AfD-Bundesparteitag in Essen: Kein Bock auf Faschos
Die extrem rechte Partei will am Wochenende in Essen einen neuen Vorstand wählen. Doch auf die AfD warten im Ruhrgebiet massive Proteste.
„Zumindest werden wir es versuchen und die Anreise so schwierig wie möglich machen“, sagt Katharina Schwabedissen, eine der Sprecherinnen von „Widersetzen“. Aktivist:innen wollen dazu am Samstagmorgen schon ab 6 Uhr die Eingänge der Sperrzonen besetzen, die von der Polizei rund um die Grugahalle, also die große Messehalle der Stadt, eingerichtet werden. Denn durch die müssen alle Beteiligten, um zum Parteitag zu kommen.
„Wenn wir der AfD nicht aktiv den Raum nehmen, den sie sich nehmen will, werden wir die Ausbreitung des Faschismus nicht verhindern“, heißt es im Aktionsaufruf von „Widersetzen“ im Netz. Das Bündnis werde „Mittel des zivilen Ungehorsams, bei denen alle mitmachen können“, nutzen – und stellt klar: „Von uns geht dabei keine Gewalt und keine Eskalation aus.“
Hunderttausend könnten kommen
Dabei ist „Widersetzen“ nur eine von dutzenden Initiativen, die am Wochenende mitten im seit Jahrhunderten von Migration geprägten Ruhrgebiet gegen die AfD demonstrieren wollen. Die Reviermetropole steht vor den wohl größten Protesten der Stadtgeschichte.
Zwar wollen die Organisator:innen selbst keine konkrete Teilnehmer:innen-Zahl nennen. Allerdings: „Wir sind theoretisch darauf vorbereitet, gut 100.000 Menschen am Samstag mit unserem Liveprogramm zu erreichen“, sagt Florian Mamat, einer der Anmelder der Kampagne „Gemeinsam Laut“. Deren Aufruf haben mehr als 360 Organisationen unterschrieben haben – von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Bottrop über den regionalen DGB und den Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband bis hin zu Fridays for Future und den Omas gegen Rechts.
Los geht’s bereits am Freitagabend mit einer Rave-Demo. Vom Hauptbahnhof bis zum Messeparkplatz wollen Tausende unter dem Motto „Bass gegen Hass“ feiern. Mehrere DJs spielen auf zwei große LKW verteilt ihre Musik-Sets.
Schon gesperrt ist dann mit der Rüttenscheider Straße auch die wohl angesagteste Flaniermeile der Stadt. Am frühen Samstagmorgen starten dann die Aktionen von „Widersetzen“, und um 10 Uhr beginnt ein Demozug vom Essener Hauptbahnhof, der auch über die „Rü“, wie viele in der Stadt die Straße liebevoll nennen, läuft.
Ab 14 Uhr geht es mit einem Bühnenprogramm auf dem Messeparkplatz P2 weiter, von dem die Grugahalle zu sehen ist. „Wir haben hier Festivalstrukturen organisiert“, sagt Florian Mamat von „Gemeinsam Laut“. Bands wie Banda Senderos, Haller und der Singersongwriter Marlo Grosshardt treten auf – aber auch Redner:innen wie der Chef des Essener Chemiekonzerns Evonik, Christian Kullmann. Der 55-jährige Vorstandsvorsitzende warnt seit Monaten vor drohenden massiven Wohlstandsverlusten durch die AfD-Politik.
Unterstützung und Vorsicht bei Anwohner:innen
Auf einem „Markt der Möglichkeiten“ werden über 60 Organisationen ihre Alternativen zum Nationalismus der extrem Rechten vorstellen – mit Themen aus den Bereichen Gesellschaftliche Teilhabe, Arbeit und Wirtschaftswelt, Soziale Gerechtigkeit, Journalismus, Kunst und Kultur sowie Antisemitismus und Rassismus. Es gibt 17 Foodtrucks und Essensstände. Schon am Mittwochabend stand die Hauptbühne auf dem Messeparkplatz, außerdem große, weiße Kühlcontainer mit Getränken für Zehntausende. Übertragen wird das Bühnenprogramm zusätzlich auf einen riesigen Bildschirm.
Auf der Rüttenscheider Straße, wo die Leute in Second Hand Shops einkaufen, Galerien, Restaurants oder Theater besuchen, wo an den Wochenenden junge Leute in Kneipen und Clubs feiern, unterstützen viele Anwohner:innen die geplanten Proteste gegen die AfD. Man müsse sich gegen demokratiefeindliche Parteien wehren, heißt es immer wieder bei Gesprächen auf der „Rü“. Andere sind eher vorsichtig: Schulfeste und Geburtstagsfeiern werden verlegt. Und wer in der polizeilichen Sperrzone wohnt, darf am Wochenende nur nach Vorlage des Ausweises hinein oder heraus.
Fritz von Maltzahn wird die nächsten Tage wohl bei seinen Eltern verbringen. Er arbeitet im Geschenkeladen „The Poodles Core“ ganz in der Nähe der Grugahalle. Auch er findet die Demonstrationen „auf jeden Fall legitim“. Trotzdem wird sein Geschäft am Samstag schließen. Denn viele Geschäftsleute hier sind nervös. Manche wollen wohl auch ihre Schaufenster aus Angst vor Plünderungen mit Spanplatten verbarrikadieren.
„Ich weiß nicht, ob es so dramatisch wird“, sagt von Maltzahn. „Aber Respekt habe ich schon vor der Sache.“ Andere Geschäftsleute dagegen halten die Warnungen für völlig übertrieben: Sie wollen nicht schließen – und hoffen durch die vielen Menschen sogar auf höhere Umsätze.
Die Protest-Organisator:innen von „Gemeinsam Laut“ und „Widersetzen“ versichern immer wieder, dass es von ihrer Seite aus friedlich bleiben wird. „Wir haben einen gemeinsamen Aktionskonsens, in dem wir deutlich machen, dass wir auf Gewalt verzichten“, sagt Linda Kastrup, eine der Sprecher:innen von „Gemeinsam Laut“. Außerdem gebe es ein sehr ausgeklügeltes Sicherheitskonzept. Alassa Mfouapon von Widersetzen ergänzt: „Wir wollen so weit gehen, wie es möglich ist, ohne Gewalt einzusetzen.“
Protestcamp muss verlegt werden
Schlecht behandelt fühlen sich die Antifaschist:innen schon im Vorfeld von der Polizei. Im Stadtteil Essen-Werden wollten sie mit dem „Camp gegen Rassismus“ bis zu 4.000 Menschen einen Schlafplatz direkt an der Ruhr anbieten. Hier wird jedes Frühjahr das „Pfingst Open Air“ gefeiert, zu dem Zehntausende kommen. Platz ist also eigentlich genug da. Aber am Montag, zwei Tage vor Aufbaubeginn, verbot die Polizei das Camp an diesem Ort – angeblich vor allem aus feuerwehrtechnischen Sicherheitsbedenken.
„Wir haben das Camp am 2. Juni angemeldet, also mit extra viel Vorlaufzeit. Diese kurzfristige Absage können wir überhaupt nicht verstehen“, sagt Organisatorin Lea Sonnenberg wütend. Sie und andere Aktivist:innen hatten noch bis zum späten Mittwochabend darauf gehofft, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Entscheidung der Polizei kippen könnte. Doch vergeblich. Jetzt müssen sie auf eine Ausweichfläche in den Stadtteil Essen-Steele-Horst ziehen, der sehr viel weiter weg ist – und sehr viel schlechter angebunden.
Bei einer Pressekonferenz im Essener Polizeipräsidium am Dienstagmittag wollten Polizeipräsident Andreas Stüve und der leitende Polizeidirektor Detlef Köbbel nicht auf Details zu ihrem Umgang mit dem „Camp für Demokratie“ eingehen. Schließlich werde es ja nicht verboten, sondern nur verlegt, erklärte Köbbel.
Neben „mehreren zehntausend“ friedlich Protestierenden rechnet er „beim größten Polizeieinsatz, den es in Essen bis dato gegeben hat“, auch mit einer „dreistelligen Anzahl gewaltbereiter Störer“, die aus dem gesamten Bundesgebiet anreisen könnten. „Wir sind nicht blauäugig“, warnte der leitende Polizeidirektor.
Polizeipräsident zeigt sich gut vorbereitet
Zwar finde er friedliche Proteste „als Privatmann unterstützenswert“, erklärte Köbbel. Als Einsatzleiter aber müsse er am Wochenende das Versammlungsgesetz durchsetzen. Und das gebiete den Schutz jeder angemeldeten Versammlung – also auch des AfD-Bundesparteitags und mit seinen 600 Delegierten und bis zu 1.000 angemeldeten Medienvertreter:innen und Besucher:innen.
Die Essener Polizei, die Verstärkung aus Nordrhein-Westfalen wie aus weiteren Bundesländern angefordert hat, arbeite seit Monaten an den Einsatzplanungen und sei „gut vorbereitet“, versuchte Köbbel besorgte Anwohner:innen zu beruhigen: Selbstverständlich könnten sie auch am Wochenende ihre Wohngebiete verlassen oder Besuch empfangen. Immer mit dabei sein sollten allerdings Ausweispapiere – und wegen der anstehenden Kontrollen: „mehr Zeit“.
Die Strategie von „Widersetzen“, die Anreise von Parteitagsdelegierten zumindest zu verzögern oder gar zu „verhindern“, könnte gleichwohl aufgehen. „Die Delegierten reisen selbstständig an“, erklärte der Einsatzleiter auf Fragen zu möglichen Blockaden. Klar sei, dass die Polizei „nicht die Anreise jedes einzelnen Delegierten schützen“ werde können. Möglich sei dies nur bei als besonders gefährdet geltenden, bundesweit bekannten AfD-Politiker:innen. Doch das seien „nur zwei Hände voll“.
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