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Abschiebungen nach SyrienSeehofers Weihnachtswunsch

Innenminister Seehofer will wieder in das Bürgerkriegsland abschieben. Die SPD-Länder wollen nicht mitmachen. Ab Donnerstag beginnen Beratungen.

Zerstörte Gebäude am südlichen Stadtrand von Damaskus Foto: Omar Sanadiki/reuters

Berlin taz | Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsräte haben am Montag an die Innenminister appelliert, den geltenden generellen Abschiebestopp nach Syrien zu verlängern. „Schon die Forderung durch einzelne Innenminister, den Syrien-Abschiebungsstopp aufzuheben, ist ein fatales Zeichen“, sagte Ferdinand Dürr von der Syrien-Initiative Adopt a Revolution. Das Assad-Regime sei eine der brutalsten Diktaturen derzeit und gehöre vor Gericht und nicht an einen Verhandlungstisch. Um Abschiebungen zu ermöglichen, müsste die Bundesregierung wieder diplomatischen Kontakt mit Syrien aufnehmen.

Der Aufruf, den unter anderem auch der Paritätische Gesamtverband und ProAsyl unterschrieben haben, weist darauf hin, dass in Syrien weiterhin flächendeckend und systematisch gefoltert werde. Das zeige unter anderem der Prozess am Oberlandesgericht Koblenz, wo sich zwei ehemalige Mitarbeiter des syrischen Geheimdiensts verantworten müssen.

Der Abschiebestopp, der 2012 beschlossen und seitdem mehrfach verlängert wurde, läuft Ende Dezember aus. Die Innenministerkonferenz (IMK), die Donnerstag und Freitag in einer Onlineschalte zusammenkommt, muss über eine erneute Verlängerung beraten. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte sich im Vorfeld dagegen ausgesprochen.

„Ich werde bei der Innenministerkonferenz dafür eintreten, dass wir anstelle eines generellen Abschiebestopps künftig zumindest für Straftäter und Gefährder wieder im Einzelfall prüfen, ob Abschiebungen nach Syrien möglich sind“, hatte Seehofer im Oktober unter Eindruck des islamistischen Anschlags auf ein schwules Paar in Dresden gesagt, bei dem ein Mann ermordet wurde. Der Tatverdächtige kommt aus Syrien.

Bereits bei der Innenministerkonferenz im Mai hatten Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen zu Protokoll gegeben, sie plädierten beim Thema Abschiebeverbot für „eine differenzierte Betrachtung“ von Menschen, die sich als Anhänger von Präsident Baschar al-Assad zu erkennen gegeben oder zwischenzeitlich wieder in Syrien aufgehalten hätten.

IMK sieht kaum Chancen für Seehofer

Grundlage der Entscheidung der Innenminister soll ein aktueller Lagebericht des Auswärtigen Amts über die Situation in Syrien sein. Dieser werde aktuell erstellt, sagte eine Sprecherin. Sie äußerte sich zurückhaltend zu den Überlegungen aus dem Innenministerium. Die humanitäre Lage in Syrien sei „katastrophal“, die politische Lage „komplex“. Rückkehrer seien weiterhin zahlreichen Gefahren ausgesetzt. „Das Regime geht weiter rücksichtslos gegen die Bevölkerung vor.“ Im Lagebericht vom Mai hatte es geheißen: „Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen abgenommen haben, besteht weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden.“

Der Vorsitzende der IMK, Thüringens SPD-Innenminister Georg Maier, sieht nur „geringe Chancen“ für Seehofers Vorschlag. Die SPD-Innenminister würden diesen „aus rechtlichen und praktischen Gründen nicht mittragen“, sagte er der Neuen Osnabrücker Zeitung. Nach den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit würden auch Straftäter das Recht auf Asyl genießen. Zudem scheitere Seehofers Vorschlag schon an der Umsetzung: „Wie sollen wir Abschiebungen vornehmen, ohne dass wir diplomatische Beziehungen haben?“ Maier warf Seehofer Symbolpolitik vor.

Für Beschlüsse der IMK gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Eine mögliche Lösung: sich im Frühjahr nach einer Verlängerung um ein halbes Jahr wieder damit zu befassen.

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12 Kommentare

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  • Eine These wäre: CDU / CSU braucht gerade mehr mediale Aufmerksamkeit. Herr Seehofer bringt dann eine provozierende und emotional aufregende Position in die Debatte hinein: Menschen kurz vor dem christlichen Weihnachtsfest nach dem kriegsverzehrten und vom Diktator geführten Syrien abschieben - jawohl.

    Der Minister und CDU / CSU bekommen dann gleich große Aufmerksamkeit. Weitgehend negative Aufmerksamkeit aber alles ist bessere als keine Aufmerksamkeit. Am besten taucht dann im nächsten Schritt jemanden aus den eigenen CDU / CSU – Reihen auf und kritisiert und relativiert die Position vom Minister und tritt dann noch gleich als Retter (faktisch vor die eigene Partei) auf. Und die Konservativen haben dann vor der Wähler:innenschaft scheinbar etwas Gutes und Mitmenschliches in schweren Zeiten getan.

  • Woher wissen Sie, was 'der kleine brave Bürger' fühlt? Und wer sind dann Sie? Ich mag solchen Diskussionsstil einfach nicht.

    • @resto:

      Ich bin auch eine kleine Bürgerin d.h. eine normale Bürgerin ohne öffentliche Position. Mit "brav" meine ich Menschen die einen Hang zur Obrigkeitshörigkeit haben also das was z.B. unser Innenminister Seehofer sagt für rechtens und richtig halten ohne es zu hinterfragen oder mal zu recherchieren ob es denn auch rechtens ist. Auch in meinem Bekanntenkreis offenbarten Menschen von denen ich das nie erwartet hätte plötzlich Abgründe von Hass auf bestimmte Gruppen z.B. Juden, Geflüchtete, Muslime ohne dass sie etwa persönlich auch nur eine oder gar laufend schlechte Erfahrungen mit den Personen ihres Hasses gemacht hätten. Wenn ich die Chance habe unterhalte ich mich weiter mit ihnen, frage nach wie sie jetzt darauf kommen und wieso sie ihre Meinung für so unumstößlich korrekt halten. Und dann kommt da oft der Verweis auf Politiker:innen wie Seehofer aber auch von SPD oder der Linken die öffentlich Geflüchtete diffamierten oder wie im aktuellen Beispiel Abschiebung in einen Folterstaat fordern. Es würde ja keiner für einen deutschen Straftäter Folter fordern oder das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren generell absprechen, für Menschen der Hassgruppe hingegen gelten dann die Grundlegenden Menschenrechte nicht mehr. Sie werden entmenschlicht. Wir hatten die massiv von oben propagierte Entmenschlichung schon mal in unserer Geschichte. Ich will hier keine direkten Vergleiche ziehen aber jeder Versuch Gruppen zu entmenschlichen und ihnen die fundamentalen Menschenrechte abzusprechen müssen auch die kleinen Bürger:innen eines jeden Landes vehement mit ihren Mitteln entgegen treten. Jedenfalls will ich nicht in einem Land leben in dem keiner mehr widerspricht wenn Menschengruppen entmenschlicht werden und wenn hier ja auch noch eindeutig gegen zwingendem Völkerrecht polemisiert wird bin ich schockiert dass da so wenig Gegenrede auch aus der Politik, auch aus den C-Parteien kommt in denen es ja durchaus auch Fans von (auch internationalem) Recht und Gesetz gibt.

      • @Nina Janovich:

        Hat die Ablehnung etc. immer mit Hass zu tun oder ist es ein Zeichen der Überforderung und Angst, zum Beispiel um den eigenen Wohlstand, kulturelle Herausforderungen, Solidarsystem?

  • @PETER BÄHR

    "überpositives Recht" == "Naturrecht".

    Zu Deutsch "das, was mir [d.i. PETER BÄHR] 'natürlich' erscheint".

    Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt, die Genfer Flüchtlingskonvention kann mich am A**** lecken?

    Das ganze natürlich pseudowissenschaftlich verpackt.

    Den Rest verkneife ich mir mal.

    • @tomás zerolo:

      Auch wenn's Ihnen schwerfällt: Sogar Gustav Radbruch haben Sie auszuhalten!

      • @Peter Bähr:

        Bin mir nicht sicher ob Sie meinen Kommentar evtl. missverstanden haben, also hier noch mal ganz klar: Die UN-Antifolterkonvention (CAT) ist Teil des zwingenden Völkerrechts (wie Völkermord) d.h. davon gibt es keine Ausnahme und das Verbot gilt weltweit auch in Staaten welche die Konvention nicht ratifiziert haben. Deutschland hat die Konvention ratifiziert (d.h. in deutsches Recht übertragen) und sich darin AUCH explizit verpflichtet niemanden in einen Staat abzuschieben in dem dieser Person Gefahr droht gefoltert zu werden. In Syrien ist diese Gefahr eindeutig belegt, bevorzugt Zivilist:innen werden massenhaft verhaftet, verschwinden in staatlicher Haft, werden als Standardprogramm schwer gefoltert, absichtsvoll auch bis zum Tod oder/und ohne Verfahren in Gefängnissen massenweise hingerichtet. Selbstverständlich werden auch Straftäter:innen verhaftet und gefoltert und ja, das absolute Folterverbot gilt auch für Straftäter:innen. Sollte die IMK Abschiebungen nach Syrien beschließen bricht sie zwingendes Völkerrecht. Seehofer weiß das. Dass Syrien ein Folterstaat ist sagen deutlich auch die deutschen Gerichte. Außer der Verhandlung in Koblenz wurden IN DEUTSCHLAND bereits mehrere hochrangige Mitglieder der Assad Regierung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Folter als Kriegswaffe gegen die Zivilbevölkerung) angeklagt und die vorliegenden Beweise gegen die syrische Regierung und Administration gerichtsfest überprüft und Syrien eindeutig als Staat bezeichnen der systematisch foltert. Seehofer kann da ganz einfach Akteneinsicht in die Beweislage verlangen wenn er es nicht glaubt. Gegen den ehemaligen Leiter des Luftwaffengeheimdienstes Jamil Hassan beispielsweise liegt bereits ein internationaler Haftbefehl vor ausgestellt vom Bundesgerichtshof. Verfahren in Deutschland zu Syrien siehe:



        www.ecchr.eu/fall/...r-dem-olg-koblenz/

        • @Nina Janovich:

          Fraglos unsäglich und sich disqualifizierend als Innenminister, herausgegriffen der Kommentar anlässlich seines 69. Geburtstags, vgl. auch www.youtube.com/watch?v=3CoRL9b_Idk.

          Mit anderen Worten: wertschätze Ihre ausführliche Mühewaltung.

  • Wird es nicht Zeit Seehofer in seinen Keller zu seiner Eisenbahn ab zu schieben?

  • Seehofers Kalkül ist so durchsichtig wie fatal. Mit Abschiebeforderungen nach Syrien kommt er nicht durch. Die Beweislage dass in Syrien flächendeckend, systematisch und oft und gezielt bis zum Tod gefoltert wird ist eindeutig. Eben jene stichhaltigen Beweise seit Kriegsbeginn in Syrien von syrischen NGOs, Überläufern, UN Sonderkommissionen und Gerichten gesammelten und überprüften Beweise sind in der Tat auch gerade Gegenstand des Gerichtsverfahrens in Koblenz. Das Gefängnis in dem die Angeklagten tätig waren wird darin als Teil einer nationalen Foltermaschinerie belegt. Verbot der Folter UND das Verbot in Länder abzuschieben gilt absolut also auch für die CSU und ihren umtriebigen Hetzer an der Spitze. Aber Seehofer fördert mit seinen plumpen rechtspopulistischen Forderungen alle Jahre wieder gezielt rechtspopulistische Gesinnung und rechtsextreme Netzwerke, Bewegungen und Parteien. Denn so doof kann er nicht sein dass er nicht weiß dass wie in den 90er Jahren und ab 2005 belegt allein rechtspopulistische Parteien profitieren wenn regierende "Mitte" Parteien rechte Forderungen erfüllen oder sich in deren Hetzchor einreihen. Da fühlt sich wohl schon auch der kleine "brave" Bürger angesprochen wenn der eigene Hass auf Geflüchtete durch Seehofer und die schweigenden anderen Mittepolitiker:innen der sonst verhassten "Elite" geadelt werden aber das Kreuz macht man dann doch lieber beim rechten Original nicht den bürgerlichen Mitläuferparteien. Gute Nacht.

    • @Nina Janovich:

      Ungeachtet von Art. 33 Abs. 2 GFK wissen wir um verpflichtendes überpositives Recht.

  • Genau so ist es, rechtliche und praktische Gründe. Zu den rechtlichen Gründen:



    Es ist gut, dass in Deutschland Straffällige Asyl genießen. Nun aber die Frage: Wenn nachweislich IS-Leute und sonstige Islamisten, militante Muslimbrüder etc. hier schon wegen Gewalttaten im Knast gelandet sind und eine Terrorgefahr darstellen, was wiegt dann mehr? Die Gefahr, dass dieser Straftäter möglicherweise in Syrien Gewalt erfährt, oder dass er hier möglicherweise Menschen in die Luft jagt oder absticht, solange wir ihn nicht erfolgreich observieren können, dass er ungefährlich bleibt? Das sollte man mal endlich ausdiskutieren und zu einem Ergebnis kommen, denn zu oft haben auffällige und vorverurteilte Gewalttäter in ganz Europa erneut die Gelegenheit bekommen unschuldige Menschen eiskalt zu töten, wer ist deren Anwalt? Schluß mit dem Rumeiern!