Abschlüsse bei PolitikerInnen: Die guten Leute
PolitikerInnen ohne Studienabschluss wird oft fehlende Kompetenz nachgesagt. Doch das wertet genau die Menschen ab, die harter Arbeit nachgehen.
B raucht man fürs Parlament einen Hochschulabschluss? Besser isses, würde der Brandenburger sagen. Um dann im nächsten Satz zu erklären, dass er den Quatsch, den die da in Berlin verzapfen, auch noch mit zwei-acht im Turm hinkriegen würde. Was so nicht stimmt, aber der Brandenburger muss gewohnheitsmäßig einfach ein bisschen rumtettern. Dabei ist er an sich nett.
In der zurückliegenden Woche hat ja bekanntlich Kevin Kühnert erklärt, er wolle sein Amt als Juso-Vorsitzender abgeben und für den nächsten Bundestag kandidieren. Das mag für einige eine gute, eine sehr gute Nachricht sein. Für andere jedoch ist der Studienabbrecher Kühnert ein basislinker Spinner, der noch nix auf die Kette gekriegt hat – jedenfalls keinen Studienabschluss – und jetzt sein Heil im Parlament sucht. Als weiteres Beispiel des Karrierehungers wird gern der ehemalige Chef der Jungen Union, Paul Ziemiak, angeführt. Ziemiak, 34, hat auch kein abgeschlossenes Studium.
Mich macht diese Erbsenzählerei regelmäßig fuchsig. Nicht nur, weil auch ich kein abgeschlossenes Studium habe. Sondern weil in solchen Situationen der Bildungsdünkel unverhüllt sichtbar wird. Ja, es wäre wirklich schöner, wenn Menschen ausreichend Zeit und Geld hätten, um sich in aller Gemütsruhe ausgiebigen Studien, Praktika und Auslandssemestern hinzugeben.
Aber hey, so ist es eben oft nicht im Leben. Es muss Geld verdient werden, Kinder wollen großgezogen, Eltern gepflegt werden. Manchmal, wie bei mir, kommt ein politischer Umbruch dazwischen. Prioritäten können sich ändern. „Kreißsaal – Hörsaal – Plenarsaal“, dieser Marschplan bleibt den allerwenigsten vorbehalten.
Harte Arbeit
Und damit das hier nicht klingt, als wäre alles außer einem Hochschulabschluss nicht anzustreben: Manche Menschen (eigentlich die meisten) tun einfach gerne das, was sie gut können. Sie werden darin mit der Zeit sogar immer besser. Als junge Frau habe ich den schönen Beruf der Schriftsetzerin erlernt. Das hat Spaß gemacht, war ziemlich herausfordernd, und die Kohle hat auch gestimmt. Aber es war auch anstrengend und ungesund. Und irgendwann habe ich mich auf einen Studienplatz beworben. Ende der Geschichte.
Was mir geblieben ist aus dieser Zeit mit Norm und Schichtarbeit, ist großes Verständnis für Leute, die hart arbeiten und dabei ruhig auch mal schlechtgelaunt sein dürfen. Auch für Leute, die sich ihre Ausbildung oder ihr Studium selbst finanzieren müssen. Das sind nämlich genau jene, die den Bescheidwissern bei ihren hochwichtigen Gesprächen den Flat White kredenzen und anschließend deren durcheinandergeraschelte Zeitungen wieder ordentlich zurück ins Regal räumen.
Es sind die, die Lastenräder reparieren und das Hotelzimmer putzen. Es sind gute Leute. Ob Kevin Kühnert ein Guter ist, weiß ich nicht. Aber dass ein Studienabschluss keine Grundvoraussetzung für den Politikerberuf ist, ist mal sicher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen