ARD-Film über Flucht und Neonazis: Du bist der Flüchtling!
Nazis übernehmen Europa, Tausende Menschen fliehen nach Afrika: Der ARD-Film „Aufbruch ins Ungewisse“ ist ein didaktischer Perspektivwechsel.
Im Fernsehen laufen die Nachrichten: „Im Zuge der Säuberungen für ein faires und gerechtes Deutschland wurden die letzten Redakteure der volksfeindlichen Zeitung Süddeutsche Post festgenommen, die sich in den Kellerräumen des Verlagsgebäudes versteckt gehalten hatten. – Stockholm. Als letztes Land der ehemaligen EU schließt ab morgen auch Schweden seine Grenzen.“
Sehr kurz und grob wird hier ein Europa in naher Zukunft skizziert, das die Rechtspopulisten vollständig übernommen haben. Willkürliche Verhaftungen, systematische Vergewaltigungen von Regimegegnerinnen. Ein Eltern-Paar (Maria Simon, Fabian Busch) sieht keinen anderen Ausweg als die Flucht. Nach: „Südafrika. Die anderen Staaten nehmen niemanden mehr auf.“ Gerade fünf Filmminuten sind vergangen, schon kentert das Gummiboot vor der namibischen Küste. Vater, Mutter, Tochter finden an Land wieder zusammen, der siebenjährige Sohn ist verschwunden.
In der Südafrikanischen Union gilt: Der Staat, in den ein Asylbewerber zuerst eingereist ist, muss das Asylverfahren durchführen. Im Unterschied zu Südafrika hat Namibia Deutschland bereits als sicheres Herkunftsland anerkannt, es droht die sofortige Abschiebung. Also schnell weiter nach Südafrika. Wie aber kann man in Namibia nach dem vermissten Sohn suchen lassen, wenn man dort nie angekommen sein darf?
Sie hätten es natürlich auch gleich machen können wie bei „Star Trek: Discovery“. Da wird ein Paralleluniversum imaginiert, in dem alles umgekehrt ist, die Guten plötzlich die Bösen sind und so weiter.
Wahrscheinlichkeit, Plausibilität sind hier keine Kategorie. Die Währung heißt: Empathie. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen erinnert sich an die Sache mit dem Programmauftrag. Die ARD möchte offenbar dem eher dunkeldeutsch geneigten Teil des Publikums auf die Sprünge helfen, der von den eigenen diffusen Angstgefühlen arg beansprucht wird und in Sachen Empathie dringend Nachhilfe – von der ARD – benötigt.
Furchtbar gut gemeint
Stell dir das doch einfach mal vor: du, ja du! Genau du! Du bist der Flüchtling. Du fürchtest um dein Leben und das deiner Liebsten. Du lässt alles zurück. Du begibst dich auf eine lebensgefährliche Reise. Du überlebst. Und sie empfangen dich mit kalter Bürokratie. Sie geben dir gerade das Nötigste. Sie stecken dich in ein umzäuntes Lager. Sie sagen: „We didn’t ask you to come here.“ Sie bewerfen dich mit Dreck und rufen: „Piss off, you stinky bitch! This is not your country!“
„Aufbruch ins Ungewisse“ (Regie: Kai Wessel; Buch: Eva Zahn, Volker A. Zahn, Gabriela Zerhau) ist nicht der erste Versuch dieser Art. 2013 gab es bei ZDFneo „Auf der Flucht – das Experiment“: ein bizarres Mockumentary mit den Mitteln und dem Personal des „Dschungelcamps“.
Statt in den Dschungel wurden C-Promis und Selbstdarsteller damals zu echten, echt verzweifelten Flüchtlingen auf ihrem Weg nach Europa gesteckt. Und im vergangenen Jahr bekam der Regisseur und Oscar-Sammler Alejandro González Iñárritu den Special Award Oscar für seine Virtual-Reality-Erfahrung/Installation „Carne y Arena“. Mit VR-Brille, Kopfhörern, Rucksack, ohne Schuhe – und ohne echte Lebensgefahr, klar – sollten sich die Besucher in Flüchtlinge an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze einfühlen. Die FAZ-Filmkritikerin schrieb: „Am Ende von ‚Carne y Arena‘ waren nur meine Füße sandig.“
„Aufbruch ins Ungewisse“: Regie: Kai Wessel; Buch: Eva Zahn, Volker A. Zahn, Gabriela Zerhau (13.02., 2015, ARD)
All diese Projekte sind natürlich furchtbar gut gemeint. Man kann sich nur nicht vorstellen, dass Menschen sich mit so simplen, emotionalen statt intellektuellen Mitteln überzeugen lassen. Andererseits hatte man sich aber auch schon nicht vorstellen können, dass sie sich mit den simplen, emotionalen statt intellektuellen Mitteln von Pegida und AfD überzeugen lassen.
Eigentlich hatte die ARD einen ganzen Themenabend („Flucht aus Europa“) angekündigt. Eigentlich sollte Sandra Maischberger das Thema nach dem Film diskutieren. Nun findet sie die Groko doch relevanter.
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