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Nach „Volksverrat“-VorwurfAfD streitet weiter um Russlandkurs

Nachdem der AfD-Abgeordnete Lucassen zwei Kollegen „Volksverräter“ nannte, drohen ihm interne Konsequenzen. Gleiches gilt für den Putin-Fan Tillschneider.

Sogenannte „Friedensdemo“ am 15. April in Nürnberg Foto: imago

Berlin taz | Die Russlandfrage bleibt weiter ein heißes Eisen in der extrem rechten AfD. Nachdem der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Rüdiger Lucassen seinen Fraktionskollegen Eugen Schmidt, Vorsitzender der Russlanddeutschen für die AfD, sowie Steffen Kotré im ZDF „Volksverrat“ vorgeworfen hatte, drohen ihm nun innerparteiliche Konsequenzen. Der Bundesvorstand will sich mit der Angelegenheit am kommenden Montag in einer Präsenzsitzung befassen. Dabei stünden Ordnungsmaßnahmen gegen Lucassen zur Debatte, wie AfD-Pressereferent Michael Pfalzgraf der taz bestätigte.

Schmidt war mehrfach in russischen Propaganda-Sendungen aufgetreten und hatte dabei unter anderem gesagt, in Deutschland gebe es keine Demokratie und keinen Rechtsstaat. Auch Kotré taucht häufig in russischen Medien auf und reiste in Vergangenheit als Pseudowahlbeobachter nach Russland.

Lucassen, der als Oberst der Bundeswehr selbst zeitweise Chairman einer Nato-Gruppe für Standardisierungsverfahren war, hatte Auftritte von Fraktionskollegen wie Schmidt, aber auch Kotré bereits mehrfach kritisiert und vergangenen Mittwoch bei „Lanz“ mitgeteilt, in der Fraktion mit Schmidt gar nicht mehr zu reden. Vor einem Jahr hatte er bereits in der taz davon gesprochen, dass für ihn bei solchen Auftritten „die Schwelle zum Landesverrat hauchdünn“ sei. Besonders die Vokabel „Volksverräter“ hat nun in der AfD für Aufruhr gesorgt.

Der Landesvorsitzende aus NRW, Martin Vincentz, hat sich bereits von der Wortwahl distanziert, wobei er sich zugleich von Schmidts Aussagen distanzierte. Auch in der Fraktionssitzung der AfD im Bundestag ging es am Dienstag erneut um das Thema. Dort bat Lucassen bei den Kollegen um Entschuldigung, diese sollen sie angenommen haben.

Zuvor hatte sich Lucassen bereits bei Facebook eher kleinlaut für seine Wortwahl entschuldigt. „Parteimitglieder als Volksverräter zu bezeichnen, ist überzogen und falsch“, schrieb Lucassen. Er wolle für seinen Fehler auch persönlich bei Eugen Schmidt und Steffen Kotré um Verzeihung bitten. Für seine inhaltliche Positionierung gegen Putins Propagandisten in der AfD entschuldigte er sich hingegen nicht. Schmidt signalisierte, sich auf das Gespräch zu freuen und Differenzen persönlich klären zu wollen – um „geeint gegen dekadenten linken Zeitgeist und die Abschaffer unseres Landes“ zusammenzustehen.

Ost vs. West, Flügel vs. Nichtflügel

Der grundsätzliche Konflikt aber wird damit nicht beigelegt sein. Dieser verläuft in der Russlandfrage häufig auch analog zu grundsätzlichen ideologischen Positionierungen in der Partei. Häufig schauen insbesondere westdeutsche Ver­tre­te­r*in­nen der AfD mit Befremden auf die Russlandnähe ihrer ostdeutschen Kollegen. Im Osten dominieren Personen mit Nähe zum rechtsextremen Flügel oder dem Institut für Staatspolitik in Schnellroda, die grundsätzlich westliche Werte ablehnen und in dieser Hinsicht Putins Russland ideologisch näher als der BRD sind.

Ähnlich dürfte das auch bei Harald Laatsch aus der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus sein, der Lucassens Entschuldigung nicht gelten ließ und ihm vorwarf, dass der Schaden angerichtet sei und sich nicht über ein Facebook-Post zurückholen ließe. Laatsch schrieb: „Sie haben von Geopolitik keine Ahnung oder sind dermaßen US-indoktriniert, dass die Realität nicht mehr in Ihren Kopf passt.“ Mit Indoktrinierung kennt der Abgeordnete sich aus: Laatsch war 2018 auf russische Einladung auf die annektierte Krim gereist und dafür viel kritisiert worden. Und wenn er nicht gerade Putin versteht, spricht er sich für die Aufhebung der Gewaltenteilung auf.

Dass nun Lucassen trotz seiner Entschuldigung ein Ordnungsverfahren droht, spricht Bände darüber, welche Kraft in der AfD die Oberhand hat. Bezeichnend dafür ist auch der kürzliche Besuch von Alice Weidel am Stand der „Russlanddeutschen in der AfD“ beim Landesparteitag in NRW. Die Co-Vorsitzende ließ sich dort grinsend zwischen Schmidt und Olga Petersen fotografieren, die zuletzt von der Hamburger AfD abgemahnt wurde. Der Grund: Ein Interview mit dem russischen Staatssender Rossija 1. Weidel hat laut den „Russlanddeutschen für die AfD“ bei ihrem Besuch zugesagt, das Netzwerk zu unterstützen.

Immer Ärger mit Tillschneider

Bei der Präsenzsitzung am kommenden Montag gibt es aber noch mehr zu bereden: Neben dem Parteiordnungsverfahren gegen Lucassen drohen ähnliche Schritte möglicherweise auch Hans-Thomas Tillschneider, Vize-Chef der AfD Sachsen-Anhalt. Der wiederum gilt seinerseits als Putin-Fan, hatte im September 2022 versucht, in die russisch besetzten Gebiete in der Ostukraine zu reisen, und war dann vom Bundesvorstand zurückgepfiffen worden. Nun wird der Bundesvorstand möglicherweise erneut über Tillschneider diskutieren.

Diesmal geht es darum, dass Tillschneider im Februar auf dem Magdeburger Domplatz bei einer der vermeintlichen AfD-Friedensdemos vor 350 Leuten im Nieselregen zum „Krieg gegen die Bundesregierung“ aufgerufen hat. Politikberater Johannes Hillje kommentierte treffend: „Mehr muss man zur Selbstverharmlosung der AfD als Friedenspartei wohl nicht wissen.“

Zunächst hatte der Pressereferent auf taz-Anfrage bestätigt, dass ein Antrag, Tillschneider auf die Tagesordnung zu setzen, vom Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla gekommen sei. Nach Veröffentlichung des Artikels hieß es am Montag vor der abendlichen Vorstandssitzung wiederum, dass ein solcher Antrag Chrupallas nicht existiere. Es habe intern „einen fernmündlichen Übermittlungsfehler“ gegeben. Ob und wann Tillschneiders Äußerungen thematisiert würden, sei offen.

Der Antrag gegen Lucassen hingegen kommt von Maximilian Krah, der Beisitzer im Bundesvorstand ist und seinerseits seit Februar in seiner Fraktion im EU-Parlament wegen der Vergabe eines PR-Auftrages suspendiert ist. AfD-intern steht Krah nicht nur ob seiner Russlandnähe in der Kritik, sondern auch wegen fragwürdiger Einladungen und Verbindungen nach China.

In Chats kündigte sich das bereits an

In internen Chats einer Chat-Gruppe „AfD-aber normal“, die der taz vorliegen, kündigte sich das bereits an. Dort regte sich der NRW-Landtagsabgeordnete Christian Blex, der selbst wegen der versuchten Einreise in die Ostukraine aus der AfD-Fraktion geschmissen wurde, über Lucassens Äußerung als „schwer parteischädigend“ auf: „Übrigens verrät der unser Land, wer es in Vasallenschaft halten möchte“. Damit dürfte er sich auf die rechtsextreme Legende beziehen, dass die BRD nur ein Vassallenstaat der USA sei.

Tillschneider, der findet, dass die Aussage gar nicht gehe, sprach sich im Chat „als liberaler Geist“ gegen ein Ausschlussverfahren aus, schrieb aber: „Wir sollten dafür sorgen, daß Lucassen nie wieder für irgendwas in dieser Partei gewählt wird.“ Krah entgegnete: „Irgendwie reagieren müssen wir schon. Man kann doch nicht Kollegen im Staatsfunk derartig abkanzeln.“ Die beantragten Ordnungsmaßnahmen dürften das Ergebnis sein.

Update, 24.4.2023: Der Artikel wurde ergänzt.

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9 Kommentare

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  • "Schmidt war mehrfach in russischen Propaganda-Sendungen aufgetreten und hatte dabei unter anderem gesagt, in Deutschland gebe es keine Demokratie und Rechsstaat."

    Genau diese schräge Figur landete Dank einer demokratischen Wahl als Oppositionsmitglied im Bundestag und nicht im Gefängnis.

  • "Damit dürfte er sich auf die rechtsextreme Legende beziehen, dass die BRD nur ein Vassallenstaat der USA sei."

    Das ist eindeutig und belegbar keineswegs nur eine rechtsextreme Legende, sondern wird so ganz ausdrücklich auch von Herrschaften wie Lafontaine, Wagenknecht, Dehm, Dagdelen, Nastic und so weiter vertreten.

    • 3G
      32051 (Profil gelöscht)
      @Suryo:

      Erstens ist die Formulierung bewusst vage, um sich im Bedarfsfall auf "war nicht so gemeint" zurück ziehen zu können und gleichzeitig sowohl gemäßigte als auch Radikale ansprechen zu können.

      Was ist ein "Vasallenstaat"?

      Das kann von "Scholz hätte letztens in Amerika breitbeiniger auftreten sollen" bis ",BRD ist noch besetzt" so ziemlich alles heißen.

      Letzteres stimmt nachweislich nicht, verfängt aber.

      Zweitens ist es kein Argument, dass es deswegen keine rechtsextreme Legende wäre, nur weil die Damen Wagenknecht, Dagdelen usw und Hr, Lafontaine es auch so sehen.

  • Es mag die juristische Definition nicht erfüllen, aber mal ehrlich: moralisch hat insbesondere Kotré doch nun wirklich Deutschland verraten.

    Wir erleben die interessante Situation, dass ausgerechnet deutsche Rechte das Land ausgerechnet Russland ausliefern wollen. Wenn Russland hier einmarschierte, würden große Teile der AfD - sowie Teile insbesondere der ostdeutschen Bevölkerung - die Invasoren, Folterer und Mörder - ja tatsächlich mit Blumen, Jubel und Kniefall empfangen.

    • 3G
      32051 (Profil gelöscht)
      @Suryo:

      Das seh ich auch so.

      Hätte ich auch nicht geglaubt, dass die deutsche ln "Patrioten" Russlandfahnen schwenken, während Lawrow von der Bombardierung Dresdens träumt.

      Aber wichtig ist denen eben nur eines: "Was machen die Grünen, und wie können wir das absolute Gegenteil davon fordern?" Darum geht's einzig und allein

      • @32051 (Profil gelöscht):

        Das würde ich nicht auf die Grünen begrenzen. Der AfD und Teilen der Linken, die mit Moskau sympathisieren geht es einzig und allein um die Störung des inneren Friedens, um eigene Aufmerksamkeit und um das Geld, das sie dafür aus Moskau bekommen. Der schnöde Mammon schafft es immer und überall.

        • 3G
          32051 (Profil gelöscht)
          @Lars B.:

          Das stimmt schon. Aber Hauptfeind sind aktuell die Grünen. Der CDU würden sie mal noch recht geben,der FDP auch. Der SPD wohl vor allem deswegen nicht, weil man kaum merkt,dass es die noch gibt.

          Aber den Grünen niemals.

  • So sehr mir auch die Spaltung der AfD in den Kram passt, so sehr muss man sich doch Sorgen machen, wie erfolgreich die russische Propaganda ist oder wie wirr manche Menschen sein können.

    Die AfD versteht sich als eine patriotische (mal so freundlich wie möglich ausgedrückt) Partei. Das hält sie nicht davon ab, außenpolitische Positionen zu vertreten, die eine direkte Gefahr für Deutschlands Sicherheit und Wohlstand darstellen. Sie vertreten die Interessen einer Macht, die die Souveränität von Ländern nicht akzeptiert, in den denen russische Minderheiten leben. Es gibt sogar ein Gesetz dass die russ. Regierung verpflichtet, die national-kulturell Interessen russischsprachiger Menschen im Ausland notfalls mit militärischer Gewalt durchzusetzen.



    In Deutschland leben Millionen russischsprachige Menschen. Daraus ergibt sich zwangsläufig der Anspruch, das Deutschland Einflussgebiet untergeordnet sei.

    Russland verkündetes (zugegeben illusorisches) Ziel ist ja nicht nur die Herausdrängung der USA aus Europa, sondern auch die Abschaffung der EU und Überführung deren Staaten in ein auf Moskau ausgerichtetes Wirtschaftsbündnis. Wie dabei deutsche Interessen nicht unter die Räder kommen sollen, ist mir unklar. Moskau hat ja immer ganz offiziell mitgeteilt, dass in jedem Bündnis Russlands Status als überlegenes Imperium Geltung bekommen muss und man keine Beschränkung russ. Handlungsspielraums durch verrechtlichte Systeme hinnehmen wird - daran ist ja auch die Perspektive eines NATO-Betritt gescheitert, Russland auf dem formal gleichen Niveau wie Estland und Co - das sei laut Putin eine Beleidigung Russlands ("Wir werden keinen Antrag stellen wie die unwichtigen Staaten")

  • Ich hatte mal die Hoffnung, dass sich diese Partei alsbald in ihre Einzelteile zerlegt, weil sie nicht weiß wer wann wohin will und mit wem und sich über alles intern streitet. Das war mal so ein Traum. Leider bekommen sie aktuell mehr Zulauf als jemals befürchtet. Da machen diese kleinen Streitereien intern wohl nichts mehr aus.