Aiwanger verschiebt den Diskurs: Die Opfer? Nicht so wichtig
Wahltaktisch mag es Sinn ergeben, Bayerns Vize Hubert Aiwanger nicht zu feuern. Gesellschaftlich ist es fatal: Es missachtet die Würde vieler Bürger.
E s mag Gründe gegeben haben, Hubert Aiwanger nicht zu feuern – politisch, juristisch, wahltaktisch. Viele sagen, politisch sei es klug von Söder, Aiwanger im Amt zu lassen, damit der sich vor der Landtagswahl nicht als Opfer stilisiert und rechte Wähler abgreift.
Nun, als Opfer einer Schmutzkampagne stilisiert der sich so oder so, schon bei seiner „Entschuldigung“. „Die Medien“ sind mal wieder schuld, schon darin erinnert sein Duktus an jenen vieler Rechter. Und noch eine Ähnlichkeit gibt es zwischen der Causa Aiwanger und der strategischen Diskursverschiebung der Rechten zu ihren Gunsten: die Salamitaktik. Etwas Unsagbares taucht auf oder wird gesagt, dann wird rumgeeiert, ein bisschen distanziert und am Ende passiert: nichts. Zumindest nicht auf der Oberfläche. Doch der Raum darunter ist ein anderer geworden.
Ob man von einer „Moralkeule Auschwitz“ spricht, von der NS-Zeit als „Vogelschiss“ oder einen Politiker im Amt lässt, der sich, konfrontiert mit widerlichen Witzen über die Opfer des Holocaust, nicht sofort beschämt distanziert und sich entweder glaubhaft entschuldigt oder eben glaubhaft seine Unschuld erklärt – das Ergebnis ist dasselbe.
All diejenigen, die insgeheim oder weniger geheim einen Schlussstrich unter die Auseinandersetzung mit dem Holocaust, mit der Verantwortung, die sich daraus in die Gegenwart und Zukunft ergibt, ziehen wollen, fühlen: Passt scho! Wenn sogar ein Vize-Landeschef vielleicht schon mal Auschwitz-Witze machen konnte und am Ende als triumphierendes Opfer einer Kampagne dasteht, müssen wir uns auch nicht immer so zusammenreißen. In jedem Fall rufen die Beteiligten, hier also auch Söder, all denjenigen, deren Familien Opfer waren, zu: Sorry, ihr gehört nicht dazu. Was sagbar ist, bestimmen immer noch wir! Und: die Befindlichkeiten bestimmter Bürger sind uns wichtiger als eure Würde.
Die Taktik, den Rechten ja keinen Grund zu liefern, sich als Opfer zu fühlen, verhöhnt also nicht nur die realen Opfer des Holocaust, es hat die Rechten, guckt man auf die AfD-Umfragewerte, bislang nur gestärkt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken