Abtreibungsgesetz in Texas: Das Herz schlägt schon
Texas hat mit seinem „Herzschlag-Gesetz“ eine neue Waffe gegen das Recht auf Abtreibung geschaffen. Aktivist*innen mobilisieren zu Protesten.
Empfohlener externer Inhalt
Die Rednerinnen sprechen von einem Podium auf der Südseite des Kapitols in der texanischen Hauptstadt Austin. Auf der Wiese und auf den Parkwegen zu ihren Füßen stehen und sitzen Tausende von Frauen und ein paar Hundert Männer und Kinder. Ihre Stimmung ist kämpferisch. Frauen skandieren: „Unsere Körper, unsere Entscheidung“. Und sie schwören, dass sie nicht bereit sind, ihre Rechte wieder aufzugeben.
Viele Demonstrant*innen haben handgemalte Schilder mitgebracht. Auf manchen sind Eierstöcke zu sehen, von denen einer wie eine Faust aussieht. Auf andere sind Kleiderbügel gemalt, die an lebensgefährliche Abtreibungen unter den Bedingungen von Illegalität erinnern.
Mehr als 660 Demonstrationen finden an diesem Samstagvormittag quer durch die USA statt. Aufgerufen haben Dutzende von Frauengruppen, große Beratungszentren wie das nationale Netzwerk „Planned Parenthood“, das in über 600 eigenen Kliniken landesweit medizinische Versorgung für Frauen anbietet, sowie Menschenrechtsorganisationen. Sie verteidigen in Großstädten und kleinen Orten in allen 50 Bundesstaaten das Recht auf Schwangerschaftsabbruch.
Ein Gesetz voller Tricks
Aber das Zentrum des Geschehens ist Texas. Dort finden an diesem Tag 35 Demonstrationen statt – davon die größte in der Hauptstadt Austin, mit über tausend Protestierenden vor dem Kapitol, in dem die Mehrheit aus republikanischen Abgeordneten das rigideste Abtreibungsgesetz der letzten Jahrzehnte in den USA angenommen hat.
Seit es am 1. September in Kraft getreten ist, sind mehr als 85 Prozent aller Abtreibungen, die zuvor legal waren, in Texas verboten. Um Anfechtungen abzuschmettern, haben sich die Autoren des Gesetzes mehrere Tricks ausgedacht: Nicht staatliche Behörden, sondern Privatleute übernehmen es, die „Straftat“ aufzudecken. Und im Visier sind nicht die Frauen selbst, die abtreiben, sondern all jene, die ihnen dabei helfen – von Nahestehenden, die ihnen Geld geben, über Taxifahrer, die sie transportieren, bis hin zu Krankenpflegern und Ärzten, die den Eingriff durchführen.
Wenn „illegale Abtreibungen“ nachgewiesen werden können, winken den Denunzianten Belohnungen, die bei 10.000 Dollar anfangen und nach oben offen sind und die von „Helfern und Unterstützern“ gezahlt werden müssen.
„Derselbe Mist – aber in einem neuen Jahrhundert“, ist in Austin auf einem Transparent zu lesen. Manche Frauen sind an diesem Tag mit ihren erwachsenen Enkelinnen gekommen. Die meisten Demonstrant*innen sind erst nach der Grundsatzentscheidung „Roe v. Wade“ des Obersten Gerichtes von 1973 zur Welt gekommen. Damals entschied das Gericht, dass eine Schwangerschaft bis zu dem Zeitpunkt beendet werden darf, in dem ein Fötus außerhalb des Uterus lebensfähig ist. Das ist erst frühestens nach 22 Wochen der Fall.
Die Konservativen versuchen seit Jahrzehnten jene historische Entscheidung umzustürzen. Das Gesetz aus dem Kapitol in Austin ist dabei ihr bislang größter Erfolg. Von den wenigen Abtreibungszentren in Texas, die trotz immer neuer Auflagen und Gesetze noch bis Ende August in Texas operierten, bietet seit Anfang September keines mehr Schwangerschaftsabbrüche jenseits der sechsten Woche an.
Für ungewollt schwangere Texanerinnen haben sich damit neue Hürden aufgetürmt. Jene, die es sich leisten können, fahren in Nachbarstaaten. Andere leiten den Abbruch mit Pillen ein. Aber viele sind zum Kinderkriegen gezwungen.
Unterdessen schicken sich US-Republikaner in anderen Bundesländern an, das texanische Modell zu kopieren. „Es kann jede von uns direkt vor unserer Haustüre treffen“, sagt Alexis McGill Johnson, die Chefin von Planned Parenthood am Samstag bei der Demonstration in der 2.500 Kilometer von Austin entfernten US-Hauptstadt. In Washington sind die Demonstrant*innen vor das Oberste Gericht gezogen, wo seit den drei Neubesetzungen aus der Amtszeit von Präsident Donald Trump eine konservative Mehrheit das Sagen hat.
Die Frauenrechtlerinnen stehen mit dem Rücken zur Wand. McGill hat in den zurückliegenden Jahren fast 600 Einschränkungen des Rechts auf Abtreibung quer durch die USA gezählt. „Abtreibung gehört zu der grundlegenden Gesundheitsversorgung für Frauen“, sagt sie zu der Menschenmenge in Washington.
In Austin beschreiben Gynäkologinnen am Samstag erste Dramen, die das neue Gesetz in ihren Praxen ausgelöst hat. „SB8“, wie das Gesetz abgekürzt heißt, verbietet Abtreibungen nach der sechsten Woche auch in Fällen von Inzest und Vergewaltigung und wenn der Fötus nicht lebensfähig ist. Der Fötus einer Patientin von Vanessa Yium hatte eine schwere genetische Störung. Aber die Patientin war bereits länger als sechs Wochen schwanger. Eine Patientin von Renu Chalasani, die ebenfalls bereits jenseits der texanischen Deadline war, kam mit einer Eileiterschwangerschaft in ihre Praxis.
Anzeigen riskieren
„Wir sind keine Anwältinnen“, sagt Chalasasani auf der Südseite des Kapitols in Austin, „Politik hat in den Wänden eines Krankenhauses nichts zu suchen“. Sie und ihre Kollegin überwiesen ihre Patientinnen zu Abbrüchen – wohl wissend, dass sie dabei Anzeigen riskieren.
Die Anwältin Myers hat von Austin aus bereits 13 Verfahren gegen das neue Gesetz angestrengt. Sie sind nur ein kleiner Teil des umfassenden Rechtsstreits, der jetzt über das texanische Gesetz tobt. Auch die Bundesregierung in Washington hat sich eingeschaltet. In einem ungewöhnlichen Schritt hat das Bundesjustizministerium gegen Texas geklagt, weil es in dem Gesetz SB8 die Absicht erkennt, das Grundsatzurteil von 1973 zu untergraben.
Gegenüber dem, was als Nächstes droht, könnte der Streit über Texas’ Gesetz schon bald in den Hintergrund treten. Der Bundesstaat Mississippi hat einen noch grundsätzlicheren Angriff gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Form eines Gesetzes vorgelegt. Mehrere Gerichte haben es für verfassungswidrig erklärt. Aber nun liegt es auf dem Tisch des Obersten Gerichtes. Sollten die Richter Mississippi zustimmen, könnte anschließend jeder Bundesstaat nach politischem Gutdünken Schwangerschaftsabbrüche für illegal erklären.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt