piwik no script img

Adventskalender (5)Illegal, legal, egal

Die Initiative 9-Euro-Fonds erstattet ihren Mit­glie­der*in­nen die Gebühren für ticketloses Fahren. Das gilt neuerdings auch für weitere Fahrgäste.

9-Euro-Fonds setzt sich ein für Solidarität in der S-Bahn Foto: Fabian Sommer/dpa

Es gibt sie noch, die nicht ganz so schlechten Dinge – auch wenn sie derzeit rar gesät sind. In diesem Advent zaubern wir jeden Tag etwas Meckerfreies aus unserem Kalender. Sei's kulinarisch oder klimatisch, mobil oder musikalisch. Oder, wie heute, mal klassisch politisch.

Bomberjacke, Bauchtasche, grimmiger Blick und die Ankündigung: „Fahrscheine bitte!“ – es ist die Hass- und Schreckensfigur vieler Berliner*innen. Zumindest den Schrecken hat die Initiative 9-Euro-Fonds den Kon­trol­leu­r*in­nen aber genommen. Sie führt das 9-Euro-Ticket zivilgesellschaftlich weiter und setzt sich damit für einen bezahlbaren Nahverkehr für alle ein.

Das Konzept funktioniert ganz einfach: Mitglieder zahlen monatlich 9 Euro in einen Spendenfonds. Wird man in Bus oder Bahn kontrolliert, zahlt die Initiative das erhöhte Beförderungsentgelt. Aus dem 207.842 Euro-schweren Spenden-Topf wurden bislang mehr als 2.500 Knöllchen ausgezahlt.

Damit setzt sich die Initiative für ein Ende der „Regierungspolitik für Reiche und die Autolobby“, den Ausbau des ÖPNV sowie die Entkriminalisierung von Fah­re­r*in­nen ohne Fahrschein ein. Unterstützt werden sie unter anderem von der Initiative Freiheitsfonds, die Menschen aus Gefängnissen freikauft, die wegen Schwarzfahren Ersatzfreiheitsstrafen verbüßen.

Um so viele Menschen wie möglich davor zu bewahren, hat der 9-Euro-Fonds sein Angebot nun ausgeweitet: Neuerdings kann jedes Mitglied einmal im Monat eine weitere Person von ihrem Knöllchen befreien. Wer mitbekommt, dass eine Person ohne Fahrschein kontrolliert wird, kann ihr erhöhtes Beförderungsentgelt aus dem Soli-Topf mitbezahlen lassen. „Mit der Ausweitung sollen sich Menschen gegenseitig vor der drohenden Armutsspirale schützen“, so Kampagnensprecher Leo Maurer.

Eingeführt wurde die neue Funktion am 1. Dezember als Reaktion auf den Eckpunkteplan des Bundesjustizministers Marco Buschmann (FDP). Bislang konnten Menschen für das Fahren ohne Fahrschein eine Haftstrafe von bis zu einem Jahr erhalten. Dafür wurden ihnen die Kosten für das ungezahlte Ticket erlassen. Nun sollen Menschen maximal 3 Monate in Haft kommen dürfen, dafür müssen sie jedoch die Kosten für das ungezahlte Ticket in jedem Fall zahlen. Die Menschen würden mit Schulden aus dem Gefängnis entlassen und die Armmutsspirale ginge weiter, kritisiert Maurer. Er befürchtet mit Buschmanns Reform ein „Weiter so unter anderem Namen.“

Deshalb nutzt die Initiative die emotionale Weihnachtszeit der Gnadenerlasse, um auf sich aufmerksam zu machen. So auch der Freiheitsfonds, der an diesem Dienstag 26 Ber­li­ne­r*in­nen freikauft, die wegen Fahren ohne Fahrschein in Haft sitzen. Bundesweit sind es über 70 Menschen. Unter dem Motto „Keine Endstation Knast beim Fahren ohne Ticket“ laden sie um elf Uhr am Ostkreuz zu einer Protestlesung von Briefen von Betroffenen aus der Haft ein. Lilly Schröder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Das ist endlich mal etwas, das ich unterstütze. Weiter so.

  • Warum nur im ÖPNV?

    • @Suryo:

      Gute Frage. Warum ist Schwarzfahren besser als Ladendiebstahl, Zechprellerei, Einbrüche etc.? Warum ist es ok, ausgerechnet ein öffentliches Unternehmen zu beklauen, dass das Geld, dass es verdient, in Nachhaltigkeit und Klimaschutz investiert? Warum will man ein System unterlaufen, dass auf Vertrauen basiert und uns allen das Leben leichter macht, in dem es auf Sperren und die Pflicht, bei jeder Fahrt die Fahrkarte vorzuzeigen verzichtet, wie das in anderen Ländern üblich ist? Der Verkehrswende ist damit jedenfalls nicht gedient.

      • @Ruediger:

        Völlig richtig.

        Wahrscheinlich ist das so ähnlich wie bei Graffiti: Häuserwände und öffentliches Eigentum werden beschmiert, Autos nicht. Weil man bei denen nicht ausblenden kann, dass sie jemandem gehören.

  • Das ist doch ein klassisches Schneeballsystem. Es funktioniert nur wenn die Zahl der Mitglieder signifikant schneller wächst als die Bußgelder. Scheinheilig…

    • @alterego:

      Naja, theoretisch könnte man es leicht kollabieren lassen. Es müssten sich nur kurzfristig mehrere hundert Leute ohne Fahrschein erwischen lassen...zack, schon ist der Verein pleite.

      Und genau wegen solch simpler Zusammenhänge ist der ÖPNV eben nicht gratis. Er fährt diese Leute nur deswegen, weil andere ehrlich sind und bezahlen.