Aktivismus in Baumkronen: Die Bäume denen, die drin wohnen
Waldbesetzungen haben derzeit Konjunktur. Aber sind sie immer legitim? Und ab wann zählen ein paar Bäume überhaupt als Wald?
taz | Bäume sind die neuen Häuser. Oder sagen wir: Was in den 1980ern Hausbesetzungen waren, sind in den 2020ern Waldbesetzungen. Nicht dass sich das Wohnraum-Problem in den Städten erledigt hätte, im Gegenteil. Gründe, Häuser zu besetzen, gibt es heute mehr denn je. Aber Hausbesetzungen sind nur in sehr seltenen Fällen länger als 24 Stunden zu halten und ziehen oft massive Repressionen nach sich.
Anzunehmen, Waldbesetzungen seien die bequemere Protestform, wäre aber auch falsch. Schließlich richten sie sich nicht nach den Jahreszeiten mit Wohlfühltemperaturen. Außerdem erfordern sie die Bereitschaft, sich handwerklich zu betätigen, und den Mut oder das körperliche Vermögen, festen Boden zu verlassen und sich in einiger Höhe zurecht zu finden.
Ein Grund, warum Waldbesetzungen seit einiger Zeit in der deutschen Klimabewegung Konjunktur haben, ist, dass das Bewusstsein für die Klimakatastrophe langsam in breiten Bevölkerungsschichten ankommt.
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Nachdem Aktivist*innen den Hambacher Forst sechs Jahre lang besetzt hielten und am Ende einen Teilerfolg erzielten, kamen in den Dannenröder Forst auch junge, unerfahrene Aktivist*innen, die sich gerade erst mit „Fridays for Future“ politisiert hatten. Auch ihre Eltern und Großeltern kamen und stellten sich der Polizei entgegen.
Die neuen und alten Waldaktivist*innen tragen Baum für Baum dazu bei, dass es nicht mehr selbstverständlich als legitim durchgeht, wenn Wälder für Braunkohletagebau, Autobahnen und Parkhäuser abgeholzt werden. Die Verkehrswende, dieses staubige und trockene Thema, ist in den vergangenen Monaten durch sie lebendiger und präsenter geworden.
Auch baumhaltiges Gestrüpp ist schützenswert
Deshalb ist es auch egal, ob der Flensburger Bahnhofswald eigentlich gar kein richtiger Wald ist, ganz zu schweigen vom Wilden Wald in Hamburg-Wilhelmsburg. In Flensburg hatten Umweltschützer*innen vergeblich versucht, den Miniwald neben dem Bahnhof vor der Abholzung für ein Parkhaus und ein Hotel zu schützen. In Wilhelmsburg bereiten sich die Waldretter*innen noch auf die eigentliche Besetzung der vollgewucherten Fläche vor.
Während beim Dannenröder Forst noch offensichtlich war, dass es Unsinn ist, einen alten, gesunden Mischwald durch eine Autobahntrasse zu ruinieren, ist die Argumentation in Wilhelmsburg, wo ein Wohnquartier gebaut werden soll, nicht ganz so leicht.
Aber von der Größe einer bedrohten Waldfläche sollte man sich nicht irritieren lassen. In der städtischen Betonwüste kann auch ein baumhaltiges Gestrüpp als schützenswerter Lebensraum verstanden werden. Das mit der Wohnfläche ist, na ja, ein Argument. Aber wie viel Wohnfläche würden wir erst gewinnen, wenn wir anfingen, Autobahnen zu bebauen?
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