Gericht in Schleswig hebt Freispruch auf: Hausfrieden wichtiger als das Klima

Nachdem er einen Baum besetzt hatte, wurde ein Aktivist erst angeklagt, dann freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein – mit Erfolg.

Ein vermummter Mensch in einem Wald

Ein Vermummter sitzt während der Räumung des Bahnhofswaldes auf einem Seil Foto: Benjamin Nolte/dpa

SCHLESWIG taz | Strenge Sicherheitsmaßnahmen vor der Tür, eine zügige Verhandlung im Saal: Nach rund zwanzigminütiger Beratung hob das Oberlandesgericht in Schleswig ein Urteil des Amtsgerichts Flensburg vom November vergangenen Jahres auf. Damals hatte eine Richterin den heute 43-jährigen Phi­lipp A. freigesprochen, der wegen der Teilnahme an einer Baumbesetzung im Flensburger Bahnhofswald angeklagt war.

A. hatte sich auf den sogenannten Notstandsparagrafen 34 des Strafgesetzbuchs berufen, die Richterin war dieser Argumentation gefolgt. Der Paragraf besagt: Wer bei Gefahr für Leib und Leben eine eigentlich strafbare Tat begeht, um die Gefahr abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig. In dem Fall wollte der Aktivist der Gefahr Klimawandel mit der Baumbesetzung begegnen.

Es war einer der wenigen Fälle, in denen ein Gericht auf unterer Ebene so entschieden hatte – der Fall, bei dem es nur um Hausfriedensbruch und eine geringe Geldstrafe ging, fand daher bundesweit Beachtung. Nun stellte die höhere Instanz fest: Das Urteil ist aufgehoben, der Fall muss erneut verhandelt werden.

Alexander Hoffmann, der Verteidiger von A., hatte sich ein anderes Ergebnis erhofft, war aber nicht überrascht: „Das Bundesverfassungsgericht hat 2021 Mut bewiesen, als es den Schutz des Klimas und der Lebensgrundlagen auf eine Stufe mit anderen Grundrechten stellte.“ Die „oft sehr konservativen Oberlandesgerichte“ versuchten nun, diese Entscheidung einzuhegen, sagte er nach der Verhandlung. Hoffmann hatte beantragt, das Verfahren einzustellen: „Mein Mandant ist nicht das Objekt, aus dem die Staatsanwaltschaft einen Präzedenzfall machen kann.“

Wo jetzt der Wald ist, sollen Hotel und Parkhaus hin

Im Flensburger Bahnhofswald wollen zwei örtliche Unternehmer in Kooperation mit einer chinesischen Investmentfirma ein Hotel samt Parkhaus errichten. Doch eine Bürgerinitiative machte gegen die Abholzung der Bäume mobil. Parallel dazu besetzten Ak­ti­vis­t*in­nen das Gelände und harrten im Herbst und Winter 2020 in Baumhäusern aus.

Im Frühjahr 2021 ließen die Investoren eigenmächtig und ohne Genehmigung Bäume fällen, die Polizei räumte in der Folge die Baumhäuser. Gegen mehrere der Ak­ti­vis­t*in­nen fanden Prozesse statt, die meisten endeten mit Strafen wegen Hausfriedensbruchs, zuletzt wurde eine Person im Juli verurteilt.

Im jetzigen Revisionsprozess befasste sich das Oberlandesgericht ausschließlich mit dem Urteil und den juristischen Argumenten von Generalstaatsanwaltschaft und Verteidigung. Richterin Janique Brüning steckte den Rahmen ab: Ja, der Klimaschutz könnte die Einzelinteressen der Grundstücksbesitzer überwiegen. Es sei auch notwendig, jetzt etwas zu unternehmen: „Die Gefahr liegt gegenwärtig vor, auch wenn sich die Folgen erst in Jahren zeigen.“ Werde der CO2-Ausstoß nicht schnell reduziert, gebe es irreversible Folgen.

Das Argument der Staatsanwaltschaft, ein einzelner Baum rette das Klima nicht, hielt das Gericht nicht für überzeugend: So, wie nicht eine Person allein das Klima schädige, könne nicht eine einzelne Person das Klima retten. „Jeder Beitrag zählt“, sagte Brüning. Daher könne die Besetzung des Waldes durchaus als geeignetes Mittel angesehen werden, um die Abholzung zu verhindern – eigentlich.

Noch sind Emissionen gerechtfertigt, sagt die Richterin

Doch Brüning wies darauf hin, dass ein Rechtsweg existiert und dass es andere Möglichkeiten gebe, politische Entscheidungen zu beeinflussen: „Unsere Lebensgewohnheiten sind nun einmal nicht CO2-neutral, und die heutigen Regeln verlangen das auch nicht.“ Erst 2045 solle Deutschland ohne Emissionen auskommen. In der Übergangsphase seien Emissionen noch gerechtfertigt, das habe auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Richter Blöcher fügte hinzu: „Nur weil Sie sagen, es gehe zu langsam, dürfen Sie nicht das Recht in die eigene Hand nehmen.“

Anwalt Hoffmann widersprach: Der Rechtsweg sei in Flensburg nicht wirksam gewesen. „Der Baum, auf dem mein Mandat saß, steht noch und wird wohl stehenbleiben, und zwar nur, weil er darauf saß.“ Es habe Rechtsverstöße der Investoren gegeben, auch sei fraglich, ob der städtische Bebauungsplan rechtskräftig sei. Das Kernproblem sei aber ein anderes: Die Regierung halte die Pariser Klimaverträge, in denen sich die Staaten dazu verpflichteten, die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten, bewusst nicht ein. Daher sei es falsch, Ak­ti­vis­t*in­nen zu bestrafen, weil die sich nicht an Regeln hielten.

Oberstaatsanwältin Silke Füssinger brachte noch den Maschendrahtzaun ins Spiel: Dieser sei zwar kaputt, aber erkennbar gewesen – was den Bahnhofswald zu einem „umfriedeten Grundstück“ machte – daher sei das Betreten von A. Hausfriedensbruch. Für zivilen Ungehorsam aber „ist kein Raum und darf keiner sein“. Die Staatsanwältin hatte zuvor den Antrag abgelehnt, das Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen.

Es ist generell möglich, dass das Amtsgericht in der zweiten Runde diesen Weg geht und Philipp A. ein weiteres Verfahren erspart – die Entscheidung darüber liegt nach dem Urteil nun wieder in Flensburg.

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