AfD-Landesvorsitz Schleswig-Holstein: Erhitzte Gemüter im Norden
Die AfD will Doris von Sayn-Wittgenstein wegen rechtsextremer Kontakte aus der Partei ausschließen. Trotzdem wird sie Landesvorsitzende.
Die neue Landesvorsitzende der AfD Schleswig-Holstein ist die alte Landesvorsitzende. Am Samstag wählten die Mitglieder auf dem Landesparteitag in Henstedt-Ulzburg die zuvor aus diesem Amt zurückgetretene Doris von Sayn-Wittgenstein erneut zu ihrer Landesvorsitzenden. Dass der Bundesvorstand die Juristin seit Dezember wegen rechtsextremen Kontakten aus der Partei ausschließen will und die Landtagsfraktion sie bereits ausschloss, störte wenig.
Am Samstag konnte sich Sayn-Wittgenstein im Bürgerhaus gegen ihren Kontrahenten Christian Waldheim klar durchsetzen. Der Kommunalpolitiker aus Norderstedt und Bundesrechnungsprüfer der AfD erhielt 100 Stimmen, Sayn-Wittgenstein 137 Stimmen – das sind 56 Prozent. Ein weiterer Kandidat, Jürgen Orlok aus dem Kreisverband Dithmarschen, erhielt vier Stimmen.
Erst kurz vor Beginn des Landesparteitages wurde die Kandidatur von Sayn-Wittgenstein bekannt. Unerwartet war sie nicht. Vor der Wahl sagte ihr Gegenkandidat Waldheim, dass ein Sieg von ihr eine Gefahr für den Landesverband sei.
Seit Jahren ist der Verband im hohen Norden tief zerstritten. Die Stimmung im Saal war nicht nur wegen der starken Hitze äußerst angespannt. Buh- und Pfui-Rufe raunten durch den Raum, immer wenn ein Anhänger der jeweiligen Gegenseite sich zu Wort meldete. Die 64-Jährige nutze die Bewerbungsrede, um zu erklären, dass sie aus Pflichtgefühl und Idealismus für das Amt zu kandidiere. Der Bundesverstand hätte sie aber zum Abschuss freigegeben, weil sei zum alten Kurs stehe.
„Wir holen uns unser Land zurück“, zitierte Sayn-Wittgenstein eine Rede des AfD-Bundestagsabgeordneten Marc Jongen zur deutschen Erinnerungskultur. Sie hätte sich mit dieser Rede „solidarisiert“, und fragte rhetorisch, warum sie nun als rechts „gebrandmarkt“ werde und antwortete sofort selbst: „Sogar in unserer Partei sind schon jene Kräfte am Werk, die am Tod unserer Nation mitwirken. Dies gilt es zu erkennen“. Großer Applaus für diese Worte.
Der Bundesvorstand und die Landtagsfraktion streben aber nicht bloß wegen solcher Reden eine Trennung zu der jetzt wiedergewählten Landesvorsitzenden an. Unter dem Vorsitz von Jörg Nobis hatte die Landtagsfraktion am 4. Dezember 2018 Sayn-Wittgenstein ausgeschlossen, da sie 2014 für den Verein „Gedächtnisstätte“ geworben hatte. Der Verfassungsschutz in Niedersachsen und Thüringen hat den Verein – mitgegründet von der Holocaust-Leugnerin Ursula Harverbeck – als rechtsextremistisch eingestuft. Dieser Verein ist auch auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD angeführt.
E-Mails belegen rechtsextreme Verstrickungen
Am 17. Dezember beschloss der Bundesvorstand wegen dieser Verstrickungen, die Parteiaufnahme von Sayn-Wittgenstein zu widerrufen und leitete ein Parteiauschlussverfahren ein. Ohne Erfolg, denn im Mai dieses Jahres entschied das Landesschiedsgericht in Kiel, dass die Juristin bis zu einer Entscheidung des Bundesschiedsgerichts „weiterhin als Mitglied“ zu behandeln sei.
Während der Auseinandersetzung war Sayn-Wittgenstein vom Landesvorsitz zurückgetreten. Bei der Abstimmung am Samstag warnte der unterlegene AfD-Kommunalpolitiker Waldheim vor dem „stetigen Blick zurück in die Vergangenheit“. Der 46-Jährige warb ohne ausreichenden Zuspruch für einen neuen Zusammenhalt im Landesverband, der die anhaltende Spaltung überwinden sollte.
Auffallend: Landesparteitag, Landesschiedsgericht und Bundesvorstand ignorieren, dass Sayn-Wittgenstein E-Mails versandte, die ihre rechtsextreme Vernetzung offenbarten. Die Kontakte reichen von Freunden der Waffen-SS, Holocaust-Leugnern und Verfechtern einer Reichsideologie bis zum internationalen Rechtsextremismus. Dies belegen knapp 80 gedruckte Seiten, die der taz vorliegen.
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