Abschwung-Prognose des Finanzministers: Was hinter Scholz' Warnung steckt
Die fetten Jahre seien vorbei, warnt Finanzminister Scholz. Ein kluger Schritt, um ein Steuergeschenk für Reiche zu verhindern.
Es gibt den schönen Satz, dass von den letzten drei Krisen mindestens fünf vorhergesagt wurden. Nichts schmückt so sehr, wie die Kassandra zu geben. Kommt es besser als behauptet, sind alle dankbar und keineswegs verärgert, dass die Prognose falsch war. Wer von Gefahren raunt, dem ist gefahrlos Aufmerksamkeit sicher.
Finanzminister Olaf Scholz (SPD) wendet also eine altbekannte Taktik an, wenn er jetzt warnt, dass „die fetten Jahre vorbei“ seien. Originell ist diese Botschaft auch nicht: Die Börsen sind schon seit sechs Monaten im Krisenmodus. Der deutsche Aktienindex DAX ist im vergangenen halben Jahr um etwa 15 Prozent gefallen.
Die Gründe sind schnell aufgezählt: China schwächelt, ein unkontrollierter Brexit droht, US-Präsident Trump beginnt immer neue Handelskriege, die Eurozone lahmt, und die deutsche Autoindustrie baut weiterhin schmutzige Dieselfahrzeuge. Allerdings sollte man das Drama auch nicht übertreiben: Zuletzt mag der DAX zwar gefallen sein, aber die Aktienkurse sind keineswegs im Keller, sondern liegen immer noch höher als vor drei Jahren. Die Stimmung ist besser als gefühlt.
Man könnte Scholz’ Kommentare also kommentarlos übergehen, hätte er nicht einen interessanten Zusammenhang hergestellt. Er beschwört nicht absichtslos die Krise – sondern er will CDU und CSU stoppen. Seine Koalitionspartner dringen nämlich darauf, den „Soli“ komplett abzuschaffen, was zehn Milliarden Euro pro Jahr kosten und nur den Wohlhabenden nutzen würde. Dieses Steuergeschenk an die Reichen will Scholz verhindern – indem er vor leeren Kassen warnt. Die prognostizierte Krise, wie (un-)wahrscheinlich auch immer, ist Mittel zum Zweck.
Soli längst nicht mehr für Einheit
Am eigenen Beispiel hat Scholz vorgerechnet, wie profitabel es für ihn wäre, wenn der Soli gestrichen würde: Als Finanzminister verdient er 180.000 Euro im Jahr. Ohne Soli würde er 3.600 Euro an Steuern sparen. Ein Millionär würde gar mit 24.000 Euro beschenkt.
Viele Normalverdiener hingegen haben nichts davon, dass beim Soli gestrichen wird – weil sie gar keinen Soli zahlen. Der Soli ist ein Zuschlag von 5,5 Prozent, der auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer erhoben wird. Er fällt also nur an, wenn man Steuern zahlt. Viele Arbeitnehmer führen aber fast keine Einkommensteuern ab, weil ihre Gehälter zu niedrig sind. Nur ein Beispiel: Ein Familienvater mit zwei Kindern zahlt den Soli erst, wenn er mehr als 52.000 Euro im Jahr verdient.
Wer jetzt an seinen Lohnzettel denkt, der staunt vielleicht: Das Netto ist doch so viel geringer als das Brutto! Aber die normalen Angestellten werden nicht durch die Einkommensteuern belastet – sondern durch die Sozialabgaben, die in voller Höhe anfallen, sobald man mehr als 850 Euro im Monat verdient.
Den meisten Deutschen ist nicht bewusst, dass das nächste große Steuergeschenk an die Reichen droht. Sie halten das Thema „Soli“ für sterbenslangweilig und längst überholt. Denn der Solidarzuschlag, man erinnert sich, wurde eingeführt, um die Wiedervereinigung zu finanzieren. Doch der Zusammenbruch der DDR ist lange her, und die Sonderhilfen für Ostdeutschland enden in diesem Jahr. Da scheint es naheliegend, so suggerieren es Union und FDP, auch den Soli ins Reich der Geschichte zu befördern.
Die Soli-Abschaffer verschweigen, dass der Soli schon seit 1995 gar nicht mehr die Einheit finanziert, sondern in den Bundeshaushalt fließt. Dort wird er dringend gebraucht, weil die Wohlhabenden schon anderswo enorm entlastet wurden. Die Vermögensteuer wurde gestrichen, die Erbschaftsteuer stark verwässert und der Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent gesenkt. Immer profitierten die Reichen, während Otto Normalverbraucher jetzt 19 statt 16 Prozent Mehrwertsteuer zahlen muss.
Es geht um zehn Milliarden Euro im Jahr. Das klingt abstrakt. Aber wie knapp das Geld beim Staat ist, zeigt schon eine Zahl: 50 Milliarden wären nötig, um alle Schulen zu sanieren. Von Straßen, Brücken und Eisenbahnstrecken ganz zu schweigen.
Eine Krise ist nie schön. Aber sie hätte ihr Gutes, wenn sie verhindert, dass Steuergeschenke an die Reichen verteilt werden, die selbst im Boom nicht finanzierbar sind.
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