Pro-russische Äußerungen in der AfD: Grünes Licht für Olga Petersen
Die Hamburger AfD-Führung hat die Abgeordnete Olga Petersen wegen eines prorussischen Interviews abgemahnt. Zu unrecht, entschied das Schiedsgericht.
D as Recht auf freie Meinungsäußerung gilt in der AfD auch für deren parlamentarische Vertretungen. Der Hamburger Bürgerschaftsfraktions- und Landesvorsitzende Dirk Nockemann und der Parlamentarische Geschäftsführer und Landesvize Krzysztof Walczak hatten die Bürgerschaftsabgeordnete Olga Petersen abgemahnt, weil sie dem russischen Staatssender „Rossija 1“ ein prorussisches Interview gegen hatte. Diese Abmahnung der Hamburger AfD-Führung sei unzulässig, erklärte jüngst das parteiinterne Landesschiedsgericht.
In der Entscheidung des Schiedsgerichts, die der taz vorliegt, führt der Vorsitzende aus: „Ein Verbot außenpolitischer Äußerungen von Parteimitgliedern, gegen das die Antragstellerin nach Auffassung des Antragsgegners verstoßen habe, besteht nicht.“
Nockemann und Walczak hatten Petersen vorgehalten, am 7. Februar bei „Rossija 1“ nicht bloß aufgetreten zu sein. Auch die zu eindeutigen Aussagen störten sie.
In dem kurzen Interview mit dem staatseigenen Kanal warnte Petersen den Kreml, sich nicht auf die Aussagen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu verlassen, keine Kampfflieger an die Ukraine zu liefern. Denn zu Beginn des Krieges habe die Bundesregierung noch jede Einmischung abgelehnt. Petersen beklagte auch, dass Deutschland sich unabhängig von Erdgas aus Russland machen wolle. Das Interview fand große mediale Beachtung in Deutschland.
Auf sieben Seiten erklärt der Landesvorstand, dass die Bürgerschaftsabgeordnete nicht die Befugnis habe, sich zu „außenpolitischen Angelegenheiten“ zu äußern. Solche Äußerungen würden allein der AfD-Delegation im Europäischen Parlament und der AfD-Fraktion im Bundestag zustehen, hieß es in der Abmahnung, die der taz ebenfalls vorliegt. Es ist eine formale Argumentation gegen Petersen, die in der Fraktion nicht unumstritten ist. Zu rechts ist die 1982 im sibirischen Omsk Geborene, zu nahe steht sie Höcke und Co.
Die Kritik verdeutlicht die Hamburger Beschlusslage: Auf dem Landesparteitag am 5. Februar 2023 beschlossen die Mitglieder eine Resolution, in der sie ein Ende der Wirtschaftssanktionen gegen Russland und eine Reparatur der Nord-Stream-Pipelines zur Erdgasversorgung forderten.
In der Abmahnung wurde auf eine E-Mail vom 26. 9. 2022 von Alice Weidel und Tino Chrupalla verwiesen, in der sich die beiden Bundesvorsitzenden über „Prioritäten“ und Äußerungen von AfD-Mitgliedern zu außenpolitischen Themen auslassen. Die Hamburger Führung interpretierte ihre Aussage als „Verbot“. Diese Interpretation teilt das Schiedsgericht nicht. „Der E-Mail vom 26.09.2022 von Frau Weidel und Herrn Chrupalla (…) kann allein von ihrer Form keine Anordnung oder Regelung eines Verbots von Äußerungen von Parteimitgliedern zu außenpolitischen Fragen entnommen werden; sie ist lediglich eine Feststellung.“
Der Erfolg von Petersens Widerspruch dürfte die Beziehung zu Nockemann und Walczak nicht entspannen. Ihrem Antrag auf Widerruf und Entfernung der Abmahnung aus allen Unterlagen des Antragsgegners folgte das Schiedsgericht jedoch nicht, denn das Gericht könne „nicht über Leistungsklagen entscheiden“.
Der Konflikt spiegelt vor allem eine Ambivalenz. Im Osten bezieht die AfD im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine eine offen prorussische und anti-amerikanische Position, im Westen weniger. Kritik an der Nato wird im Osten ebenfalls lauter angeschlagen. Die Hamburger AfD möchte bei dieser Thematik nicht mit radikalen Formulierungen auffallen, will sie doch bürgerlich konservativ erscheinen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung