Adbusting gegen Corona: Noch ein illegaler Demozug
Protestieren wie Werber: Weil andere Aktionsformen in Zeiten von Corona rigoros unterbunden werden, setzen Aktivisten in Berlin auf Adbusting.
Außerhalb des Internets bleibt kaum Raum, politisches Missfallen zu äußern. Etwa, wenn man es für erbärmlich hält, dass Deutschland 80.000 Spargelstecher:innen einfliegen will, es aber seit Wochen nicht hinbekommt, 1.500 Minderjährige aus griechischen Flüchtlingslagern zu evakuieren. Legitim erscheinen in Folge klandestine Protestformen, die nicht auf Infektionsschutz, dafür aber auf Anmeldungen verzichten wollen.
Wohl auch deshalb haben vor einer Woche Adbusting-Kollektive zugeschlagen und unter anderem eine BVG-Werbung zu einer politischen Kundgebung gemacht. Adbusting ist eine sich zunehmender Beliebtheit erfreuende Protestform, die darauf setzt, im öffentlichen Raum Irritationen auszulösen. Oftmals verfremden Aktivist:innen Werbeplakate auf humorvolle Weise, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Adbusting richtet sich gegen Sexismus, Bundeswehr und Exekutive. Jetzt widmen sich in Berlin Aktivist:innen der Beschneidung der Freiheitsrechte und der Frage, inwiefern die Pandemie soziale Ungleichheiten verschärft.
Als Grundlage dafür diente ein Bauzaun der U5-Baustelle vor dem Roten Rathaus, auf dem eine etwa 50 Meter lange BVG-Werbung angebracht ist: eine im Comic-Stil gezeichnete U-Bahn mitsamt Fahrgästen. Ihnen haben die Adbuster:innen in Sprechblasen Kommentare in den Mund gelegt. Die Aktion wirkte so wie eine Versammlung vor dem Rathaus.
Grüße an Xavier Naidoo
Ein Motz-Verkäufer sagt auf dem verfälschtem Plakat etwa: „Zu Hause bleiben kann nur, wer ein Zuhause hat.“ Einem Mann mit orangefarbener Warnweste ist die Sprechblase „Adbusting entfernen ist kein systemrelevanter Job“ in den Mund gelegt. Und auch Verschwörungsideolog:innen bekommen eins mit: „Antisemitismus bekämpfen statt Verschwörungstheorie teilen“ sagt eine Frau beim Selfie mit lässiger Sonnenbrille.
Ein Typ mit swaggy umgedrehtem Cap ist sogar zweimal abgebildet, einmal mit goldener Dollarzeichenkette und einmal mit lila Schal. Damit die Zwillinge sich weiter fancy Modeacessoires leisten können, fordern sie: „Miete statt Grundrechte beschneiden“ und „Corona trifft die Masse: Weg mit ‚privat‘ oder Kasse!“ Daneben lächelt eine strickende Oma und fordert „Krankenhäuser statt Bundeswehr“.
Warum die Werber daneben auch noch den Bundesadler, besser bekannt als fette Henne, in die U5 haben steigen lassen, wird wohl ewig ihr Geheimnis bleiben. Eine politische Botschaft verkündet das wohlgenährte Wappentier dennoch: „Solidarität statt Euer Volksgemeinschaft“. So bildet der Zug trotz grammatikalischer Ungenauigkeit eine bunte Demo. Kommunikationsgueriller@s nennen die Aktion auf Indymedia dann auch „Demozug“.
Eine Aktivistin sagt dort: „Da wir aufgrund des notwendigen Social Distidingsbums aktuell keine großen Demonstrationen für sinnvolle, politische Maßnahmen im Angesicht der kapitalistischen Dauerkrise veranstalten können, macht das jetzt die BVG-Werbung für uns.“ Weiter wolle der Protest auf die Krisenanfälligkeit der Kapitalismus aufmerksam machen: „Die Corona-Krise zeigt erneut, wie verletzlich diese Systeme sind und wie schnell sie Menschen ihre Lebensgrundlage entziehen.“
Die emanzipatorische Linke müsse Utopien wagen, „Autonomie und Kooperation statt Herrschaft!“ fordern. Und weil herkömmliche Protestformen nicht mehr zulässig seien, brauche es jetzt außergewöhnliche Mittel des Protests“, so eine Aktivistin. Ebenso forderte das „Demozug-Bündnis“ dazu auf, mitzumachen. Man solle den gedruckten Zug vor dem Roten Rathaus in den nächsten Tagen besuchen und gerne selbst Forderungen ergänzen. Blöd nur, dass die BVG mittlerweile sämtliche Sprechblasen wieder entfernen ließ. Die Bekämpfung von Adbusting ist also scheinbar doch systemrelevant.
Aber beispielhaft war die Aktion dennoch: Auch andere Bündnisse setzen mittlerweile auf die Straße. In der Hasenheide sind an zahlreichen Stellen Fußabdrücke aufgemalt, die von dem Spruch des Seebrücken-Bündnisses #Leavenoonebehind wegführen.
Nur zwei Tage vor der Adbusting-Aktion an der U5 hatten Aktivist:innen auch Plakate in Werbevitrinen vor der Landesvertretung Baden-Württemberg ausgetauscht. Dort stand „Wir können alles. Sogar Militäreinsatz.“ mit der Bebilderung der bekannten Image-Kampagne des Bundeslandes. Hintergrund sei der schwäbische Plan, „bewaffnetes Militär mit Polizeiaufgaben auf die Straße zu schicken“, wie es zur Erklärung hieß.
Nur: Ungefährlich für Aktivist:innen sind diese Aktionsformen keineswegs. Zuletzt gab es in Berlin sogar Hausdurchsuchungen wegen Adbusting, auch ein Gerichtsverfahren führte die Staatsanwaltschaft wegen vermeintlichen schweren Raubs von Plakaten (die taz berichtete). Zuletzt hatte Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Linke) es zudem als „lächerlich“ kritisiert, dass Adbusting sogar im Verfassungsschutzbericht auftaucht – im Abschnitt „gewaltorientierter Linksextremismus.“
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