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ARD-Doku „EXZESS“ über Berliner ClubsUnkritisch abfeiern

Die ARD-Dokuserie „EXZESS“ blickt launig auf die Geschichte der Club-Szene in Berlin – aber nicht auf deren Probleme mit Drogen und Übergriffen.

Was kommt nach der durchtanzten Nacht, was nach der Nostalgie? Foto: rbb/solo:film

Berliner Clubkultur verkauft sich immer noch gut. „Have you ever been in Berghain?“, bleibt eine wichtige Frage. Sven Marquardt, der gesichtstätowierte Türsteher des Clubs, bleibt ein wichtiges Maskottchen für die Stadt. Wilde Geschichten über die Nachwendezeit, in der jeder leerstehende Raum zum Club werden konnte, bleiben gern erzählt und gehört. Denn „this is so Berlin“ oder eher: This was so Berlin?

Vom clubkulturellen Fundament der 1990er Jahre lebt der Ruf der Stadt noch immer. Doch was ist eigentlich davon übrig? Die Mieten werden teurer, die Drogen härter, die Lebensbedingungen tendenziell prekärer und der Geldbeutel der Ra­ver*­in­nen damit leerer. Außerdem sorgte die Coronapandemie für einen Stillstand der Feierkultur, viele Orte kämpften ums Überleben. Welchen Platz lässt ein Berlin mit christdemokratischem Kultursenator den Clubs heute noch?

Die dreiteilige ARD-Dokumentation „EXZESS – Berlin Hauptstadt der Clubs“ will Antworten liefern und fährt dafür mit einer Mischung aus Oral History und audiovisuellem Club-Lexikon auf. Unzählige noch existierende und längst geschlossene Clubs werden kurz vorgestellt. Die Doku-Serie zeichnet so unvollständig die Berliner Club-Historie nach. Auch die Unterschiede der Feierkulturen im geteilten Berlin.

Prot­ago­nis­t*in­nen des Berliner Nachtlebens aller Altersgruppen kommen zu Wort. Von, natürlich, der bei diesem Thema immer gern zum Märchenonkel auserkorenen DJ-Legende Westbam bis zu den Gründerinnen des Punk-Clubs SO36. Und das ist gut. Denn zur Berliner Clubkultur gehört eben nicht nur das Berghain, sondern genauso der Schlagerclub Hafenbar oder verranzte Punkschuppen, die es sonst seltener in Filme schaffen.

Wer/Was fehlt

Eine große Stärke der Doku ist eine Multiperspektivität, die durch die unzähligen Orte geschaffen wird. Einerseits. Andererseits: Dafür, dass so viel über Clubkultur als diverser Raum gesprochen wird, ist die Auswahl der Prot­ago­nis­t*in­nen ziemlich weiß. Außerdem geht die Serie kaum in die Tiefe, was Musikstile, subkulturelle Konzepte, einzelne Biografien angeht.

Clubs können Safe Spaces sein – aber eben nicht nur und nicht für alle. Allein schon wegen der Eintrittspreise

Die Folgen wirken mit ihren sleeken Slomo-Bildern von Nacht­schwär­me­r*in­nen und einigen rohen Archivaufnahmen oft wie der Teil von irgendeiner Berlin-Marketingkampagne. Die O-Töne vieler Beteiligter klingen nach sehr gewollter Legendenbildung. Doch Nostalgie hat sich schnell erschöpft. Und was kommt dann?

Immerhin: Eine Mitarbeiterin des ://about blank, eines jener fünf Clubs, die durch den geplanten Ausbau der Stadtautobahn A 100 vor dem Aus stehen, kritisiert die Vereinnahmung von Clubkultur für Marketingzwecke. Auch um die Verdrängung von Clubs durch den Mangel an innerstädtischen Flächen geht es immer wieder. Vor allem aber darum, dass in Clubs angeblich alle so auftreten dürfen, wie sie wollen. Und natürlich können diese Orte, wie es in „EXZESS“ öfter behauptet wird, Safe Spaces sein. Aber eben nicht nur und nicht für alle. Allein schon wegen der Eintrittspreise von mittlerweile bis zu 30 Euro.

Doch Kritik spart die Serie weitestgehend aus. Weder beleuchtet sie die großen Probleme, die einige Berliner Clubs, auch das Berghain, aktuell mit Drogen wie GHB und Mephe­dron haben, noch die Übergriffe, die es auch im Berliner Nachtleben immer wieder gibt. Spätestens seit Till Lindemann trotz massiver Vorwürfe vor Kurzem einfach so in den sexpositiven KitKat-Club spazieren durfte, in dem Konsent das Wichtigste überhaupt sein sollte, wurde klar, dass die Rolle als Safe Space nicht alle so ernst nehmen, wie sie es nach außen gern behaupten.

Die Serie

„EXZESS Berlin – Hauptstadt der Clubs“, drei Teile, abrufbar in der ARD Mediathek

Bei so vielen auskunftswilligen In­ter­view­part­ne­r*in­nen wären kritische Nachfragen leicht möglich gewesen. KitKat-Gründer Simon Thaur darf stattdessen ein Loblied auf seinen Club singen. Chance vertan.

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3 Kommentare

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  • Ich würde mal sagen, im Kit-Kat ist Lindemann besser aufgehoben, als sonst irgendwo auf der Welt, insbesondere Backstage. Wenn er dort irgendwelche Spirenzchen versucht hätte, wäre er nämlich achtkant & in aller Öffentlichkeit rausgeflogen. Sol lucet omnibus und vorverurteilende Kleinlichkeit aufgrund von nicht mehr als schlichtem Klatsch ist, obwohl vom Zeitgeist gefordert, kein positiver Wesenszug.

    • @Erwin Spack:

      Hier greift wenigstens mal das Hausrecht, wenn jemand wirklich schräge Dinge macht, die man in seinem Haus/Veranstaltung definitiv nicht haben möchte.



      Das ist doch legitim, und spiegelt manchem endlich mal wieder, dass er grenzwertig drauf ist.

  • Nicht jede Doku hat den Anspruch in jeder Hinsicht vollständig zu sein. Man kann wohl in 3 halbstündigen Teilen kaum vollumfänglich die Berliner Clubs inklusiver "Schlagerbar und verranzter Punkerschuppen" abbilden. Würde man tiefergreifend auf einzelne Musikstile, Drogenproblemme, subkulturelle Projekte, Gentrifizierung, Stadtautobahn und Till Lindemann eingehen wollen, dann müsste man wohl wesentlich mehr Sendezeit zur Verfügung haben.