche über rechte Deportationspläne Massenproteste gegen den Faschismus ausgelöst. Warum, glauben Sie, sind die Demos wieder abgeebbt?
Diese Proteste haben viele Leute wachgerüttelt. Es sind im Anschluss auch mehr Menschen zu unseren Aktionen gekommen. Was aber gefehlt hat, war, diese Leute langfristig zu binden. Ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es nicht reicht, zwei-, dreimal auf eine Demo zu gehen – und der Faschismus ist besiegt. Wir hätten auch klarer machen müssen, dass Antifaschismus verschiedene Aktionsfelder beinhaltet, dass man nicht gleich den nächsten Fascho abfangen muss, wenn man bei der Antifa mitmachen will – sondern auch Demos organisieren, in der Nachbarschaft aufklären und Unterstützungsarbeit für Betroffene rechter Gewalt leisten kann.
Ein Grund mag auch sein, dass das Image der Antifa weiterhin eher schlecht ist. Ist das nicht auch ein bisschen selbstverschuldet?
Natürlich müssen wir deutlicher begründen, warum wir bestimmte Aktionen machen. Viele sind von einem Black Bloc erst mal abgeschreckt, halten das für nicht sonderlich nahbar. Dann muss man erklären, hey, das hat etwas mit Selbstschutz zutun. Oder wenn militant gegen Nazis vorgegangen wird, dann müssen wir deutlich machen, dass wir nicht einfach so Bock auf Schlägereien oder Gewalt haben, sondern dass von Nazis für bestimmte Menschen ein enormes Bedrohungspotenzial ausgeht, gegen das wir vorgehen.
Die Antifa kann nicht auf Militanz verzichten?
Der Fokus unserer Gruppe ist ein anderer. Wir machen Demonstrationen, Infoveranstaltungen, klären bei uns im Kiez und darüber hinaus über Nazistrukturen auf. Es gibt vieles, was man gegen Nazis tun kann. Man kann sich im lokalen Sportverein engagieren und dort Faschisten rausschmeißen, zu Massenprotesten oder Blockaden gehen. Wenn sich Menschen für militantere Aktionsformen entscheiden, sollte man sich aber schon solidarisch verhalten, selbst wenn man selbst vielleicht eine andere Aktionsform wählt. Wir grenzen uns da jedenfalls von nichts ab.
In Sachsen, Thüringen und Brandenburg stehen Landtagswahlen an. Wie lautet Ihre Strategie?
Wir kommen gerade aus dem Prozess einer neuen, bundesweiten Vernetzung von Antifastrukturen, aus der zuletzt unser gemeinsamer Aufruf „Zeit zu handeln“ hervorgegangen ist. Kernidee dieser Vernetzung war, uns in der Zukunft noch stärker gegenseitig zu supporten. Deshalb gehen wir auf die Strukturen insbesondere in Brandenburg zu und fragen, was gebraucht wird. Das können Solipartys sein, um Projekte oder Jugendclubs zu finanzieren, denen die AfD vielleicht die Mittel kürzt. Im Herbst könnten wir eine Großdemo unterstützen, mit Soli-Bussen und gemeinsamer Anreise. Oder die Strukturen melden uns: Die Faschos sind gerade so aufgeheizt, wir fürchten einen Angriff auf eine Flüchtlingsunterkunft. Dann erscheinen wir mit Leuten vor Ort.
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